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Wettgier, Pferdehintern, Buletten und Bier

■ Chergon gewinnt, Sulky-Champion Heinz Wewering hinter sich herziehend, das 95.Deutsche Traber-Derby in Berlin / Siegertraber reiste mit Polizeischutz, damit ihn keiner heimlich füttert

Aus Berlin Gottlieb Haferkwiet

Ein Schah von Persien hat in England einmal eine Einladung zu einem Pferderennen mit der Begründung ausgeschlagen, er wisse schon, daß ein Pferd schneller läuft als das andere, welches sei ihm egal. Dem Mann konnte nicht geholfen werden. Anders stand es am Sonntag um mehr als 18.000 ZuschauerInnen in Berlin-Mariendorf, die dem Sieger im 95. Deutschen Traberderby zujubelten oder verwünschten, je nachdem, was sie auf ihren Wettzettel geschrieben hatten.

Das wiederum dürfte dem dreijährigen Hengst Chergon aus dem Gestüt Forstwald ziemlich egal gewesen sein. Der Hengst ertrabte inklusive seines Vorlaufsiegs 260.000 D-Mark für zweimal 1.900 Meter Laufen. Für Chergons Lenker Heinz Wewering, mit 8.100 Siegen weltweit der erfolgreichste Trabrennfahrer, war es der fünfte Derby-Sieg seiner Laufbahn.

Wer am Sonntag einen Sitzplatz ergattern wollte, mußte früh kommen, denn das Derby ist nicht irgendein Pferderennen, sondern das Volksfest der Traberleute, ein Exzeß aus Wettbegierde, Pferdehintern, Buletten, Bier und feinem Zwirn - sofern das geht, denn der Trabrennsport war stets der Pferdesport der kleinen Leute. Seit der Gründung 1895 wird das Derby in Berlin gelaufen, und nur einmal, 1945, mußte es ausfallen.

Seit Ende letzten Jahres werben in Berlin erstmals wieder zwei Trabrennbahnen um die Gunst der Wetter, und so kam es, daß während der Derby-Woche innerhalb von neun Tagen nicht weniger als sieben Renntage abgehalten wurden, das waren rund 100 Trabrennen in einer Woche.

Finnland-Expreß contra Forstwald-Renner

Sportlicher Höhepunkt war dabei nicht allein das Derby, wo die Dreijährigen ihre noch jungen Kräfte messen, sondern der der schnelle Auftritt des finnischen Weltklassetrabers Express Ride, der mit der Kilometerdurchschnittszeit von 1:13,4 Minuten am Mittwoch abend einen neuen Mariendorfer Bahnrekord aufstellte.

Am Sonnabend, ein Tag vor dem „Rennen der Rennen“, fand bereits das Stuten-Derby statt, in das die Pferdedamen wahlweise gegangen werden, wenn ihren Besitzern die Übermacht der Hengste zu groß erscheint. Trotz prinzipieller Gleichstellung hat sich, statistisch gesehen, eine Dominanz der Hengste herauskristallisiert, so daß nun zum zweiten Mal eigens ein Stuten-Derby ausgelaufen wurde. Hier siegt die bayerische Traberin Nuit, die (aus einer Französin von einem Amerikaner abstammend) erst nach einer Protestentscheidung den Sieg zugesprochen bekam. Für viele Wetter hieß das: Schnitzeljagd, denn mancher Gewinntipp dürfte schon im Müll gelegen haben.

Die Derby-Woche ist so eine Art Jahresmeeting der kleinen, aber zähen Trabergemeinde, die abseits vom noblen Pferdesportambiente stets um die Anerkennung im Lager der „horsemen“ kämpfen mußten. Wer sich einen Traber hält, hat nicht unbedingt einen Hotelkonzern im Rücken, in vielen Fällen müssen die Trainer auf das Bezahlen der Rechnungen durch die Pferdebesitzer warten. Im Trabrennsport zählt nur der Erfolg des Tages, langfristig zahlen fast alle drauf, Wetter wie Pferdebesitzer - manche sind ohnehin beides.

Ein bißchen hat die Derby-Woche etwas von einem Familienfest, bei dem auch zufällige Gäste nicht abgewiesen werden. Die Spannung steigt am Sonntag morgen, wenn hinter den Kulissen die Rennsulkys für den Großeinsatz präpariert werden. In vier Vorläufen qualifizieren sich je zwei Pferde für den Endlauf, zwei weitere dürfen als zeitschnellste Dritte noch am Finale teilnehmen. In der neuen Derby -Rekordzeit von 1:14,9 Minuten pro Kilometer siegte der große Favorit Chergon mit seinem Trainer Heinz Wewering, der fünf Pferde in das Finale gebracht hatte, letztlich sicher, nachdem sich in den Vorläufen einige Pferde als ernsthafte Konkurrenten herausgestellt hatten.

Ein Star mit

schlechtem Stallgeruch

Chergon hatte zudem eine besondere Besitzerrechnung zu begleichen, war doch ein Jahr zuvor Lisa's Boy, ebenfalls aus den Gestüt Forstwald, nach dem Derby des Dopings überführt worden. Dieses Vorjahresderby harrt immer noch seiner juristischen Klärung durch die Gerichte. Chergon soll sogar mit Polizeischutz angereist sein, um jegliche Gefahr eines böswilligen Fremddopings auszuweichen. So gesehen heißt also der vorläufige Derby-Sieger 1990 Chergon (von Graf Zepplin aus der Chelsy). Der Sieger zahlte am Toto 12:10 D-Mark, was höchstens Kleinwetter jubeln ließ. Geehrt wurde Pferd und Fahrer von Bürgermeisterin Ingrid Stahmer, die daraufhin von einem Zocker als diejenige identifiziert wurde, die er doch aus dem Fernsehen kenne.

In diesen Tagen vom Rennsport zu berichten, wirft natürlich Fragen auf, ob nicht doch das Böse im Menschen an jeder Koppel lauert. Denn Zweiter im Derby wurde Bayano aus dem Besitz von Alwin Schockemöhle, der vorsorglich nicht nach Berlin gereist war. Mit diesem Namen hat man derzeit auf den Pferdesportplätzen der Welt nicht viel zu bestellen. Der Trabrennsport hält sich noch schadlos im großen Schatten von Paul Schockemöhle, aber es gibt sie auch hier, die großen und kleinen Skandale aus Doping, Wettmanipulation und tierschützerisch bedenklichem Umgangsweisen mit dem Pferd.

So eine Derby-Woche offenbart aber auch, daß sich der Trabsport trotz aller Teilhabe am Geld, Showspektakel und machtpolitischer Eitelkeit eines gewissen Dilettanten -Charmes und des leicht Rückständigen sowie einer kleinbürgerlichen Vergnügungsfreude nicht entziehen kann. Dafür kann man ihn auch lieben.

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