: VON VORNE JEDENFALLS GING'S
■ Ein Schrägschnitt durch die Welt der Schnittmacher
Im Moment habe ich überhaupt keinen Haarschnitt. Meine Lieblingsfrisöse ist weggezogen, und so bin ich das letzte Mal in Kreuzberg zu einem Alternativladen gegangen, an einem hübschen romantischen Plätzchen. Die Frisöse trug ein schwarzes, rundes Hütchen wie ein Topf ohne Henkel, so daß man von ihr überhaupt kein Haar sah. Als ich kam, bereitete sie gerade eine ortsansässige Oma zurecht und konnte ihr die Locken wirklich so perfekt zurechtzupfen, daß sie aussah wie von jedem anderen Frisör.
Als ich schließlich drankam, fielen mir gleich ihre energischen kurzen Hände auf, die praktischen halben Sätze, die sie sprach und ich dachte, wäre sie doch lieber Tischlerin geworden oder Schlosserin. Vielleicht Automechanikerin. Oder war sie sich ihrer Sache nur so sicher und beherrschte das Handwerk ohne viele Worte? Eine süße Lehrlingstürkin hatte mir die Haare gewaschen und ich bin erhobenen Hauptes durch die Angelegenheit durchgesessen. Hinterher sah ich aus wie ein Hund. Stufig geschnitten und zottelig. Sie fing einfach an zu schneiden und hat gegen Ende ihrer Tätigkeit meine Bemerkungen und Wünsche ohne großes Zaudern integriert. So gab es von allem etwas: von ihrer Vorstellung oder Nicht-Vorstellung und von meiner und viel Haargel und etwas Festiger. Als ich zahlte und ihr einen Hundertmarkschein reichte, dazu ein paar Zerquetschte, so daß sie mir einen Fünfziger rausgeben konnte, wurde ich sehr gelobt: „Hey Frau, Du denkst ja mit!“ Es war meine treudoofe Phase. So war ich wirklich von Kopf bis Fuß auf Wauwau eingestellt und man glaubte mir an den Haaren ein Regenwetter anzusehen, da hatte es aber nur bei mir geregnet.
Ganz zu Anfang in Berlin bin ich mal in meiner Weddinger Nachbarschaft zum Nachschneiden gegangen. Großkreisige Tapeten, runde, plastikgerahmte Spiegel, von der Decke hängende Trockenhauben, alles in Orange und Blau. Die Frau im hellblauen Kittel mit zur Hälfte abgeplatzten roten Fingernägeln hatte keine Probleme, meine Wünsche zu verstehen: einmal rundherum kürzer. Mit Magenschmerzen hab ich's durchgestanden, bin ja damals noch zur Uni gegangen und dort war es auch nicht besser. Dafür hat dann bald ein Alternativfrisör um die Ecke aufgemacht mit sehr gekonnter Schaufensterdekoration aus nackten Holzpuppenköpfen mit antiken Ondulationsstäben und Schillerlocken aus der Perückenkiste. Ich bekam eine sorgfältig erarbeitete Frisur: seitlich länger als in der Mitte, so daß das Profil eine über's Kinn schräg abfallende Linie ergibt, und keinen Stumpfschnitt, sondern das Deckhaar etwas kürzer , da es sich bei meinen glatten Haaren sowieso nicht nach innen rollen würde. Eine sanfte Frau schnitt eine Stunde lang an mir herum und ich habe mich wunderbar ruhig und entspannt gefühlt. Es gab Kaffee vorweg, schöne Musik, und es war die Welt, in der ich leben wollte. Sie erzählte mir von ihrer Katze, wie die neulich Junge bekommen habe und wie sich das den ganzen Tag angekündigt habe, und daß auch eine Geburt für eine Katze sehr schmerzhaft sei. Ihre Eltern sind Lehrer, erzählte sie mir, also Studienräte, und akzeptieren das völlig, daß sie nun Frisöse geworden ist. Mir hat es gut gefallen, unter so wenig Druck zu stehen, so ruhig arbeiten zu können, gleichmäßig, gefühlig, ohne so einen Mordsanspruch an sich selbst, komme er nun von den Eltern oder von einem selbst. Das war also die sanfte Welle Menschenschlag und ich gehe nach Hause und sehe am nächsten Tag mehrere heftige Schnipsel unter dem sorgfältigen Geschnippel vorragen, auch links und rechts vom Scheitel war es verschieden lang. Am Sonnabend nach dem Markt ging ich nochmals vorbei, sie hieß mich wiederum hinsetzen und schnitt nochmals ein Stunde lang, die Haare zunächst alle aufgesteckt und jede zu schneidende Schicht einzeln herunterlassend. Ihre Stimmung war leicht verdrossen, ich hatte am Ende ein etwas schlechtes Gewissen und gab ihr dann dafür drei Apfelsinen vom Markt.
Das war also der Wedding. Das nächste Mal begab ich mich dorthin, wo das Herz Berlins pulsiert, zu PR am Maybachufer. Ich, die ich niemals meine Haare gefärbt habe oder Dauerwelle hatte, obwohl meine Großmutter mir das seit meinem siebzehnten Lebensjahr ständig vorgeschlagen hat, eine leichte Innenrolle, ach, aber auch Kraushaar wollte ich nie. Die Szene setzt bekanntlich hohe Ansprüche, und mein Haarschnitt war dann gut, erstklassig sauber, in den Schattierungen klar, die Stufen fließend. Ich bin oft bei dieser Frau gewesen, die aussah wie vom Raumschiff Enterprise, mit roten Haaren und einer sorgfältig ausgemalten Maske. Sie wußte völlig, was sie tat und war eher ruhig als gesprächig. Ihre Mutter war Krankenschwester, das hatte sie mir schon vorher angedeutet, und kam sie besuchen. Davon war sie halb krank gewesen damals. Ihre Mutter sei sehr kunstinteressiert und beflissen und verachtete sie dafür, daß sie nichts besseres geworden sei. Daher also sei sie mit siebzehn gleich nach Berlin getürmt. Und Geld habe sie überhaupt keins. Ich auch nicht, konnte ich nur beipflichten, ich hatte ja nicht mal was Regelmäßiges. Aber wenn du Schulden hast, und immer weniger verdienst, als du ausgibst, dann haut's auch nicht hin, sagte sie. Mein Haarschnitt war beim letzten mal dann mehr als ich wollte, Futurismus, eine Linie vom Hinterkopf zum Kinn, was man vorne gar nicht sehen konnte. Ich wollte am nächsten Tag mit ihrer Aufbereitung nach Hamburg zu einer Ausstellungseröffnung fahren, sie hat mich wohl bewundert und meinte, daß ich dann also in Zukunft immer nur noch zum Haareschneiden nach Berlin eingeflogen werden würde. (So ist es aber in Wirklichkeit nicht gekommen...) Sie war an diesem Tag spröde, sprach gleich zu Anfang von einem Kollegen, der heute nicht da sei, mit dem könne sie immer so schön lachen, denn der wüßte, gute Witze über Tierversuchslabors.
Die kann man aber niemandem erzählen, schmunzelte sie den Rest in sich hinein. Als sie fertig war, war ich zögerlich zufrieden, zum Ultrachic vergewaltigt. Zum Abschied vor meiner Reise in die riesige Karriere fragte sie mich: „Und Du gehst jetzt frühstücken?“ „Ja“, meinte ich, denn das hatte ich vor, liegt doch das Cafe Übersee gleich gegenüber und paßt vom Namen her direkt zu New York, wovon meine Fotos handeln. „Das schürt ja direkt den Klassenhaß!“, gab sie mir mit auf den Weg und verblieb von da an mit anderen Szenefreaks in ihrem heißen PR-Laden. Meine Tischnachbarn im Übersee fanden den Haarschnitt dann doch nicht so schlimm, von vorne jedenfalls ging's.
In New York also war ich mal beim Frisör. Hairbobbering, etwa 6th Avenue Ecke 12.Straße. Der niedlichste Haircutter war ein schwarzlockiger bräunlicher Typ, der einfach freundlich gelächelt hat und ich habe mich gerne bei ihm auf den Stuhl gesetzt, und Peter fand mich danach auch einwandfrei hübsch. Zwei Monate später bin ich wieder zu ihm gegangen, danach mit ihm in ein West-Village-Cafe und es wurde reichlich spät, denn seine Lebensgeschichte war diffiziel, als arabischer Israeli, wie er im Supermarkt in New York 15 Stunden täglich gearbeitet hat und dann direkt in die Frisörprüfung rein ist, dem Prüfer erzählt hat, vor Aufregung wisse er jetzt nicht, wie's geht. Nur Zopfflechten hat er als einziger sofort gekonnt, daher haben sie ihn genommen und da hat er alles rausgekriegt. Ich wollte damals noch Fotomodel werden, dafür wollte er mich regelmäßig herrichten. Und ein Freund von ihm sei Fotograf... Und wie schwierig es in Israel gewesen sei, einem Mädchen in der Schule, in die er so verliebt war, das irgendwie mitzuteilen, ganz heimlich mußte ein Freund von ihm ihr ein Zettelchen von ihm zuschieben. Und es wurde immer später und so spät kann ich als Frau einfach nicht alleine in Brooklyn die Straße lang gehen und schließlich sagte er, er würde mich nach Hause begleiten, das hat mich etwas beruhigt. Nachts sind die U-Bahnen in New York gefährlich und manche Straßen leer. Es war vor unserem Haus noch später und wir waren beide müde. Alles gut. Ich wollte ja nichts, die Luft stand heiß über den Schaumstoffmatratzen, die anderen schliefen. In der Nacht liefen gerade Mäuse auf dem Küchenfußboden rum. Die oben hatten nämlich eine völlig unfähige Katze namens Pont Neuf. Wir hatten noch eine weiße Katze aus Porzellan, aber die stand meist in Stanniol eingewickelt im Kühlschrank. So blieb die Mäusescheiße in den Mehltüten, im Zucker, überall. Eine obdachlose Katze von unserem Vormieter haben wir ins Tiertötungsheim gebracht, aber auch danach hat niemand ihre Scheiße weggemacht. In New York riecht es sowieso überall nach Katzenscheiße. Wir lagen in Unterhosen auf der Matratze und ich habe mir überlegt, wie er sich wohl fühlt. Er sagte, daß er sich einrede, daß es da gar nichts Attraktives gäbe, und so geht's auch. Und er erzählte mir noch, wie in New York eben alles möglich sei, wenn er mit einer Kollegin telefoniert, ob sie sich zu Hause treffen wollen, und sie sagt, sie will es mit dem Mund haben, und er sagt, so etwas macht er nicht, dann sagen sie okay und legen auf. In New York everything is possible. Er war von den Socken und über mich her und erzählte mir, I always scream, when the stuff comes out und ich habe nichts gesagt. Er hatte ein weichliches Fleisch auf der Brust, und kleine komische Locken. Plötzlich hat er es gemerkt: „Your happy smile has gone.“ Da hat er mich befreit, wir haben geschlafen bis zum Morgen, er war lange vor mir wach und mußte auf Toilette, doch weil die anderen alle in der Küche waren und mein Zimmer quasi ein Teil von der Küche, nur durch einen Vorhang abgeteilt, habe ich ihn aus dem Schlaf heraus geheißen, zu warten, und nach einer Stunde sagte er, er könne es nicht länger aushalten. Da hab ich ihm endlich erlaubt, aufs Klo zu gehen, an Wendy und Chris vorbei. Dann verschwand er, und ich schlief noch weiter, und ich hinkte drei Tage lang hinter der Welt her.
In London war ich verkrampft, ein Übungsladen für Lehrlinge, die für wenig Geld Experimente trieben, und ich in einer ständigen Unruhe, daß sie zuviel abschneiden würde, so daß ich dann wieder aussähe wie ein kleines Kind. Hätte ich sie nur gelassen - Vidal Sasson. In Manchester hieß der Laden „talking heads“, 100prozentig vielversprechendes Interior Design, locker, flippig, geschmeidig. Nur ich war häßlich wie die Nacht: Augenringe, in die alle möglichen Scheinwerfer fielen, strähnige, angeklatschte Haare während der Behandlung. Mein Typ tröstete mich: „You don't look to your best at the hairdresser's.“ Auch danach ist es ja manchmal ein Problem, so war ich in Ohio, ausgedörrt vor Langeweile auch mal hingegangen, es war die Frau, die so steif im Tanzkurs war und danach habe ich mehrere Stunden lang das Kopftuch nicht abgenommen. Doch von vorne ging's, hieß es...
In Rumänien muß es am besten sein. In Temeswar sind die Frisöre riesige Salons, gefüllt mit Menschen, die auf Drehstühlen sitzen, und solchen, die in weißen Kitteln drumherum laufen. Es gibt viel Gelächter, Gerede, auch Musik, und wimmelt und wuselt wie in eine Wiener Cafehaus. Traditionelle Alltagskultur nenne ich das, nur die Männer eben müssen sich ihre Rasierklinge selbst mitbringen, hörte ich. Die Frauen ihre Haare, mehr ist gar nicht nötig.
Meine Großmutter erzählte immer, wie ich als Dreijährige geschrien habe, angewurzelt da stand und brüllte: „Aber nicht bei mir, aber nicht bei mir...“ Darauf hat niemand je Rücksicht genommen, und ob ich es überlebt habe, weiß ich eigentlich gar nicht. Der Dorffrisör in Lüneburg war ungeheuer darin, ständig zu schnippeln, auch wenn er gar keine Haare zwischen der Schere hatte, und pausenlos zu kämmen, auch wenn keine Haare im Kamm waren. Alle Kinder wurden auf ein Brett gesetzt, welches auf den Drehstuhl kam. Wir sind immer alle vier auf einmal gegangen, Lumpenpack vom Kunkelberg, und ich habe mich dann für alle geschämt. Bei den Mädchen hat er einfach gerade rum geschnitten, unterhalb der Ohren, bei den Jungen auch in die Ohren rein. Solche glatt angeklitschten Haare wie bei ihm habe ich nirgends in der Welt sonst gesehen. Später durfte ich auch zum Damenfrisör, mit zwanzig also war ich dann in Lüneburg mal in der Stadt, eine Hausfrauenschleuder, wo sie mir fürs Fönen so viel Geld abgenommen haben wie fürs Schneiden, mitten im Sommer, 16+1632, darüber ging ich heulend nach Hause.
Viele meinen ja, daß die Prostitution gar nicht so was Schlimmes sei, wenn man das nicht so verkrampft und tabuisiert sähe. Eben menschlich anderen etwas von sich geben - für Geld. Wie beim Frisör, habe ich mir dann oft gedacht, wenn sie einem so schön einfühlsam die Kopfhaut massieren beim Waschen, trocken rubbeln und nochmals sanft reiben. Meine Mutter hat immer nur mit den Fingernägeln gekratzt. So hat sich die Beste von allen Frisören in Moabit ihren Kunden auch menschlich zur Verfügung gestellt, eine alte Frau rief bei ihr im Laden an, den Heimbesuch zu vereinbaren und übermittelte von ihrem Mann ein Küßchen. Da hat ihr Elvira ein Küßchen zurück an ihn vermittelt. Und ich habe mich beim ersten Haarschneidebesuch nicht als die Fotografin zu erkennen gegeben, von der sie Dekorationsbilder kaufen wollte, um die angenehm-liebe Gesprächsatmosphäre nicht durch Geschäftskälte zu unterbrechen. Und später wollte sie die Bilder nicht mehr haben.
Ich lebe jetzt ohne Frisur und halte mich lotterig aus. Das ist eine neue Übung.
Sophia Ferdinand
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