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Schmetterlingsflattern von Insel zu Insel

■ Berlin - mehr Brücken als Venedig, mehr Inseln als die Lagune von Venedig: Proletarische und feudale, Trutzburgen und Sandhäufchen, Sumpfschildkröten-Idyllen und Industrieanlagen

Von Ute Scheub

„Es war an einem Nachmittage auf der Pfaueninsel, daß ich mir meine schwerste Niederlage holte. Man hatte mir gesagt, ich müsse dort im Grase mich nach Pfauenfedern umsehen. Wieviel verlockender erschien mir nun die Insel als Fundort so bezaubernder Trophäen. Doch als ich dann die Rasenplätze kreuz und quer vergeblich nach dem Versprochenen durchstöbert hatte, beschlich mich, mehr als Groll gegen die Tiere, die mit ihrem unversehrten Federschmuck vor den Volieren hin und her spazierten, Trauer. Funde sind Kindern, was Erwachsenen Siege.„

Zauber über den Inseln

Nicht nur Walter Benjamin, der wunderbare Schriftsteller, ist den Reizen der Berliner Inseln erlegen. Seine „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ gibt ein kleines Stück von dem Zauber frei, der über ihnen liegt. Oder ist das nur die Einbildung eines kindlichen Gemüts? Inseln sind Kinderträume. Eilande, auf die man sich flüchten kann vor dem bösen Papa, der fiesen Großstadt und der gemeinen Welt. Bergende Nischen, Plätze der Fantasie, wahlweise mit dem Lendenschurz eines Robinson Crusoe oder einem liebesgebrochenen Herzen zu betreten.

Berlin hat Dutzende von Inseln und solchen, die es noch werden wollen. Was Wunder: „Die Stadt der Seen“, wie sie in den Reiseführern heißt, wird nicht nur von Havel, Spree und Dahme durchflossen, sondern auch, in Hunderterzahl, mit Pfuhlen, Teichen, ehemaligen Kiesgruben und Seen jeder Größe bereichert. Da ist es nicht weiter erstaunenswert, wenn die Inseln und Inselchen - auf dem Stadtplan zählt man 31 mit Namen, doch mit den namenlosen sind es noch einige mehr -, ganz unterschiedliche Charaktere entwickelt haben - wie eben in einer großen Familie üblich.

„Ich hatte etwas gesucht, was mir die Insel ganz zu eigen gegeben, sie ausschließlich mir eröffnet hätte. Mit einer einzigen Feder hätte ich sie in Besitz genommen - nicht nur die Insel, auch den Nachmittag, die Überfahrt von Sakrow mit der Fähre, all dieses wäre erst mit meiner Feder mir ganz und unbestreitbar zugefallen. Die Insel war verloren und mit ihr ein zweites Vaterland: die Pfauenerde.„

Die Pfaueninsel ist ein Traum, Schwanenwerder ist ein Protz

Das Potsdamer Gut Sakrow - vor einem knappen Jahrhundert der Ausgangspunkt für den jüdischen Literaten Benjamin und vor gut drei Jahrhunderten für den sogenannten Großen Kurfürsten. Er, der preußische Herrscher, entdeckte als erster welche Idylle sich im damaligen „Pau-Werder“ vor seinen Blicken ausbreitete. Die Pfaueninsel ist ein Traum, ihre Nachbarin Schwanenwerder - wegen manch zweifelhaften früheren Bewohners von der Familie Goebbels bis zu Axel Springer auch „Bonzenwerder“ geheißen - ist ein Protz. Doch so unterschiedlich sie sind, beide gehören sie unbestritten zum feudalistisch-reichen Sproß der Berliner Inselfamilie, der sich im Großen Wannsee breitgemacht hat. Ihr proletarisches Pendant hingegen machte es sich weiter Havel -aufwärts, auf dem Tegeler See, im Einzugsgebiet der Arbeiterviertel von Wedding und Reinickendorf bequem.

„Gelegentlicher Sommerreisen unbeschadet, bezogen wir eh ich zur Schule ging alljährlich Sommerwohnungen in der Umgebung. An sie erinnerte noch lange an der Wand meines Knabenzimmers der geräumige Kasten mit den Anfängen einer Schmetterlingssammlung, deren älteste Exemplare in dem Garten am Brauhausberge erbeutet waren. Kohlweißlinge mit abgestoßnen Rändern, Zitronenfalter mit zu blanken Flügeln vergegenwärtigten die heißen Jagden, die mich so oft von den gepflegten Gartenwegen fort in eine Wildnis gelockt hatten, in welcher ich ohnmächtig der Verschwörung von Wind und Düften, Laub und Sonne gegenüberstand, die dem Flug der Schmetterlinge gebieten mochten.„

In Reiswerder hat Berlin aufgehört zu herrschen

Reiswerder, Tegeler See. Hier gaukeln die Schmetterlinge über die kleine weiße Fähre „für 30 Personen“, die halbstündlich die kurze Strecke zwischen Festland und Eiland durchdieselt. Den Fährmann im weißen Hemd hat nicht die BVG, sondern der „Verein der Naturfreunde von Baumwerder -Reiswerder“ angestellt. Unter dichtem Baumbestand und entlang dem schilfigen Ufer piepen hier nämlich die Naturfreunde in 120 Lauben, ohne Strom und Wasserleitungen und durchaus vergnügt.

Hier hat Berlin aufgehört zu herrschen. An den stillen Sandstrand im Westen der dreikommafünf Hektar Inselglück, da wo der Nachwuchs noch abends um acht in tiefen Sonnenstrahlen badet und der Handtuchhalter so schrecklich praktisch unter den Bäumen verschraubt worden ist, schließt sich ein schilfernes Vogelschutzgebiet an. „Sumpfschildkröten“ und „seltene Vögel“ gäbe es hier, wird den Fremden anvertraut.

Doch noch stolzer sind die Naturfreunde auf ihr dreigiebeliges hölzernes Rathaus mit Glockenturm und Wetterhahn, „das kleinste Rathaus Europas“. Es wirkt ein wenig wie die Volkskammer für Gartenzwerge.

Eine freundliche Nachbarin lugt da über den Zaun. In einer der Arbeiterlauben auf der Nachbarinsel Baumwerder aufgewachsen, hat sie das erste Vereinsrathaus von 1914 noch gesehen. „Früher waren wir ja noch alle auf Baumwerder. Aber 1937 warf Hitler die Leute dort raus, weil er Brunnen für Charlottenburg brauchte. Die Vertriebenen verteilten sich auf Maienwerder und Reiswerder. Und dann kam auch das Rathaus mit und wurde hier wieder aufgebaut. Meine Schwester hat sich hier drin in einem Loch zwischen den Brettern vor der Russen versteckt, jaja. In dem alten Rathaus, denn das neue wurde erst 1979 gebaut.“

Die netten Bierbauchinsulaner

Generationenlang leben sie hier schon. Sie sind eine verschworene, versippte Familie, die netten Bierbauchinsulaner von Reiswerder. „Die Leute kennen einen besser, als man sich selbst“, sagt einer. Und ihre Lauben nach Recht und Gesetz übrigens nicht größer als 18 Quadratmeter - werden von den Eltern auf die Kinder oder vom Verein an interessierte Mitglieder weitergegeben. Auch der Sohn der Nachbarin, die auf Baumwerder groß wurde, hat jetzt seine Datsche hier - und wenn sie nicht gestorben sind, so werden noch die Kindeskinder Naturfreunde sein, sich auf dem Gemeinschaftsklo entleeren, ihr Wasser aus den drei Inselbrunnen und den Strom für eine Stunde Kleinbild-TV aus ihrer Dachsolaranlage holen. Und warum auch nicht? Auch die Schmetterlinge und die Wespen werden weiter fliegen.

„Sie flatterten auf eine Blüte zu, sie standen über ihr. Den Kescher angehoben erwartete ich nur noch, daß der Bann, der von der Blüte auf das Flügelpaar zu wirken schien, sein Werk vollendet habe, da entglitt der zarte Leib mit leisen Stößen seitabwärts, um genau so reglos eine andere Blüte zu beschatten und genau so plötzlich, ohne sie berührt zu haben, sie zu lassen.„

Eiswerder - Ein Auswuchs des finstersten preußischen Militarismus

Wenn der Schmetterling von Reiswerder zu Eiswerder findet, dann nur in einem fast dialektisch anmutenden Sprung zurück von der Freizeitgesellschaft zur Industrie. Auch das grüne Reiswerder und das graue, dem Zentrum von Alt-Spandau durch Brücke und Geschichte verbundene Eiswerder sind in gewissem Sinne Gegensätze.

Dies noch mehr, wenn man bedenkt, daß die kleine Insel mit ihren erdfarbenen Industriebauten unter dunklen Bäumen historisch geradezu ein Auswuchs des finstersten preußischen Militarismus war. Von 1748 an zuerst noch friedlich durch steiermärkische Emigranten besiedelt, wurde sie 1826 dem Militärfiskus übergeben. Zwischen einigen wenigen Weinstöcken - wie sauer der Vino Berlino wohl war? - legte man hier nun ein Pulvermagazin, dann ein aus der Spandauer Zitadelle ausquartiertes „Königliches Feuerwerkslaboratorium“ und schließlich ein „Geheimes Raketen-Laboratorium“ an. Wenn beim Basteln und Zündeln was schief gehen sollte, so wird sich der König gedacht haben, der längst auch das benachbarte Spandau zur Garnisonsstadt und „Waffenschmiede Preußens“ erkoren hatte, dann fliegt den Leuten nur die Insel und nicht mir mein Festland um die Ohren.

Auch die schmiedeiserne Große Eiswerderbrücke zwischen Spandau und der Insel, im Jahre 1901 für 1,8 Millionen Reichsmark gebaut, diente indirekt militärischen Zwecken: Sie sollte den teuren Fährdienst für die bei der Heeresverwaltung Beschäftigten einsparen. Wenn man sie heute von Spandau aus überquert, gelangt man nach ein paar hundert Metern auf Industriegelände aus neueren und noch schlimmeren Zeiten. In der Nazizeit siedelte sich dort unter anderem die Karl-Friebig-Schiffswerft- und -Maschinenfabrik und die Westfälische-Transport-Aktien-Gesellschaft WTAG an, die heutige Rhenus AG.

Andauernd schlägt

der Blitz ein

„Hier ist immer noch 50 Prozent Industrie“, weiß der vollbärtige Betreiber des uferwärts gelegenen „Inselrestaurants“. Die anderen 50 Prozent auf den 141.040 Quadratmetern teilen sich Vereine und Laubenpieper, eine Surfboutique und das Technische Hilfswerk mit seinem Übungsgelände. Die waffenklirrende Vergangenheit der Insel ist für den Kneipier und seine Nachbarn inzwischen zu bedrohlicher Naturform geronnen: „Hier schlägt andauernd der Blitz ein.“ Zwei Fernseher und eine Waschmaschine hat's schon erwischt, weil „irgendwo noch Metall eingebuddelt sein muß.“ Das nette hölzerne Inselrestaurant mit Seeblick hatte nämlich den Nazis als Waffenfabrik der Wehrmacht gedient.

„Es begann die alte Jägersatzung zwischen uns zu herrschen: je mehr ich selbst in allen Fibern mich dem Tier anschmiegte, je falterhafter ich im Innern wurde, desto mehr nahm dieser Schmetterling in Tun und Lassen die Farbe menschlicher Entschließung an und endlich war es, als ob sein Fang der Preis sei, um den einzig ich meines Menschendaseins wieder habhaft werden könne. Doch wenn es dann vollbracht war, wurde es ein mühevoller Weg, bis ich vom Schauplatz meines Jagdglücks an das Lager vorgedrungen war, wo Äther, Watte, Nadeln mit bunten Köpfen und Pinzetten in der Botanisiertrommel zum Vorschein kamen. Und wie lag das Revier in meinem Rücken! Gräser waren geknickt, Blumen zertreten worden; der Jagende selber hatte als Dreingabe den eignen Körper seinem Kescher nachgeworfen; und über so viel Zerstörung, Plumpheit und Gewalt hielt zitternd und dennoch voller Anmut sich in einer Falte des Netzes der erschrockne Schmetterling. Auf diesem mühevollen Wege ging der Geist des Todgeweihten in den Jäger ein. Die fremde Sprache, in welcher dieser Falter und die Blüten vor seinen Augen sich verständigt hatten - nun hatte er einige Gesetze ihr abgewonnen. Seine Mordlust war geringer, seine Zuversicht um soviel größer geworden.

Die Insel der Blauhemden ist untergegangen

Der Schmetterling ist tot, aufgespießt vom Kinde Walter Benjamin, der als Erwachsener im Angesicht der Nazihäscher selbst zum Gejagten wurde und daran starb. Verwehte Jugend. Kein Aufenthalt auf der Insel der Jugend, die vor dem Treptower Park in der Spree lungert, bringt sie näher. Und die Brücke, über die wir den Grünflecken im Fluß erreichen, wackelt nicht einmal, so wie die Lügenbrückchen der Kindheit - „wenn du gelogen hast, kommst du nicht rüber“.

Nach den Spuren des Nationalsozialismus auf Eiswerder nun der Realsozialismus auf der Insel der Jugend. Doch die Insel der Blauhemden ist untergegangen, hier werden nur noch Überreste ausgestellt: am Ende der Brücke der Jugendclub samt Disco im alten Turm; im kleinen Park das häßlichste und traurigste Liebespaar Berlins aus Granit und Gneis, so schlecht bearbeitet, daß ihm rostiger Draht aus den Rippen hängt; das halb verfallene Mädchenwohnheim mit dem DDR -typischen Briketthaufen vor der Tür. In seinem Innenhof, erzählt die Erzieherin mit den DDR-typischen auberginefarbenen Haaren, hat sich gerade ein Fuchs gesonnt. Und die Mädchen, die „aus sozialen Gründen“ nicht bei ihren Familien leben, dürfen jetzt über Nacht auswärts schlafen „na, früher war das ja alles viel strenger.“ Auch die Mädchen sonnen sich jetzt ein bißchen und schauen hinüber zur Liebesinsel. Ein kleiner, verkrauteter, herzförmiger Fleck im Wasser, und dahinter gleich der nächste, der Kratzbruch. Warum denn Liebesinsel? Weil ja eigentlich alle Inseln Liebesinseln sein müßten. „Aber früher, da durfte man dort ja gar nicht anlegen mit'm Boot. Da kam gleich die Wasserpolizei.“

„Für den Berliner gab es keine höhere Schule der Liebe als diese, die umgeben war von den Sandplätzen der Gnus und Zebras... Die Rufe und die Schreie dieser Tiere mischten sich mit dem Lärm der Pauken und des Schlagzeugs. Das war die Luft, in der zum ersten Mal der Blick des Knaben einer Vorübergehenden sich anzudrängen suchte, während er um so eifriger zu seinem Freund sprach.

Berlin entstand auf Inseln

Lernte man damals wirklich die Liebe im Zoo - jenem Gebiet, das die Westberliner nach der Teilung zu ihrem Zentrum erkoren? Doch die drei ursprünglichen, aus dem Mittelalter noch erhaltenen Zentren von Berlin und seinen Vor-Städten liegen anderswo - natürlich auf Inseln. Inseln im Dreiklang: Berlin-Cölln wuchs auf der Fischerinsel in der Spree, Spandau entstand auf der Havel-Insel mit der Zitadelle, Köpenick entwuchs seiner Schloßinsel, die von der Dahme umarmt wird.

Auch die Köpenicker Schloßinsel ist eine Art Zoo - im akkurat angelegten Schloßgarten zwischen den Blumenbeeten tummeln sich verschiedene Tiere in steinerner Form. Auch hier, wie schon auf der Insel der Jugend und auf jedem idyllischen Fleck im ehemaligen SED-Staate, wird das Auge mit jenen so unnachahmlich häßlichen Denkmälern des Realsozialismus geschunden. Zum Beispiel: Bezopftes Mädchen und lachender Junge auf Schildkröte. Oder: Giraffenmama beugt sich zu Giraffenkind.

Auf der Schloßinsel

hauste früher ein Bär

Früher, im Mittelalter, hatte hier ein Bär gehaust. Der Askanier Albrecht der Bär nämlich hatte den Wendenfürsten Jaczo de Copanic 1157 von nicht der ersten Trutzburg auf der Insel vertrieben. Bereits 825 war auf „Copanic“ alias Köpenick eine Burg entstanden - zurückübersetzt aus dem Wendischen heißt das Dorf übrigens einfach nur „Inselort“.

Die Burg verwandelte sich 1558 in ein kurfürstliches Jagdschloß und 1677 in ein Barockschloß. In seinem güldenen Bauch hausten dann nacheinander das Preußische Kriegsgericht, die verwitwete Prinzessin Henriette, der Militärfiskus, ein Staatsgefängnis, ein Lazarett, ein Haufen Königlicher Volksschullehrer aus Potsdam und schließlich das heutige Kunstgewerbemuseum. Fürwahr, eine merkwürdige, eben eine preußische Mischung.

„Viel früher hat er eine andre Blechmusik gekannt. Und wie verschieden waren beide: diese, die sich schwül und lockend im Laub- und Zeltdach wiegte, und jene ältere, die blank und schmetternd in der kalten Luft wie unter einem dünnen Glassturz stand. Sie lockte von der Rousseau-Insel und beschwingte die Schlittschuhläufer auf dem Neuen See zu ihren Schleifen und zu ihren Bögen. Auch ich war unter ihnen lange eh ich die Herkunft dieses Inselnamens, von den Schwierigkeiten seiner Schreibart zu schweigen, mir träumen ließ. Durch ihre Lage war diese Eisbahn mit keiner andern zu vergleichen und mehr noch durch ihr Leben in den Jahreszeiten. Denn was machte der Sommer aus den andern? Tennisplätze. Hier jedoch erstreckte unter den weit überhängenden Ästen der Uferbäume sich derselbe See, der mich, gerahmt, im dunklen Speisezimmer bei meiner Großmutter erwartete.„

Auf dem Großen Rohrwall ruhen tapfere Segler

So viel Wasser in einer Stadt lockt das Volk in den Sport. Der kleine Walter Benjamin lief sich die Schlittschuhe heiß auf dem Tiergartensee, auf dessen Inselchen ein Sanssouci -Gärtner die französische Grabstätte Rousseaus nachgebaut hatte. Derweil waren Benjamins Schulkameraden sommers vielleicht schon beim Segeln oder Rudern - zum Beispiel im „Seglerclub Oberspree“, der sich 1906 auf dem Großen Rohrwall in Köpenicks Langem See niederließ.

Ab und an fährt vom Grünauer Ufer eine behäbige Fähre hinüber zum Anlegesteg auf dem hundert mal hundert Meter großen Rohrwall. Doch wenn sie stilliegt, kann man sich in der Nähe ein Ruderboot und Blasen an den Händen holen, um dann endlich einen Fuß auf die grünbeschattete Insel zu setzen. Dort ruhen tapfere Segler und Angler in Liegestühlen vor einem Bierglas und lauschen in das Leben hinein.

Vor ihnen auf dem Wasser ziehen Segler und Paddler und Regattafahrer vorbei. Die Regattastrecke auf der Dahme erlangte ausgerechnet bei der Nazi-Olympiade von 1936 Weltruf, als die germanischen Ruderer fünf von möglichen sieben Goldmedaillen heim ins Reich holten. Auch der Bootssteg am südlichen Zipfel der Insel, wo heute die kleinen Jollen und die großen Kajütboote schaukeln, wurde just aus diesem Grund gebaut und heißt immer noch „Olympiasteg“.

Wie die Mitglieder des „Seglerclubs Oberspree“ mit den Nazis zurechtkamen, wissen wir nicht - spätestens aber die 1943/44 fallenden Spreng- und Brandbomben machten dem „regen Clubleben“ ein Ende. Auch das alte Clubhaus wurde zerstört und 1951 von seinen Mitgliedern „aus den Trümmern wieder aufgebaut“, wie einer aus eber jener Trümmergeneration erzählt.

Reif für die Insel...

Doch im gleichen Jahr übernahmen die östlichen Gewerkschaften die Sportvereine. Im neuen Clubhaus, einer kleinen Reparaturwerft und 31 Laubenkojen etablierte sich die „Seglersektion“ der Berliner Verkehrsbetriebe (BVB). „Der Seglerclub wurde vertrieben und durfte die Insel nicht mehr betreten“, berichtet die Westberliner Zahnärztin Ingrid Kobs, deren Mann zehn Jahre lang dem „Seglerclub Oberspree Kladow“ vorsaß, nicht ganz ohne Verbitterung. Man habe sich auch erst 1967 fest in Kladow niedergelassen, weil „wir immer dachten, die Teilung kann ja nicht ewig sein, und wir kriegen die Insel wieder.“

Heute sind es andere Interessenten, die den Großen Rohrwall zum Schrecken des Sektionsvorsitzenden Herbert Preiß zwecks Aufkauf heimsuchen. „Aber wir wollen hierbleiben und werden es wohl auch. Nun ja, ist ja auch sehr schön hier“, sagt der Sektionsvorsitzende mit einem weiten Blick über Wiese und Wasser.

„Von der Insel brachte Musik mich noch ein Stück nach Haus.„

Alle Zitate aus: Walter Benjamin, „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“, mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages.

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