GASTKOMMENTAR
: Geschichtsbuch zugeklappt

■ Zum Aufnahmestopp sowjetischer Juden in Deutschland

Geht es um die Einweihung einer „unseren jüdischen Mitbürgern“ gewidmeten Gedenkstätte oder darum (vor möglichst viel internationaler Presse, Jüdischer Weltkongreß und so), über „in deutschem Namen begangene Verbrechen“ andächtig- würdevoll, möglichst mit Käppchen, zu sinnieren, dann scheuen sie alle weder Weg noch Mühe: die Kohls, Weizsäckers, Bergmann-Pohls und Süssmuths, Vogels und — wie jetzt in Moskau — die Genschers. Endlos wird über das deutsch-jüdische Erbe schwadroniert und den jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur.

Wenn es aber darum geht, etwa einen Passus in das Grundgesetz einzubringen, der deutsche Verbrechen im Nationalsozialismus und die daraus resultierende Verantwortung deutlich anerkennt, dann hören wir sie nicht; dann wird, etwa in einer Denkschrift zur neuen Präambel des Grundgesetzes, Stalinismus in der DDR mit Nationalsozialismus gleichgesetzt und in der Präambel selbst vage von Kontinuität, Geschichte und Verantwortung gefaselt.

Es darf deshalb auch nicht verwundern, wenn BRD und DDR sehr wenig Interesse daran finden, zehntausend oder mehr Anträge zu bearbeiten und die in der Sowjetunion verfolgten Juden hier aufzunehmen: Juden, die wegen der hier kaum bemerkten zunehmenden Welle antisemitischen Hasses ihre Arbeit, Kultur und heimatliche Umgebung hinter sich lassen müssen (und was wären schon 10.000 Juden im Vergleich zu den 600.000, die hier einmal gelebt haben). Denn hier gibt es ja bekanntlich weder Platz noch Geld dafür, und Einwanderungsland sind wir schon gar nicht. (Der Freistaat Bayern hat im letzten Jahr großzügigerweise vier Juden aufgenommen; Berlin, mit mehreren hundert Juden und kargen Finanzen bildet da eine löbliche Ausnahme.) Ansonsten gab es im letzten Jahr zwar bekanntlich Platz für etliche Hunderttausend aus Osteuropa und der DDR, entweder mit Begrüßungsgeld oder als Deutschstämmige von Rumänien freigekauft, doch fehlt den Juden, den Zigeunern und den politischen Flüchtlingen dazu eben die Gnade der deutschen Geburt. Auch aus der eindrucksvollen Schulderklärung der DDR werden keine realen Konsequenzen mehr gezogen, und die Behandlung von nach Ausreise drängenden Juden seitens der DDR-Konsularstellen in der Sowjetunion spricht dieser Schulderklärung Hohn.

Das hat zwei Gründe. Zum ersten kommen hier keine Albert Einsteins oder Walter Rathenaus, also jüdische Edelmenschen, sondern ziemlich durchschnittliche Leute, die nicht einmal unbedingt Deutschlands Ruhm in der Welt mehren können. Wichtiger noch: Die wichtigen Verträge sind ja jetzt alle unter Dach und Fach, und deutsche Pflichtübungen zur Vergangenheitspflege sind nach außen hin nicht mehr vonnöten. Das vereinigte Deutschland macht hüben und drüben also ernst: Wir sind ein VOLK und wieder Herr im eigenen Haus. Hier können wir nur sagen: Werdet doch endlich ehrlich und hört wenigstens mit den obszönen Gedenkritualen auf, denn dieses Buch der Geschichte habt ihr längst zugeklappt. Michal Bodemann

Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gruppe Berlin