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Eire verdient keinen Fan

■ Irland-Ägypten 0:0 - das schlechteste WM-Spiel

Dublin (taz) - Vorgestern setzte in Irland der größte Massenexodus seit der Hungersnot im vergangenen Jahrhundert ein. Tausende von Fußballfans fuhren nach Palermo, um den erhofften Einzug des irischen Teams in die zweite WM-Runde mitzuerleben. Wer das Geld für den Flug nicht hatte, ging in die Ausstellungshallen in Süd-Dublin. Dort war ein Stadion und ein italienisches Dorf nachgebaut worden. Das Spiel wurde auf vier riesigen Leinwänden übertragen. „Es ist das erste Mal, daß sowas in Europa stattfindet“, behauptete Veranstalter Michael Dawson. Sämtliche 6.500 Eintrittskarten waren seit Wochen ausverkauft - trotz des Preises von 50 Mark. Die Atmosphäre konnte mühelos mit Palermo mithalten. Die in Salami eingewickelten Grissini, die an einem Imbißstand als typisch italienische Spezialität angepriesen wurden, stießen bei den Fans allerdings auf Skepsis. Mehr Erfolg hatte ein Weinhändler, der eine goldene Weinflasche in Form des WM-Pokals verkaufen konnte. Das Ungetüm jenseits des guten Geschmacks kostete 200 Mark.

Die grüne Insel ist vom Fußballfieber gepackt. Selbst diejenigen, die das Gekicke bis vor kurzem als „barbarische englische Sportart“ abtaten, sind dem Massenwahn erlegen. Biedere Bankangestellte erscheinen in grünen Trikots zur Arbeit, und die gesamte Werbeindustrie bedient sich des runden Leders. Jedes Wirtshaus auf der Insel hat großformatige Fernseher aufgestellt. Der Andrang ist so gewaltig, daß sie Karten an die Stammgäste verteilten. Am Sonntag gab es jedoch ein Problem: Die mittägliche Sperrstunde endete in Dublin erst um 16 Uhr Ortszeit - genau im Augenblick des Anpfiffs in Palermo. Doch der irische Innenminister hatte die Polizei angewiesen, beide Augen zuzudrücken. Seine Wiederwahl ist gesichert.

In Palermo bot sich ein ungewohntes Bild: Irische Anhänger tanzten mit ägyptischen Matrosen auf den Straßen. Das Spiel stand jedoch in krassem Gegensatz zu der Festivalstimmung. Die Ägypter machten von Anfang an klar, daß sie an diesem Nachmittag nur unbeschadet über die Runden kommen wollten. Die Iren paßten sich dem Anti-Fußball nahtlos an. So plätscherte das schlechteste Spiel der WM völlig ereignislos vor sich hin.

Heinrich Böll hatte in seinem Irischen Tagebuch behauptet, daß die am meisten gebrauchte irische Redensart lautet: „Es könnte schlimmer sein.“ Böll schrieb: „Was passiert, ist nie das Schlimmste, sondern das Schlimmste ist nie passiert.“ Das Spiel strafte Böll Lügen. Selbst die geduldigen irischen Anhänger konnten sich am Sonntag nicht vorstellen, daß die erbärmliche Leistung noch unterboten werden könnte. Den „besten Fans der Welt“ (Irlands Trainer Jack Charlton) wäre ein angemesseneres Objekt ihrer Begeisterung zu gönnen.

Ralf Sotschek

Irland: Bonner - McCarthy, Morris, Moran, Staunton Houghton, Townsend, McGrath, Sheedy - Aldridge (65. McLoughlin), Cascarino (85. Quinn)

Ägypten: Shobeir - Ibrahim Hassan, Hany Ramzy, Yakan, Yassein - Oraby, Youssef, Abdel Ghani, El Kass (76.Abdel Hamid)- Hossam Hassan, Tolba (60. Abou Zeid)

Zuschauer: 32.288

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