piwik no script img

König Feurio, close up

■ Sasha Stone und William Klein: Zwei metropolitane Fotografen im Forum Böttcherstraße

Von Stone zu Klein und retour, da geht man von einem in den andren Saal des Forums Böttcherstraße. Oder aber man macht den Umweg einer kleinen, ziemlich aufregenden Zeitreise. Diese Doppelausstellung ist, vorausgesetzt, man weiß ein bißchen, wo man drücken muß, ein geeignetes Maschinchen dafür.

1. Raum, Sasha Stone, Kindskopf, Konstrukteur, geboren 1895 als Aleksander Serge Steinsapir in St. Petersburg, gestorben 1940 in Perpignan. Ein Leben also unter König Feurio. Krieg sowieso, Einstein, Freud nicht vergessen, und Revolution, kämpfende Klassen — die Kunst dieser Tage hat viele Vorschläge zu gütlichen Einigung eingereicht, sogenannt konstruktive des Inhalts: laßt uns doch annehmen, unser Problem sei ein technisches. So hat Sasha Stone wunderbare Fotos gemacht, von diesem und jenem, und nebenher einen halben Fotoratgeber voller nagelneuer Kniffligkeiten erst entdeckt, dann gelöst: Licht von links unten, riskante Ausschnitte, ungewöhnliche Motive, formale Spielereien. Lauter Versuche, herumliegende Einzelteile der alten Welt für einen ästhetischen Neubau zu sortieren.

Stone hat sich, scheint es, für rundum alles begeistern mögen, Malen und Bildhauerei und das Erfinden elektrischer Kanonen eingeschlossen, letzteres vielleicht nicht ganz zufällig. Seine Fotos, die einem, meint man, die Welt erzählen mit der Quirligkeit einer bodenlosen Plaudertasche, sind doch eher Dokumentationen von genauen Treffern, immer sozusagen ins Herz jedes beliebigen Objekts, warum nicht auch eines Paares ausgelatschter Schuhe. Von denen sehen wir die erbärmliche Hinterseite, aber in theatermäßiger Beleuchtung, die gleich ein Schicksal hermacht.

Sonst zu sehen: Max Schmeling im Baum, ein glotzender Fisch, Maschinenteile, Bauwerksmontagen, Gerüstmenschen, Akte, in Landschaften verwandelt. Und erste Reflexe auf das fordistische Zeitalter: ornamental gereihte Körper, Revuegirls in seriellen Kompositionen. Überhaupt scheinen Stone's Menschen zur Musterbildung, zur Abstraktion zu neigen. Im vielen Fällen sind sie, was Menschen bei den früheren Malerfotografen und Portraitisten nicht waren: bloß Bevölkerung formaler Spannungsgebiete. Oder umgekehrt: schöne Komplikationen des Bildaufbaus.

2. Raum, William Klein, Menschenjäger und —sammler, geboren 1928 in New York. Da ist es nun, einen weiteren Krieg später, vorbei mit der geometrisch gekühlten Gemütlichkeit. Klein hat in den Fünfzigern angefangen, für die unruhig zirkulierenden Menschenmassen des Nachkriegs eine Mitten-hinein-Technik zu entwickeln, genannt close up. Das heißt: Wenn man im Forum vor die Fotografien tritt, fühlt man sich sofort umringt. Das gefräßige Weitwinkelobjektiv holt möglichst viele Leute möglichst nah. Mehr war's nicht, was Klein wollte; was herausgekommen ist, zwingt einen zu visuellen Abenteuern. Das ist nicht immer ein Vergnügen.

In den Bildern herrscht größte Unruhe. Ihr Inhalt erscheint in der Form des Überfalls. Manche Blicke sind rasch, verhuscht, vieles fällt, halb angeschnitten, aus dem Rahmen, was uns zusätzlich ängstigt: es wäre wichtig gewesen, womöglich. Sich zu orientieren ist Schwerarbeit. Wir sehen Zuschauer, die an uns vorbei auf etwas hinter uns starren, wir sehen Demonstranten an uns vorbeimarschieren. Die Lust einzutauchen entsteht zugleich mit paranoider Platzangst.

William Kleins Bilder organisieren Erlebnistouren durch kreaturenhaftes Gewimmel. Sie ziehen uns in die Menschenhaufen und lassen uns groß anstarren, was sonst so lange nicht ertragen werden kann.

In William Kleins Bilderwelt gibt es freundlicherweise nur Menschengedränge und keines von Dingen. Man sieht kein einziges Gebäude; einmal ein Auto, aber auch bloß, weil vier Leute drinsitzen. Dinge sind, wenn sie überhaupt auffallen, Attribute der Menschenmengen. Das ist eine ungewohnte Personalisierung des städtischen Lebens, die, schätze ich, zur Hälfte aus illustriertenmäßigem Menscheln und zur Hälfte aus Bosheit besteht: Manches Leutegedränge sieht selber schon aus wie eine Karambolage von Neuwagen. Manfred Dworschak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen