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Spionage-Vorwurf gegen Schröder kaum haltbar

Hardthöhe weist Untersuchungen wegen schweren militärischen Verrats gegen 'Spiegel‘-Redakteur Schröder als „Unsinn“ zurück/ Staatsanwaltschaft Düsseldorf will im Januar über die Vernehmung des 'Spiegel‘-Redakteurs entscheiden  ■ Von Andreas Zumach

Bonn (taz) — „Ich möchte einmal sehen, ob der Bericht über Herrn Schröder in der nächsten Ausgabe des 'Spiegel‘ mit der gleichen Häme produziert wird, mit der auf jede andere Anschuldigung aus dieser Ecke [der Stasi; d.Red.] im 'Spiegel‘ reagiert wird.“

So FDP-Chef Lambsdorff am letzten Freitag in einem Rundfunkinterview zum „Fall“ des unter Verdacht der Stasi-Zuarbeit geratenen leitenden 'Spiegel‘-Redakteurs Diethelm Schröder und unter Anspielung auf die vom 'Spiegel‘ veröffentlichten jüngsten Spitzelvorwürfe gegen die Ex-DDR-Politiker de Maizière und Böhme.

Der heutige 'Spiegel‘ erweckt den Eindruck, als habe der Graf einen sehr kurzen Draht zur Chefredaktion des Nachrichtenmagazins. In einer reißerich aufgemachten Titelgeschichte wird der „Fall“ des angeblichen Stasispions im eigenen Hause ausgebreitet. Zahlreiche 'Spiegel‘- RedakteurInnen protestierten in den vergangenen Tagen bei der Chefredaktion gegen Tenor, Breite und prominente Plazierung der Schröder- Geschichte: Die groß aufgemachte Story hinterlasse bei den LeserInnen den Eindruck, an den Vorwürfen gegen ihren Kollegen sei mehr dran, als die „äußerst dünnen und fragwürdigen Beweise“ tatsächlich hergeben. Eine Hausmitteilung oder ein kürzerer Bericht wäre angemessener gewesen. Seit Drucklegung dieser 'Spiegel‘-Ausgabe ist die Beweislage und damit der Fall „schweren militärischen Verrats“ ('dpa‘) noch weiter zusammengeschrumpft. Der Sprecher der im „Fall“ Schröder ermittelnden Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft, Kuntze, bestätigte am Wochenende, daß der angebliche Topspion bislang noch nicht einmal von ihr kontaktiert wurde. Erst Anfang Januar will die Staatsanwaltschaft darüber entscheiden, ob der 'Spiegel‘-Redakteur überhaupt vernommen wird. Die von 'dpa‘ verbreitete Meldung über den angeblichen Verratsumfang trifft laut Kuntze nach dem bisherigen Stand der — immerhin bereits seit mindestens Oktober laufenden — Ermittlungen nicht zu.

Damit dementierte die zuständige Ermittlungsbehörde das Kernstück der Rufmordkampagne gegen Schröder, zu der die Medienberichterstattung der letzten Woche geriet. Hauptverantwortlich für diese Kampagne ist — neben der groß aufgemachten Berichterstattung des NDR- Fernsehmagazins „Panorama“ — der Bonner 'dpa‘-Korrespondent Friedrich Kuhn. Unter Berufung auf Offiziere des Verteidigungsministeriums verbreitete Kuhn am Mittwoch, daß Schröder „dank seiner hervorragendenen Beziehungen zu den höchsten Stellen der Bundeswehr so gut wie alle wichtigen Militärgeheimnisse nach drüben geliefert hat“. Dazu gehörten, so 'dpa‘-Kuhn, „brisante Einzelheiten der Bundeswehrplanung oder neuer Rüstungsprojekte wie Jäger 90 oder der deutsch-französische Panzerabwehrhubschrauber“. In den Akten der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft findet sich hierzu kein Wort. Doch Kuhns Meldung vom Mittwoch mittag fand weite Verbreitung in den deutschen Medien.

Minister Stoltenbergs Pressereferent Wichter bezeichnete die 'dpa‘- Meldung, „nach ersten Untersuchungen“ gehe die Hardthöhe von „schwerem militärischem Verrat“ aus, als „Unsinn“. Es gebe „keine Untersuchungen“. Bis Freitag abend hatte sich die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft in Sachen Schröder nicht an die Hardthöhe gewandt. In seiner Meldung hatte 'dpa‘-Kuhn „Bonner Sicherheitskreise“ mit der Äußerung zitiert, Schröder habe „erwiesenermaßen für die Stasi gearbeitet“. Daraufhin vom Büro Stoltenberg veranlaßte Nachforschungen ergaben jedoch: weder der Militärische Abschirmdienst (MAD) noch ein anderer Dienst hat das Ministerium je über einen Verdacht gegen Schröder informiert. Ein Stoltenberg-Mitarbeiter: „Es hat hier keine Erkenntnisse der Dienste gegeben, daß etwas mit Schröder gewesen sein könnte.“ Übereinstimmende Meinung auf der Hardthöhe ist, daß es sich bei dem 'dpa‘-Bericht um reine Spekulation handelt. Mit Schröder selber hat 'dpa‘-Kuhn übrigens überhaupt keinen Kontakt aufgenommen, bevor er seine Geschichte verfaßte.

Den Stein gegen Schröder öffentlich ins Rollen gebracht hatte das NDR-Magazin Panorama am letzten Dienstag mit einem Bericht, der sich vor allem auf angebliche Aussagen von drei Ex-Stasi-Mitarbeitern aus der ehemaligen DDR stützte. Die in Vernehmungsprotokollen des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) enthaltenen Einlassungen liegen der taz vor. Sie sind voller Widersprüche und Ungereimtheiten und haben auf der Hardthöhe zum Teil zu geradezu belustigten Reaktionen geführt. „Mit den Gehältern, die der 'Spiegel‘ zahlt, kann der Stasi doch gar nicht mithalten; das hat der Schröder doch gar nicht nötig“, kommentierte ein Hardthöhengeneral die Behauptung des vor einigen Monaten übergelaufenen Stasi- Obersts Manfred Roitsch, der 'Spiegel‘-Redakteur habe für seine Spitzeldienste monatlich 400 Mark erhalten. Der Ostberliner Rentner Werner Gärtner, angeblich Schröders Kontaktmann Mitte der 60er Jahre, erklärte laut BfV-Protokoll ausdrücklich, Schröder habe ihm „zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Berichte oder Unterlagen gegeben, die als Verschlußsache gekennzeichnet waren“. Kopfschütteln ruft bei Militärexperten auch die Panorama- Darstellung hervor, Schröder sei 1983 als erster Journalist mit dem neuen „Tornado“ mitgeflogen und habe danach Einzelheiten über das Cockpit des neuen Kampfflugzeuges an die Stasi verraten. Zunächst: mindestens ein Redakteur eines Rüstungsfachmagazins flog bereits vor Schröder im „Tornado“ mit. Zu dem Zeitpunkt kannte die DDR die Tornado-Konstruktionspläne längst.

Mit der Berichterstattung im „Fall“ Schröder wird sich nach Informationen der taz möglicherweise der Presserat befassen. Er ist in der Vergangenheit schon aus weit nichtigeren Anlässen tätig geworden. Es bleiben Fragen: Handelt es sich nur um eine Verkettung journalistischer Nachlässigkeiten und Unverantwortlichkeiten, oder gab/gibt es den gezielten Versuch, unter Mißbrauch des undurchschaubaren Stasi-Sumpfes an prominenter Stelle im kritischen Teil der deutschen Medienlandschaft einen Journalisten zu denunzieren und kaltzustellen?

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