: Nostalgie oder Neubeginn
■ Die Grünen im deutschen Umbruch
DOKUMENTATION
Noch immer ist offen, ob und mit welcher Bandbreite die Allianz Grüne/Bündnis 90 zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl antreten wird. Die Gründe für diese Hängepartie sind öffentlich kaum nachvollziehbar. Auch eine große Idee kann an kleinlichen Querelen scheitern - aber ist da überhaupt eine Idee, die über das politisch -parlamentarische Überleben hinausreicht?
Tatsächlich war die Absichtserklärung der Grünen (West), der Gruppen des Bündnis 90, der Grünen Partei (Ost), des Unabhängigen Frauenverbandes und der VL (Versprengte Linke), am 2. Dezember gemeinsam anzutreten, für die meisten Beteiligten eher eine Notlösung als ein Herzensanliegen. Ohne den Druck des Wahlrechts mit gesamtdeutscher 5-Prozent -Hürde und Huckepackverfahren hätte sich diese Koalition kaum gesucht und gefunden. Die diversen Wunschvorstellungen vagabundierten eher in Richtung eines „gesamtdeutschen Linksbündnisses“, eines schnöden Anschlusses der DDR-Grünen nach Modell Art. 23 GG und einer eigenständigen Kandidatur des Neuen Forums.
Es gibt noch kein geistiges Fundament für die Verbindung des grünen Projekts mit den Bürgerrechtsbewegungen, die in der Auseinandersetzung mit dem Staatssozialismus entstanden sind. Auf zwei Bundeskongressen blieb der Versuch, den politischen Ort der Grünen als „ökologische Menschenrechtspartei“ neu zu bestimmen, im parteiinternen Machtkampf stecken. In der bereits ausgehandelten Präambel ist nirgendwo zu spüren, daß da drei fundamentale Projekte (Ökologie, Frauenemanzipation, Bürgerrechte) zusammengehen, um gemeinsam etwas Neues zu entwickeln. Dabei ist doch schwer zu übersehen, daß alle drei „Tiefenströme“ in den Industriegesellschaften ausdrücken, die das tradierte Rechts -links-Schema sprengen. Wo das Bewußtsein für das Neue und seine Möglickeiten noch unentwickelt ist, hat das alte Denken Konjunktur. Das erklärt den bisherigen Siegeszug Kohls, und es erklärt die Misere der links-grünen Opposition. Angesichts des Untergangs des realen Sozialismus schwelgt die Linke in Nostalgie. Ein Ausdruck dieser Nostalgie ist die PDS. Auch im grün-alternativen Milieu ist sie weiterverbreitet, hüben wie drüben.
Als hätten 40 Jahre parlamentarisch-demokratische Entwicklung der BRD, die antiautoritäre Kulturrevolution von 1968 ff., die west-östliche Friedensbewegung, die gewaltfreie Revolution in der DDR und die zunehmende Integration der Bundesrepublik in supranationale Strukturen nicht die Chance für eine zivile Gesellschaft und die Überwindung nationalistischer Machtpolitik eröffnet, wird die kommende gesamtdeutsche Republik in einen bruchlosen historischen Kontext mit dem expansiven, autoritären, großdeutschen Nationalstaat gestellt. Der einzige Vorteil dieser fatalistischen Sichtweise ist, daß man sich endlich wieder in die Wagenburg der Systemopposition zurückziehen kann. Gesinnungsgemeinschaft statt Politik.
Angesichts des politisch-ökonomischen Debakels der Wiedervereinigung erscheint sie in vielen Augen als Quell aller gesellschaftlichen Übel, die jetzt auf die Noch-DDR zukommen. Die neuen Verhältnisse werden politisch als „Rechtsentwicklung“ wahrgenommen und soziokulturell als einzige Katastrophe. So finden sich grüne Frauen mit der PDS/Linke Liste in einer gemeinsamen Demonstration „gegen die Einverleibung der DDR, für ein selbstbestimmtes Leben“, in der es neben dem § 218 um „soziale Folgen der Einverleibung, AusländerInnenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus, Nationalismus, Militarismus, Familienideologie, Vernichtung der DDR-Identität und -Kultur“ geht (aus dem Protokoll des Bündnistreffens). Genau das ist der Geist jenes gesamtdeutschen Linksbündnisses, das sich in Kundgebungen und Appellen zusammenfindet. Die Linke als Opfer, das in der Rundumverteidigung gegen Kapital, Staat und Patriarchat für das Gute, gegen das Böse kämpft.
In einem Rostocker Demonstrationsaufruf gegen die Währungsunion wird die „DM-Invasion“ als „größte gesellschaftliche Katastrophe der letzten 40 Jahre“ bezeichnet. Gegenüber den Schrecken des realen Kapitalismus erscheint die alte DDR als von Mauer und Stasi geschützte Idylle. RepräsentantInnen des Unabhängigen Frauenverbands sehen „die Frauenfrage um Jahrzehnte zurückgeworfen“ und möchten „manchmal schon Terroristin werden“ angesichts der Misere, die auf die DDR-Frauen mit dem „Manchester -Kapitalismus“ der BRD zukommt (taz, vom 16.7.1990). In Teilen des Neuen Forums wird von der „kommenden sozialrevolutionären Welle“ geträumt, an deren Spitze man sich diesmal setzen will, nachdem man im Herbst '89 von der Massenbewegung überrollt wurde. Die „soziale Frage“ rückt endlich wieder ins Zentrum linker Politik, und zwar in der borniertesten Form des Interessenkampfes, bei dem sich niemand um Prioritäten und Finanzierungskonzepte kümmern muß, solange es sich nur um gerechte Forderungen handelt.
Aktionseinheit der politischen Regression
Bei der Klage über die Vernichtung „sozialer Errungenschaften“ oder den drohenden Kahlschlag im staatlichen Kulturpark der DDR wird verdrängt, daß diese Errungenschaften nur durch jahrzentelange Unterinvestition in Betrieben, Infrastruktur, Gebäuden und durch eine wachsende Außenverschuldung finanziert werden konnten. Ganz zu schweigen vom ökologischen Ruin der Industrieregionen als der verheerendsten Hinterlassenschaft dieser Art Ökonomie. Die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ wurde, wie Harry Tisch jetzt veröffentlichte, schon 1977 im Politbüro als ruinöse Fiktion protokolliert. Zwölf Jahre später war die Substanz verzehrt, das Kartenhaus stürzte zusammen. Die SED machte sich davon, tauchte geläutert als PDS wieder auf und spielt den Rächer der Enterbten - und der grüne Bundesvorstand finanziert die Aktionseinheit der „linken Opposition“ (10.000 DM für die „Einverleibungsdemo“). Es ist die Aktionseinheit der Verdrängung und der politischen Regression, die sich da zusammenfindet, die Geburt einer linken Dolchstoßlegende. Es ist also noch lange nicht ausgemacht, was aus der Koalition der Grünen (West) mit den Oppositonsbewegungen der DDR herauskommen wird. Beide sind ausgesprochen heterogene Kräfte. Möglicherweise droht eine gesamtdeutsche Neuauflage des langjährigen grünen Konflikts zwischen „Fundamentalopposition“ und „Realpolitik“ um die Frage, wieweit wir uns auf Reformpolitik einlassen und auf Regierungsmehrheiten zielen sollen. Mit Sicherheit wird die Auseinandersetzung weitergehen, ob das neue Projekt mit der PDS und der SPD-Linken um den linken Ehrenplatz wetteifern soll oder ob wir endlich die Leinen losmachen und den Versuch wagen, gesellschaftliche Allianzen für Ökologie und Bürgerrechte quer zu den traditionellen politischen Lagern zu schaffen.
Zeiten bloßer Zuschauerdemokratie sind passe
Der Bedarf für eine Kraft, die die ökologische Herausforderung in das Zentrum ihrer Politik rückt und konsequent auf demokratische Willensbildung, Föderalismus und Selbstverantwortung setzt, wird wachsen. Die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen wird das große Thema der nächsten Jahrzehnte sein, und zugleich hängt die Steuerungsfähigkeit der beiden Großsysteme Staat und Markt zunehmend von der Eigeninitiative und dem Engagement der BürgerInnen ab. Das aus den Fugen geratene Großexperiment „deutsche Einheit“ ist dafür ein schlagendes Beispiel. Von „oben“ und „außen“ läßt sich weder eine effiziente öffentliche Verwaltung noch eine funktionsfähige Marktökonomie installieren. Die Zeiten der bloßen Zuschauerdemokratie, des Politikmonopols von Parteien und Exekutive sind passe. Jetzt geht es um die Republik im emphatischen Sinne: als Entscheidung der öffentlichen Angelegenheiten durch die Bürger. In den gewaltfreien Revolutionen in Mittel-Osteuropa und in der Praxis ihrer profiliertesten RepräsentantInnen wurde ein Stück dieser Utopie sichtbar. Das ist der Impuls, den wir aufnehmen müssen.
Ralf Fücks
Der Autor war bis zum Sommer Bundesvorstandssprecher der Grünen. Diesen Beitrag hat er für die heute in Bonn stattfindende Tagung von Grünen und BürgerrechtlerInnen aus Ost und West „Grüne im Umbruch“ geschrieben
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