3.Deutscher Aids-Kongreß in Hamburg: Viren, Geld & Safer-Sex-Videos
■ 2.500 Ärzte und Wissenschaftler konferierten vier Tage lang über das gesamte Themenspektrum bei Aids. Erstmals traten Selbsthilfegruppen lautstark und massiv in Erscheinung.
AUS HAMBURG GABI HAAS UND MANFRED KRIENER
Auf den Büchertischen stapeln sich inzwischen mehr als 200 deutschsprachige Bücher zu Aids. Daneben die neuesten Inhalationsgeräte, Immunstärkendes und natürlich im königsblauen Glanz der Stand der Pharma-Firma Wellcome, die sich mit ihrem Virushemmstoff AZT dulig verdient. Direkt hinter den Medikamentenherstellern laufen die Safer-Sex-Videos der Act-up-Gruppen: „Hast Du einen Ständer?“ fragt ein schöner Jüngling. Aber kaum einer sieht hin. Und doch waren beim 3. Deutschen Aids-Tag die Betroffenen nach schwierigen Vorgesprächen mit den Veranstaltern endlich stärker präsent, und erstmals wurde auch die soziale Seite von Aids ausreichend thematisiert.
Die epidemiologischen Daten über die Ausbreitung von HIV zeigen keine dramatischen Veränderungen. Am Bild der schleichenden Infektionskrankheit, die sich in der BRD nach wie vor auf die Hauptbetroffenengruppen von Homo- und Bisexuellen, Fixern und Blutern konzentriert, hat sich nichts geändert, auch wenn der Anteil der infizierten Frauen leicht angestiegen ist. Insgesamt 15 Prozent aller HIV-Infizierten sind Frauen, die meisten Fixerinnen. Bei 12 Prozent der Frauen wird eine Übertragung durch heterosexuelle Kontakte angenommen. Die (geschätzte) Zahl der HIV-Infizierten insgesamt bezifferte der Leiter des Deutschen Aids-Zentrums, Meinrad Koch, für die BRD auf 40.000. Weltweit sind es 10 Millionen. Mit inzwischen fast 6.000 Aids- Kranken sind die meisten Fälle der BRD in West-Berlin registriert worden. „Eine Entwarnung angesichts dieser Zahlen ist völlig unangemessen“, kommentierte Koch.
Seit 1987 haben die HIV-Infektionen in der Bundesrepublik langsamer zugenommen. Koch sprach in diesem Zusammenhang auch von „Sättigungsphänomenen“ in den Risikogruppen. Die Krankheit breite sich nur solange aus, wie Menschen in einer bestimmten Gruppe infiziert werden könnten. In den Symposien wurde der durchschnittliche Zeitraum von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit auf etwa zehn Jahre beziffert. Die Überlebenszeit für Patienten mit dem Vollbild Aids ist inzwischen von vier (1984) auf 14 Monate angewachsen. Allerdings wurde auch von einem US-Patienten berichtet, der schon sieben Jahre mit Aids lebt.
Knapp ein Drittel aller von HIV- Infizierten Müttern ausgetragenen Kinder haben ebenfalls das Virus im Blut. Das ist das vorläufige Ergebnis einer seit fünf Jahren laufenden Langzeitstudie, in der 73 HIV-exponierte Kinder aus bundesdeutschen Kinderkliniken von Geburt an beobachtet wurden. Bisher steht fest, daß 19 dieser Kinder infiziert und 40 sicher nicht infiziert sind. Bei 14 ist die Frage noch ungeklärt. In der Untersuchung wurde außerdem nach den Gründen der Virusübertragung auf die Kinder, nach ersten Symptomen einer Infektion und nach den Krankheitsverläufen bei Kindern gefragt.
Eine erste Auswertung hat nach Angaben der Berliner Aids-Forscherin Grosch-Wörner ergeben, daß weder akute Erkrankungen der Mutter während der Schwangerschaft noch der Drogengebrauch Auswirkungen auf eine mögliche HIV-Übertragung auf das Kind haben. Bemerkenswert dabei ist, daß auch die Art der Entbindung keinen Einfluß auf das Übertragungsrisiko hat. Auf Kaiserschnittentbindungen, zu denen die Ärzte in diesen Fällen meistens geraten hatten, kann nach diesen Ergebnissen also verzichtet werden.
Klinische Auffälligkeiten waren bei der Geburt auch bei den später als infiziert erkannten Kindern noch nicht nachzuweisen. Erste Hinweise auf eine Infektion scheinen dagegen die Immunglobuline im Blut zu geben. Doch unabhängig vom Übertragungsrisiko rieten die Mediziner auf dem Kongreß schwangeren infizierten Frauen auch aus anderen Gründen, „einen Abbruch zu überdenken“, da sich der eigene gesundheitliche Zustand verschlechtern könnte. „Dennoch kann es in einigen Fällen sinnvoll sein“, so eine Hamburger Gynäkologin, „daß die Frau ihr Kind bekommt.“
Während die Bekämpfung des Virus selbst nur langsam vorankommt, (s. Wissenschaftsseite), zeigen sich erstaunliche Erfolge in der Behandlung der von der Immunschwäche ausgelösten Krankheiten. Eine der erfreulichsten Entwicklungen betrifft hier die Bekämpfung der Lungenentzündung PCP (Pneumozytis carinii pneumonie), die bislang häufigste Todesursache bei HIV-Patienten. Die Prophylaxe durch regelmäßige Inhalation von Pentamidin zeigt inzwischen eine, wie der Schweizer Spezialist H.Matthys sagte, nahezu hundertprozentige Erfolgsquote. Die häufigste schwere Komplikation bei Aids könne damit künftig zu einer seltenen Krankheit werden, wenn die Patienten regelmäßig zur Inhalation kommen und vor allem, wenn die Inhalationsgeräte dem neuesten Stand entsprechen. Für die Finanzierung der Wiedervereinigung, das beklagten auf dem Kongreß die Wissenschaftler genauso wie die Betroffenen, muß jetzt auch die Aids-Forschung bluten. Nachdem die Fördermittel aus dem Bundesforschungsministerium zunächst reichlich geflossen waren, drohen die Geldquellen jetzt zu versiegen.
„Wir sind in ein DDR-Loch gefallen und sitzen plötzlich vor leeren Reagenzgläsern“, erklärte einer der Organisatoren des Kongresses, und die Frankfurter Virologin Helga Rübsamen-Waigmann ergänzte: „Wir fühlen uns manchmal wie Depp.“ Viele laufende Forschungsprojekte seien gefährdet, weil die Zusagen für beantragte Mittel hinausgezögert würden. Während in den USA pro Kopf der Bevölkerung knapp acht Mark für die Aids-Forschung ausgegeben würde, sind es in Deutschland nur zwei Mark. Zum Vergleich: Für die Weltraumforschung läßt die Bundesregierung 50 Mark pro Einwohner springen. Im nächsten Jahr will der Bund auch die Aids-Modellprogramme, darunter spezielle Hilfen für Drogenabhängige und Prostituierte, auslaufen lassen. „Wir stehen bald vor leeren Ambulanzen, in denen es keine Betreuungspersonen mehr gibt“, ergänzte dazu Matthias Wienold von der Deutschen Aids-Hilfe .
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