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Kausalkette zum Herzinfarkt

■ Zwei junge Einbrecher verurteilt, weil traktierter Mann Herzinfarkt bekam

Das hätten sich an jenem Augusttag weder die jungen Einbrecher noch ihr schwergewichtiges Opfer alpträumen lassen: Daß ihre kurze abendliche Schlägerei einen Herzinfarkt mit tödlichem Ausgang zur Folge haben würde. Der Zweizentnermann Holger S. hatte nur beabsichtigt, die beiden Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen und solange festzuhalten, bis die Polizei eintreffen würde. Die beiden Einbrecher hatten nur vorgehabt, ihm zu entwischen und ihn deshalb mit gehörigen Schlägen traktiert. Doch Holger S. hatte, was er bis dahin selbst nicht wußte, ein schwerkrankes Herz. Und die Schläge und Kniestöße der Einbrecher gegen Brustbein und Rippen lösten einen Herzinfarkt bei ihm aus, an dem er Stunden später sterben sollte. Sind die beiden jungen Einbrecher jetzt nur für eine „gefährliche Körperverletzung“ oder auch für die nicht gewollte „Todesfolge“ verantwortlich? Gestern, am vierten Prozeßtag vorm Landgericht, sprach Richter Axel Fangk das Urteil: Die beiden Angeklagten hätten „schuldhaft eine Todesfolge gesetzt“. Stefan A., der die meisten Schläge ausgeteilt hatte, sei wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ zu zwei Jahren Haft verurteilen. Wieslaw G. bekam ein Jahr Jugendstrafe auf Bewährung.

Vergeblich hatte die Verteidigerin Angelika Polzin argumentiert, die Todesfolge sei für die beiden Angeklagten „nicht vorhersehbar“ gewesen. Der medizinische Zusammenhang „Brustkorbprellung — Herzinfarkt“ könne nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Schließlich habe noch nicht einmal die behandelnde Ärztin erkannt, daß die Brustkorb-Prellungen einen Herzinfarkt verursacht hatten. Im Gerichtssaal habe außer dem Gerichtsmediziner niemand gewußt, daß Autofahrer — nicht angeschnallt — mit 8 bis 21 Prozent Wahrscheinlichkeit einen Herzinfarkt erleiden, wenn ihr Brustbein auf das Steuerrad prallt. Ein Argument der Verteidigung griff Richter Fangk als „strafmildernd“ auf: Daß der Ärztin Dr. v.G. im Diakonissenkrankenhaus ein „ärztlicher Kunstfehler“ unterlaufen war, als sie den Herzinfarkt nicht als solchen erkannt und den Patienten unbehandelt nach Hause geschickt hatte, wo er eine halbe Stunde später gestorben war. Infolge dieser Fehldiagonose war die tragische Kausalkette nicht durchbrochen worden.

Die beiden Angeklagten hatten sich selbst gestellt, nachdem sie erfahren hatten, daß Holger S. am Abend nach der Tat gestorben war. Sie mußten nach all den juristischen Hin-und Her-Argumentationen mit dem Urteil zufrieden sein, da das Strafmaß auch bei „gefährlicher Körperverletzung“ ähnlich gewesen wäre. Doch dürfte es ein frommer Wunsch bleiben, was Richter Stefan A. mit auf den Weg gab: „Sie können die Zeit der Haft nutzen, um zu lernen, im Leben Fuß zu fassen.“ B.D.

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