: Besenrein übergeben oder Spuren sichern?
■ Umweltsenatorin und Kulturstadträtin luden zur Besichtigung von Industriedenkmälern längs der Spree und zum Lieblingsplatz der Umweltsenatorin/ In Oberschöneweides historischen Industriestätten arbeiteten 50.000 Menschen
Berlin. Die Mauer soll weg, und zwar ganz. Das sowjetische Ehrenmal in Treptow soll bloß schnell verschwinden. Die Volkskammer soll abgerissen werden, wir wollen unser altes Stadtschloß wiederhaben. Der Impuls zur Geschichtsvernichtung, der in Berlin immer wieder durchschlug, ist derzeit erneut kräftig erstarkt. Doch West-Berlins Umweltsenatorin Michaele Schreyer, Ost- Berlins Kulturstadträtin Irana Rusta und DenkmalschützerInnen aus Ost und West haben sich eine Gegenaktion einfallen lassen: eine Schiffsfahrt, um zusammen mit der Presse die alten Bauten längs der Spree zu besichtigen und die Chancen einer Wiederaneigung der ungeteilten Stadtgeschichte aufzuzeigen — einer Geschichte, die sich von Anbeginn längs dieses zentralen Wasserwegs entwickelt hat.
Wer weiß denn heute noch von jenem gigantischen Binnenhafen, über den Berlin zu Beginn des Jahrhunderts verfügte? Ohne das Netz der märkischen Kanäle zwischen Oder, Spree und Havel, ohne die rund 200 Ladestraßen und Umschlagplätze für Baumaterialien, Lebensmittel und Abfälle, ohne die vielen kleinen Häfen hätte die Stadt nie so wachsen können, wie sie es tat. So liegt denn auch das Schiff im Westhafen bereit, dem größten Berliner Hafen, zwischen Moabit und Wedding.
Nun, mit dem Hamburger oder dem Rostocker Hafen sind die drei Wasserbecken natürlich nicht zu vergleichen. Sie wollen auch nicht verglichen werden, sie haben ihre eigene Schönheit. Das wie ein Rathaus wirkende Verwaltungsgebäude, die Lagerhallen, der alte Getreidespeicher: sie sind aus demselben dunklen Guß der zwanziger Jahre. Strenger, schlichter »Siegesdorfer Eisenklinker«, Sockelgeschosse aus Granit, grüne Tore, vor denen schwarze, betagte Kräne rappeln. Im Hintergrund kippt ein Kranführer Wasser aus seiner Schaufel, langsam rinnt es große Berge von Kohlestaub hinunter. »Auflage der Senatsverwaltung für Umwelt, damit die Moabiter Hausfrauen nicht jeden Tag staubwischen müssen«, grient Schreyers Pressesprecher Thomas Rogalla. Die Kohlemassen sind Teil der Senatsreserven, die hier — noch — gelagert werden.
Auch am Hafenbecken nebenan kämpft ein großer Wasserstrahl gegen Staub. Hier werden jährlich zweieinhalb Millionen Tonnen Bauschutt, Schlacke und Reha-Gips gesammelt und dann auf dem Wasserweg entsorgt. Der Hauptanteil beim Export per Schiff ist Bauschutt, gleichen Wegs importiert werden vor allem Mineralölprodukte, Kohle und Baustoffe — am Gesamtgüterverkehr hat die Binnenschiffahrt einen Anteil von immerhin 20 Prozent. Und dennoch, oder auch gerade deshalb, fürchtet Michaele Schreyer, drohe den alten Hafenanlagen in West und Ost »einerseits der Verfall, andererseits aufgrund der Wachstumsdynamik Berlins möglicherweise der Abriß und die totale Veränderung bis zur Unkenntlichkeit«.
Wir verlassen den Hafen. Gemächlich tuckert die »MS Rixdorf« auf dem Kanal an den begrünten Ufern vorbei, die früher als Ladestraßen dienten, am Nordhafen zum Beispiel, der heute als solcher kaum mehr zu erkennen ist.
»Unschönes begehrt man zu schleifen«
Davor auf der linken Seite beginnt, wie soll man das heutzutage nennen, das Gebiet der ehemaligen Mauer. Abgerissen ist sie, nur noch einige wenige Überreste, gespickt mit Glasscherben, ragen empor. »Schönes, Würdiges, Erhabenes soll erhalten, womöglich neu gebaut werden; Belastetes — also Belastendes —, Unschönes, Unbequemes hingegen begehrt man zu schleifen«, faßt die Ostberliner Kulturstadträtin Irana Rusta den herrschenden Trend zusammen. »Nikolaiviertel und Berliner Schloß, Mauerreste und Kampfgruppendenkmal [siehe auch Bericht auf Seite 37; d.Red.]: Verniedlichung einerseits, Verdrängung andererseits. Ich behaupte, die beide Extrembegehren widersprechen einander nur scheinbar, sie wurzeln in ein und derselben oberflächlichen, selbstgenügsamen, bequemen Haltung zur eigenen Geschichte.« Man wolle die Areale offenbar »möglichst besenrein, was meint: frei von Spuren«, übergeben.
Doch noch sind die Spuren durchaus zu erkennen. Der Hamburger Bahnhof auf der westlichen, der Invalidenfriedhof, die Kaiser-Wilhelm-Akademie, die kleine Stadt der Charité auf der östlichen Seite. Und schon landen wir wieder in einem trichterförmigen Hafen: im Humboldthafen, Frau Schreyers ganz persönlichem »Lieblingsplatz«. Ein bißchen vernachlässigt und verkrautet sieht er allerdings aus, »aber das könnte was werden«, befindet sie. Die alten Pfeiler der S-Bahn-Brücke zum Lehrter Stadtbahnhof müßten »wegen der komplizierten Durchfahrt für die Schiffe leider weggenommen werden«. Aber für die kommende Bundesgartenschau habe sie vorgeschlagen, auf der östlichen Seite einen »Uferweg« und auf der westlichen eine Halle anzulegen.
Die »MS Rixdorf« biegt nun nach der Einmündung des Kanals in die Spree nach links ab und schiebt sich stromaufwärts, Richtung Reichstagsgebäude und Bahnhof Friedrichstraße. Auf östlicher Seite, da wo die Mauer jetzt am Boden liegt, befindet sich ein wildes Ensemble in den grau- braun-beigen Farben der DDR, Schutthalden, Sandhaufen, verrostete Stümpfe der früheren Kronprinzessinnenbrücke. Die soll nun, berichtet die Umweltsenatorin, mit EG-Mitteln wiederaufgebaut werden, wahrscheinlich schön autogerecht mit Rampe, aber das sei für sie genausowenig akzeptabel wie der Abriß historischer Brücken, die demnächst dem Ausbau der Schifffahrtswege weichen sollen. Doch künftig, wenn hier Bundesbehörden zuständig seien, ahnt ihr Referatsleiter für Wasserbau, Peter Neugebauer, werde die Stadt nicht mehr viel zu sagen haben.
Abgeordnetensilo hinterm Reichstag?
Dies allerspätestens dann, wenn Berlin Regierungssitz wird. Selbst die AL-nahe Senatorin könnte sich gegenüber vom Reichstag die »Büros der Abgeordneten oder die Landesvertretungen der Bundesländer« vorstellen, die die anarchische Romantik dieses Niemandslandes unter sich begraben würden.
Eine Behörde ist jedoch schon da, mit der unerträglichen Häßlichkeit des Plattenbaus ist sie gleich hinter der früheren Grenze in das historische Ambiente des Schiffbauerdamms hineingeplatzt, und Michaele Schreyer kennt sie gut: Es ist das DDR-Ministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit mit dem Stasi- Mann an der Spitze.
Nun, beim Passieren des alten Stadtkerns, der Museumsinsel, des Nikolaiviertels, der Mühlendammschleuse, kommen die Ostberliner Denkmalschützer Hubert Staroste, Robert Graefrath und Roland Schneider mit dem Erzählen kaum mehr hinterher. In dieser Gegend sind so manche stadtarchitektonischen Verbrechen begangen worden, der Abriß historischer Gebäude zwecks Straßenerweiterung und die Wiederverwendung von Fassadenteilen im durchgekitschten Nikolaiviertel ist nur eines davon.
Um in den Osthafen zu gelangen, das Pendant zu unserem Ausgangspunkt Westhafen, müssen wir noch die Janowitz-, die Schilling- und die 1894-96 in der Tradition der märkischen Backsteingotik gebaute Oberbaumbrücke unterqueren. Der Osthafen in Friedrichshain mit seinen dunklen Lagerhallen und altersschwachen Kränen, der zwischen 1907 und 1913 entstand, war einst der erste moderne Flußhafen Berlins. Doch weil man ihn brauchte, um dort täglich bis zu 240 auf dem Gleisanschluß heranrollende Waggons umzuladen, »vergaß« man, ihn in die Liste der 8.000 denkmalgeschützten Objekte Ost-Berlins aufzunehmen. Das 1828 von Oskar Pusch errichtete Eierkühlhaus bekam in den siebziger Jahren eine scheußliche Blechverkleidung verpaßt, die alten Hallenfenster werden zum Entsetzen der Denkmalschützer derzeit durch häßliche Glasziegel ersetzt. Im Inneren der Hallen lagern heute Robotron- Fernsehröhren, Labada-Sofas und »Waren des täglichen Bedarf«, wie einer der Lagerleiter Spirituosen nennt. Kalt und abgeschabt ist es dort, einige Fenster sind zerbrochen, Taubenfedern trudeln am Boden.
Gespenstische Ruhe in den Fabriken
Schiffswaren werden hier auf Gleise gehievt, die Journaille jedoch wird in einen Bus verladen. Letztes Ziel sind die längs der Spree gebauten Industrieanlagen in Oberschöneweide. Hier arbeiten auf wenigen Quadratkilometern rund 50.000 Menschen — im Transformatorenwerk, im Kraftwerk Oberspree, in der Akkumulatorenfabrik, im Kabelwerk, im Werk für Fernsehelektronik. Oder besser gesagt: sie arbeiteten. Tausende wurden bereits entlassen. Die Gesichter auf der Straße wirken grau, müde, manchmal auch aggressiv. Einige Jugendliche sehen aus, als verbrächten sie ihre Freizeit in einem Neonaziklub.
Auch das »Werk für Fernsehelektronik« hat seit Juli die Hälfte seiner 9.000 MitarbeiterInnen entlassen müssen. Ende Dezember laufen die Verträge mit der Sowjetunion aus, und in der DDR selbst kauft man lieber westliche Farbglotzen statt Eigenprodukte. Dennoch ist es im Betrieb geradezu gespenstisch ruhig. An den Schwarzen Brettern keinerlei Protestzeichen gegen die Massenentlassungen.
Nur einer hat, mit Bleistift und ganz dünn, »PDS« an eine Säule des Lichthofes im Inneren gekritzelt. Dieser ist ein architektonisches Prachtwerk: Ockergelbe Arkaden, drei Stockwerke hoch und überwölbt von einer Glaskuppel, erinnern eher an einen italienischen Innenhof oder an ein Theater denn an eine Fabrik. Wenn man hochsteigt, gelangt man in den Turm, der das Industriegebiet Oberschöneweide als Wahrzeichen überragt. Der ganze Gebäudekomplex, von 1915 bis 1917 unter Peter Behrens im Auftrag der Neuen Automobil-Gesellschaft Berlin erstellt, ist von riesigen Ausmaßen: 8.700 Tonnen Stahl und 12 Millionen Ziegelsteine wurden verbaut und unter grauen Außenverputz gelegt, so grau wie die Stimmung, die auch in der Transformatorenfabrik Oberschöneweide (TRO) herrscht. »Heute mußten wir wieder 500 Leute auf Nullarbeit setzen«, bekennt ein für Öffentlichkeitsarbeit zuständiger Herr namens Siebert. »Von ehemals 4.000 werden wohl nur 2.200 Beschäftigte übrigbleiben können.«
Die älteste Halle des Fabrikkomplexes, gebaut in verhaltener Backsteingotik, stammt aus dem Jahr 1899. Eine weitere galt in ihrem Baujahr 1928 als größte und modernste in Europa — »und in dem Zustand von damals ist sie immer noch«, grinst Siebert. Kisten und Kästen stapeln sich in ihrem Inneren, Rohre brummen, grummeln, zischen, ein Chaos in Braun und Grau. Die schwarzen Transformatoren, die die »TROjaner« hier montieren, wiegen bis zu 350 Tonnen — beeindruckende Ungetüme. Doch die Zeiten sind vorbei, in denen »der Dreher Karl Kalies in einer Sonderschicht seine Norm mit 260 Prozent« übererfüllte, wie in der »Zeittafel zur Betriebsgeschichte« noch stolz vermerkt wird.
Ob es für die ArbeiterInnen ein Trost sein wird, daß die Hallen des TRO ab 3. Oktober unter Gesamtberliner Denkmalschutz stehen werden? Mit diesem Datum gehen die 8.000 Ostberliner Denkmale gesetzlich in die Hoheit der Umweltsenatorin über. Doch eigentlich »muß diese Liste dringend überarbeitet werden«, findet einer der Denkmalpfleger. Früher habe immer ein Objekt gestrichen werden müssen, wenn ein neues dazukam, »und jetzt muß man Angst haben, daß die Wirtschaft die Abrißbirne schwingt«. Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen