: In 20 Tagen nochmal 110.000 Anträge?
■ Der Magistrat wird überschwemmt mit Anmeldungen für vermögensrechtliche Ansprüche auf dem Gebiet Ost-Berlins/ Antragsende ist der 13. Oktober/ Experten schätzen 150.000 Anträge
Ost-Berlin. Bei der Finanzverwaltung des Magistrats von Berlin stapeln sich die Anmeldungen für vermögensrechtliche Ansprüche auf Ostberliner Gebiet.
Wie Finanzsenator Meisner mitteilte, gingen in Ost-Berlin bereits 40.000 Briefe ein, in denen Ansprüche auf enteignete Grundstücke, beschlagnahmte Betriebe, Hypotheken, Konto-Guthaben und andere Vermögenswerte erhoben werden. Angemeldet werden können auch Verluste, die »aufgrund unlauterer Machenschaften, z.B. durch Machtmißbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung entstanden sind«. Antragsberechtigt sind laut einer Verordnung vom Juni all die natürlichen oder juristischen Personen, einschließlich der Erben, die ihr Vermögen nach Gründung der DDR los wurden. Ausgenommen ist also das Vermögen, das, wie bei den Jüdischen Gemeinden, erst »arisiert später SEDisiert« , oder Vermögen, welches in der sowjetischen Besatzungszeit bis 1949 konfisziert wurde. Aber auch mit dieser zeitlichen Einschränkung, gegen die inzwischen viele Interessensverbände protestieren, werden die Landratsämter der gesamten DDR Hunderttausende von Anmeldungen zu bearbeiten haben.
Alleine die Westberliner Finanzverwaltung schätzt, daß noch mindestens weitere 110.000 Anträge gestellt werden, denn noch ist die Anmeldungsfrist nicht abgelaufen. Letzter Tag ist der 13. Oktober. Alle Anträge sollten, wie der Finanzsenator erläuterte, sicherheitshalber per Einschreiben mit Rückschein an das Landratsamt des Kreises geschickt werden, an dem der Berechtigte seinen letzten Wohnsitz hatte. Anspruchsberechtigt seien auch die Personen, die in Lastenausgleichsverfahren entschädigt wurden, denn gewährte Entschädigungen würden weder die Eigentumsfrage noch den Anspruch auf eine Ersatzleistung mindern.
Hektik herrscht nun bei diversen Anwaltskanzleien und dem Haus- und Grundbesitzerverein, die sich auf diese Rückerstattungsforderungen spezialisiert haben, vor allem deshalb, weil am 8. August die Volkskammer die Anmeldungsfrist kurzerhand vorverlegte. Ursprünglich war der Anmeldeschluß der 31. Januar 1991, ein Datum, das potentielle Investoren zittern ließ, denn wo und mit welcher Sicherheit ließ sich investieren, wenn die Besitzverhältnisse unklar sind.
Aber auch trotz verkürzter Anmeldefrist übertrifft die Antragsflut alle Befürchtungen der Volkskammer. Nicht nur in Berlin. Im Bezirk Frankfurt/Oder sind es bereits 23.500 Anträge, im Bezirk Potsdam rund 30.000. Gemunkelt wird in Parlamentarierkreisen und von westlichen Notaren, daß dreiviertel des gesamten Grundbesitzes in der DDR potentiell rückerstattet werden müßte. Eine Bremse wurde schon im Einigungsvertrag eingebaut. Grundstücke, auf denen im Interesse der gesamtdeutschen Volkswirtschaft wichtige Investitionen getätigt werden sollen, solche, die »vor allem Arbeitsplätze schaffen oder sichern« werden nicht rückerstattet. Für sie wird ein Verkehrswert festgestellt, und die ehemaligen Besitzer werden mit dem Geldwert »entschädigt«. Mit diesen Aufgaben, den Flächennutzungsplänen und der Wertfeststellung werden sich die Kommunen zu beschäftigen haben.
Mit Sicherheit stehen dabei Riesenärger und eine gewaltige Prozeßlawine ins Haus. Der für Vermögensfragen zuständige Ressortleiter im Bezirk Frankfurt/Oder, Arlt, kritisierte vergangene Woche, daß bei der Neuverteilung des ehemaligen Volkseigentums vielerorts Handwerker und Gewerbetreibende benachteiligt werden, obwohl sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Arbeitsplatzbeschaffung leisten. Die Bürgermeister vieler Kommunen entschieden sich oftmals dafür, das Vermögen an große Investoren zu vergeben. Beispielsweise Handelsketten böten Quadratmeterpreise bis zu 1.000 DM an — Beträge, die ein Mittelstand nicht aufbringen könnte. aku
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