: Jüdin, Mame, Bürgerrechtlerin
■ Ein paar stereotype Gedanken zum Thema des Jüdischen Kulturfestivals in Berlin, das vergangene Woche
zu Ende ging
Von Elisa Klapheck
Nur im Rückblick zeichnen sich ihre Konturen ab, je weiter zurück, desto deutlicher: die Frau in der jüdischen Welt. Ihren Idealtyp hat bereits König Salomo in seinem berühmten Loblied auf die „Starke Frau“, die „Eschet Chail“, besungen; ein Lob, das orthodoxe Ehemänner jeden Freitag vor dem Abendessen singen:
Wem eine tüchtige Frau beschert ist, die ist viel edler als die köstlichsten Perlen. Ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen, und Nahrung wird ihm nicht mangeln. Sie tut ihm Liebes und kein Leid ihr Leben lang ... Kraft und Würde sind ihr Gewand, und sie lacht des kommenden Tages. Sie tut ihren Mund auf mit Weisheit, und auf ihrer Zunge ist Güte Weisung. Sie schaut, wie es in ihrem Hause zugeht, und ißt Brot nicht mit Faulheit. Ihre Söhne stehen auf und preisen sie, ihr Mann lobt sie: „Es sind wohl viele tüchtige Frauen, du aber übertriffst sie alle.“ Lieblich und schön sein ist nichts; ein Weib, das den Ewigen fürchtet, soll man loben. Gebt ihr von den Früchten ihrer Hände, und ihre Werke sollen sie loben in den Toren! (Sprüche 31,10)
Der verklärte Rückwärts-Blick auf die Tugenden der würdevollen Ehefrau findet sich in der nicht-orthodoxen Welt allerdings nur noch in den verschiedenen Schattierungen eines Klischees - Schöne Jüdin von Toledo oder Jiddische Mame aus Wilna. Als Leitmotiv einer Eröffnungsgala zum diesjährigen Jüdischen Kulturfestival in Berlin, vertont in jiddischen Schnulzen und alten Ladino-Liedern mit jazzigem Unterrhythmus, ist er fast nicht zu ertragen. Er ist doppelt unerträglich, weil die jüdische Gegenwart - zumindest in Deutschland - so anders aussieht. Zudem muß ein vierzehntägiges Festival mit dem Thema Die Frau in der jüdischen Welt zunächst einmal den Kriterien des Massengeschmacks entsprechen. Das Programm stimmte angesichts einiger unverhoffter Höhepunkte jedoch versöhnlicher.
Israelin
Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Was könnte eine jüdische Zeitgenossin heute weitergeben? Nach zwei Jahrhunderten der Aufklärung, Emanzipation und Assimiliation, der nationalen Wiedergeburt, Verfolgung, Vernichtung und religiös-kulturellen Rückbesinnung steht die jüdische Frau häufig nur noch vor den Trümmerhaufen der auseinandergebrochenen jüdischen Kultur. Sie ist immer noch „die andere“ in der nicht-jüdischen Welt; aber es fällt ihr immer schwerer, sich selbst in einer weniger und weniger konkreten jüdischen Welt zu sein.
Si Hi-Man, die 26jährige, für ihr Antikriegsengagement bekannte Rocksängerin aus Tel Aviv, will sich stellvertretend für sehr viele Israelinnen - von solchen Widersprüchen nicht berührt fühlen. In einem Interview sagte sie, daß das Judentum der assimilierten Jüdin in Europa nur aus einer Art innerem Bewußtsein bestand. Mittels dieses Bewußtseins würden sie sich psychisch belasten, indem sie sich „anders als alle anderen“ fühlten, ohne daß sie jedoch anderes täten. „Ich selbst will mich nicht anders als alle anderen fühlen.“ Daher sieht sie sich in erster Linie als Israelin, nicht als Jüdin.
Si Hi-Man trat auf einem Rockabend mit ihrer „Local-Band“ im Berliner Tempodrom auf. In Jeans, schwarzem T-Shirt, mit ein wenig Glitzer-Schmuck und einer Arbeitermütze stand die kleine Frau mit den dunkelblonden Haaren, dem schmalen und ernsten Gesicht, dem äußerst edlen Mund auf der großen Bühne. Sie hat eine für israelische Frauen typische ungekünsteltete tiefe Stimme. Ihre Lieder handeln von der Wirklichkeit ihres Landes: von der Kluft zwischen Leuten wie ihr, die im Kibbuz aufgewachsen sind, und den Arbeitern in den Fabriken. Von den Männern, die sie auffordert, keine Helden im Krieg, sondern lieber bei ihren Frauen im Bett zu sein. Ihr berühmtestes Lied, Schießen und Weinen, wird wegen seiner Antikriegshaltung im Radiosender des israelischen Militärs nicht gespielt; sein Refrain lautet:
Schießen und Weinen
Verbrennen und Spotten
Wann haben wir überhaupt gelernt
Lebende Menschen nicht zu begraben
Schießen und Weinen
Verbrennen und Spotten
Wann haben wir vergessen
Daß sie auch unsere Kinder getötet habe
Si Hi-Man verkörpert das, was der Zionismus, vor allem der sozialistische, anstrebte: ein von der Schmach des Ghettos unbelastetes, freies, unabhängiges und selbstbewußtes Judentum, dem der grundlegende innere Widerspruch einer Diaspora-Identität fremd ist. Mit Genugtuung stellte der israelische Botschafter Navon bei der Eröffnungsgala fest, daß das Festival einen Schwerpunkt habe, den es in den zwanziger Jahren, einer Blütezeit jüdischer Kultur, nicht gegeben hätte - eben die Existenz des Staates Israel.
Unter dem Einwanderungsland Israel stellen sich viele eine Art jüdischer Vielfalt oder gar einen „multikulturellen“ Staat vor. In Tel Aviv werden über 50 Sprachen gesprochen. Es herrscht jedoch ein starker, kollektiver Einheitsdruck. Auch wenn die jüdischen Einwanderer ihre eigene Kultur mitbringen, schließt sich die im Lande geborene Generation einem ziemlich ruppigen Einheitsstil an. Dieser bietet sich als Alternative zur Vergangenheit an, als Schlußstrich unter einer Geschichte der Demütigungen. Einer der wichtigsten Identitätsstifter ist dabei die Armee, wo alle Unterschiede der Herkunft und der Sprache kollektiv verschmelzen. Ein Produkt davon ist auch das Stereotyp der modernen Israelin. Mindestens zwei Jahre hat sie in der Armee gedient; danach gilt sie als besonders unfreundlich. Kratzbürstig, von den Strapazen des Alltags entnervt - der permanenten Anspannung, der Bedrohung durch die Araber, des niedrigen Lebensstandards in einer viel zu teuren Welt - schnauzt sie jeden nach Belieben an.
Tochter einer Überlebenden
Die Flucht in eine neue unbelastete Identität gelingt nicht immer. Überall auf der Welt, wo Juden leben, die der NS -Verfolgung entronnen sind, meldet sich neuerdings die sogenannte Zweite Generation zu Wort, die von der Verfolgung der Eltern geprägten Kinder. Es ist ein stummer Wahnwitz, den diese Generation jahrzehntelang ertragen hat, dessen Wunden mit Verspätung endlich auch in Israel erkannt worden sind. Wer das Tabu dieses Schmerzes lüftet, bricht jedoch mit dem Stereotyp vom freien, starken Israeli.
Mit dem Image einer starken Frau hat die Schauspielerin Gila Almagor gebrochen, deren Theaterstück Der Sommer von Aviha einen der Höhepunkte des Festivals bildete. Das Stück, eine One-Woman-Show, in der Gila Almagor alle Rollen zugleich spielt, ist die eigene, lange Zeit verdrängte Geschichte ihrer Kindheit, die sie vor drei Jahren ausgelöst durch eine Depression - versuchte, schriftstellerisch zu bewältigen. „Aviha“ heißt auf deutsch „ihr Vater“. Das Stück handelt von der Beziehung eines kleinen Mädchens zu seiner verrückten Mutter. Die Mutter hat eine Auschwitz-Nummer auf dem Arm. Der Vater des Mädchens ist vor dessen Geburt 1941 „in den Wäldern Polens“ gestorben. Das Mädchen, das versucht, alle Schande wegen und vor seiner unzurechnungsfähigen Mutter fernzuhalten, nimmt, ohne die eigentliche Wirklichkeit der NS-Verfolgung zu kennen, das ganze Leid der Mutter auf sich, erträgt ihre verrückten Anfälle, übernimmt die Verantwortung für ihr Wohlbefinden und hofft, daß irgendwann einmal der verlorene Vater zurückkommt.
Hebräerin
Genau wie viele andere Israelis zieht es Gila Almagor immer stärker zurück nach Europa zu den Orten ihrer Vorfahren. Ihr Vater stammt sogar aus Deutschland. Sie war mit ihrem Theaterstück zum dritten Mal in Berlin (ihr gleichnamiger Film gewann auf den Berliner Filmfestspielen den Silbernen Bären).
Das Bedürfnis, aus der israelischen Norm auszubrechen und sich seiner vielfältigen jüdischen Vergangenheit zuzuwenden, äußert sich auch in dem neuerlichen Interesse für die Dichterin und Symbolfigur der „deutsch-jüdischen Symbiose“, Else Lasker-Schüler. Sie, die sich eine „hebräische Dichterin“ nannte, die jüdische Symbolik problemlos mit deutschen Mythen und ihre Exzentrik mit einer geradezu kindlich selbstüberzeugten Religiosität verband, mußte im Jerusalemer Exil mit der Enttäuschung fertig werden, daß ihre Dichtung außer bei einer Handvoll Literaten nicht gefragt war, daß die deutsche Sprache nur noch als Nazi -Sprache galt und die Jerusalemer Kinder der Dichterin Steine hinterherwarfen.
Das israelische Nationaltheater „Habima“ aus Tel Aviv kam dem Bedürfnis, an der abgebrochenen Vergangenheit wieder anzuknüpfen, mit einem Stück über Else Lasker-Schülers letzte Jahre in der Emigration nach. In dem Theaterstück Else läßt sie Motti Lerner sagen: „Meine Gedichte haben dieses Volk mit soviel Würde geziert... sie sind lebende Worte Gottes, so wie er sie gewollt hat - auf deutsch. Diese Schurken sind es nicht würdig, meine Gedichte zu lesen, sie sind Gott nicht würdig.“ Nirgends fühlte sie sich unverstandener als in Jerusalem, der Stadt, von der sie sagte, daß man sie „nicht irgendwelchen Juden“ überlassen solle, sondern ausschließlich „Dichtern“.
Den feinen Unterschied zwischen ihrer imaginären hebräischen Welt und der jüdischen Wirklichkeit ahnte sie bereits in einer ihrer Hebräischen Balladen:
Mein Volk (1905)
Der Fels wird morsch,
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe...
Jäh stürz ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.
Hab ich mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhal
In mir,
Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,
Mein Volk
Zu Gott schreit.
Immerhin veröffentlichte sie noch 1943 in Jerusalem einen Gedichtband auf deutsch: Mein blaues Klavier. Verzehrt von unerwiderter Leidenschaft und höllischer innerer Einsamkeit, starb sie im Januar 1945 und wurde auf dem Ölberg begraben. Sie sollte die Gründung des jüdischen Staates nicht erleben, nicht einmal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Nachträglich wurde ihr Schicksal dennoch zu einem israelischen Schicksal. Als die Altstadt Jerusalems im Unabhängigkeitskrieg in jordanische Hände fiel, rissen jordanische Soldaten die jüdischen Grabsteine aus der Erde und pflasterten damit ihre Straßen. Als die israelische Armee Ost-Jerusalem im Sechs-Tage-Krieg 1966 zurückeroberte, war Else Lasker-Schülers Grabstein verschwunden. Ihre Bewunderer machten die Stelle ihres früheren Grabes aus, an der nun das zweite Begräbnis der letzten jüdischen Dichterin stattfand, die im Namen Gottes auf deutsch dichtete.
Nomadische
Jungfrau
Eine so originelle und poetische Religiosität wie die der Else Lasker-Schüler steht immer noch im völligen Widerspruch zur Realität des jüdischen Staates. Der eigentliche Ausgangspunkt des Judentums, die Auseinandersetzung mit Gott, ist in Israel der Erstarrung anheimgefallen. Das religiöse Leben, und das betrifft auch große Teile des bürgerlich-privaten, ist weitgehend in den Händen des orthodoxen Establishments, welches nur ein stures Befolgen der alten Traditionen fordert. Die liberalen Strömungen, wie sie in den USA vorherrschen, die Bewegung und Zündkraft ins Judentum bringen - unter anderem auch die jüdischen Feministinnen Amerikas -, werden in Israel kaum ernstgenommen. Die Prophetinnen und Richterinnen der Bibel, die Rabbinerinnen (immerhin war die erste Jüdin, die 1927 das Rabbiner-Diplom abgelegt hatte, eine Berlinerin), die sich nach der Jiddischen Mame aus Wilna und der Schönen Jüdin aus Toledo in einem dritten Typus wiederfinden - der jüdischen Bürgerrechtlerin aus New York - traten somit auch auf dem Festival nicht in Erscheinung.
Dafür trat Ofra Haza, die wunderschöne, schwarzhaarige, jemenitische Pop-Sängeirn, in der Berliner Philharmonie auf. Merkwürdig mädchenhaft geblieben, sang die über Dreißigjährige, mit pseudo-jemenitischem Filigranschmuck behängt, von Gott und der Wüste. Zu einem Kamel-Schritt -Rhythmus mit Disco-Untermalung, teils arabische, teils hebräische, teils englische Texte, welche die Tradition ihrer Vorfahren ehren. Immer wieder bezeugt sie ihre grenzenlose Liebe zu ihrer Mutter. Der Einklang mit den Traditionen, auf die sie sich beruft, macht diese irgendwie harmlos, fast ein wenig gefällig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen