Der Tod als Gummihandschuh

■ Raphael Mürles Figurentheater eröffnete das 7. Bremer Puppentheaterfestival

Ein Kugelschreiberset für eine Handpuppe! Da bräuchte man nichts beschreiben müssen, sondern könnte mit fremdem Kopf wackeln, was sofort alles höchst veranschaulicht, daß alle sich was dabei denken können. Aber unsereins kann nur zweidimensional wackeln und da beschreib' mal, wie ein Mond und drei Sterne so nach vorne weg-und nach hinten wieder aufklappen, daß es romantisch komisch wird; oder wie man ein dreistöckiges Bühnlein in einer Art Riesen-Ritter-Visier ansiedelt, welches aus beweglichen Scharnieren besteht, die auch immer nach vorne oder hinten weg- und sich auf einmal zu einem Totenkopf zusammenklappen. Oder wie läßt sich ein hochgehaltenes Herz beschreiben, das ein rotes Sofakissen in Herzform ist: hintendran drei Finger, das sind die Blutbahnen, und vom Tonband klopft's dazu so pumperlnd, daß das eigene Herz blutet. Oder wie Kleinman (sprich: Klainmän) erst ganz groß (später wird er kleiner) und nur Kopf ist, der schnarchend immer auf-(rrrrrrr) und abtaucht (püh). Zu Anfang also schläft Kleinman noch, da ist die Welt noch in Ordnung, obwohl schon ziemlich schwarz. Gleich wird Kleinman geweckt werden von seinen bösen Nachbarn, die mit ihren Brutalo-Knollnasen auf Kartoffelbasis und drunter nix als Knitterware! Jedenfalls: die bringen Kleinman aus der Ruhe, weil ein Mörder umgeht und selbstverständlich auch Kleinman bedroht und darum muß er mit Wache schieben. Gut, schiebt Kleinman eben mit Wache - von Tuten und Blasen verlassen, vom Tod auch keine Spur, aber der ist auch nur eine Allegorie für aufblasbare Bedrohung und Hirnrisse aller Art. Eine woodyalleneske Welt mit Gags, Weltschmerz, Leid und Freud. Die Einakter-Komödie „Tod oder Kleinmans letzte Nacht“ ist auch von Big Woody himself — ach, was würden wir ohne ihn mit den Abgründen in dir und mir machen!

Echtfinster und atemberaubend ist es auch im Packhaustheater. Raphael Mürles Figurentheater bespielt den ersten Abend des 7. Internationalen Bremer Puppentheaterfestivals, das Theatriumleiter Detlef Heinichen wunderbarerweise (trotz seiner chronischen Überbelastung) organisiert hat. Die Menschen sind so zahlreich erschienen, als hätten sie genug von abgestandenen oder mätzchenhaften Stadt-Theatern, als wollten sie sich einmal wieder berühren lassen und etwas sehen, was sie noch nicht gesehen haben. Womit wir bei Vorstellung und Imagination wären. Man will doch was zum Nachfantasieren haben! In der neuesten Produktion des Pforzheimers Raphael Mürle hat man somit viel zu tun. Der Absolvent des einzigen westeuropäischen Figurentheater-Hochschulstudiengangs in Stuttgart macht aus Woody Allens beißend komischer Satire über die Angst vor dem Tod eine Puppenspiel-Variation, die die ganze tragische Lächerlichkeit auf den bollernasigen Punkt bringt. Kleinman, eine Art gutgläubiger Ameisenbär, steckt seine Nase eigentlich am liebsten in gar nichts, weiß nichts, erfährt nichts, aber fürchtet sich schon mal. Und wie er da unter dem Sternenzelt im Puppensackkittel scharwenzelt, mit einer Prostituierten (“Huch!?“)anbändelt, ist er, auf Nase und Nase mit der nachbarlichen Intrige, dem allmählichen Gedeih des Verderbs ausgeliefert. Denn endlich greift der Tod in Gestalt eines giftgelben Gummihandschuhs nach unserm Kleinen und holt ihn heim in den Himmel, wo er als Engel endet. Hui schwenkt er sein klitzekleines Röcklein ganz oben überm Riesentotenkopf, so einen schwenkenden Ameisenbär-Engel sieht man selten. Claudia Kohlhase