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»Soldaten sind Mörder«

■ Über mögliche Fragezeichen hinter dem Tucholsky-Zitat wurde — zum 101. Geburtstag des Autors — diskutiert

Im Jahr 1931 schrieb Kurt Tucholsky: »Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben.« Im selben Jahr schrieb er auch, daß Soldaten Mörder seien. Das gute alte, vielfach gerichtsaktenkundig gewordene Zitat wurde vorgestern auf Einladung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft wieder einmal gedreht und gewendet und mit dem Golfkrieg im Nacken neu diskutiert.

Im Original hatte Tucholskys provokanter Satz einen Punkt am Ende — Carl von Ossietzky als Herausgeber der 'Weltbühne‘ brachte er deshalb in den Tegeler Knast, auch wenn er am Ende freigesprochen wurde. Und auch noch heute werden alle paar Monate Nachsprecher des Satzes angeklagt und — je nach Prominenz — von bundesrepublikanischen Gerichten freigesprochen oder wegen »Beleidigung«, »Volksverhetzung« etc. verurteilt. Freisprüche wiederum ziehen Urteilsschelte nach sich: Anläßlich des Freispruchs des Arztes Peter Augst befand etwa der Bundespräsident 1988, mit diesem Satz sei »die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung überschritten«. Jetzt wurde — sechzig Jahre nach Erstdruck des Satzes — in der Kurt- Tucholsky-Bibiliothek also wieder diskutiert, ob das so geht mit Punkt in unserer heutigen wehrhaften Demokratie unter uns Bürgern in Uniform oder ob es ein Fragezeichen braucht. Oder gar ein Ausrufezeichen. Dabei fehlten — wohl aufgrund wurstiger Einladerei — gerade die wichtigsten, die Soldaten. Die potentiellen Mörder. Die Mörder. Mit Punkt, Komma, Strich oder ohne. Und weil die Außenminister Baker und Asis gerade so schön nicht miteinander geredet hatten und die Jungberliner wegen ihrer neuen staatlichen Pflichten in Aufregung sind, wurde auch über den Golf und die überflüssige Wehrpflicht diskutiert.

Nachdem die Sängerin Evelyn Heidenreich Antikriegschansons des Meisters vorgetragen hatte, las die Ostberliner Kästner- und Tucholsky- Biographin Helga Bemmann aus ihrem Tucho-Buch. Das Zitat decke sich »nicht mit dem Gesamtwerk Tucholskys«, beeilte sie sich zu betonen und wiederholte dies noch mehrmals. Schließlich sei Tucholsky als Kind und Jugendlicher begeistert für Marschmusik und Uniform gewesen, habe am Ersten Weltkrieg teilgenommen und als Stabsschreiber im Baltikum gedient. Man müsse sich fragen, ob der Satz »ernsthafter Überlegung« entspringe oder eine »emotionale Reaktion« auf die eigenen Kriegserlebnisse sei.

Wollte Bemmann also Tucholsky als anständigen Menschen retten? Vielleicht ist es ja auch nur die alte ungewendete Zeit der ruhmreichen Tätigkeit der NVA, die hier durchkommt. Auch daß Tucholsky nicht aus Schweden nach Deutschland kam, um an dem Prozeß teilzunehmen, der von Ossietzky wegen des Mördersatzes gemacht wurde, fand Bemmann ziemlich verständlich. Immerhin habe der Prozeß ja auch nur wenig Echo gehabt.

In Abwesenheit der potentiell beleidigten Leberwürste, der Soldaten, sollte dann der Satz der Sätze diskutiert werden, von der grünen Bundestagsabgeordneten Vera Wollenberger (Ost), dem Totalverweigerer Christian Herz (West), dem verweigernden Reservisten Wolfgang Beyer (Ost) und dem Publikum. Herz, auch in der »Kampagne gegen Wehrpflicht...« engagiert, bezeichnete den Mörder-Satz als »Mahnmal«, das Denkanstöße geben solle. Der Satz solle Allgemeingut werden, und zwar mit Punkt und ohne Fragezeichen. Der Staat vergebe Mordaufträge und entlaste die einzelnen Soldaten dadurch moralisch, indem er per »Definitionsmonopol« zwischen »Angriffstöten« und »Verteidigungstöten« unterscheide. Herz forderte zur Desertion auf und wies darauf hin, daß es in der BRD kein volles Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Auch der Zivildienstleistende sei indirekt für die Teilnahme am Krieg rekrutierbar, der Zivildienst sei über die Wehrpflicht in den Kriegsdienst einbezogen.

Vera Wollenberger, MdB und früher im Volkskammerverteidigungsausschuß, ging erst gar nicht auf das Mörder-Zitat ein. Sie wies auf die globalen Folgen eines möglichen Golfkrieges hin, die einem nuklearen Winter ähnlich wären. Dies hätten kürzlich drei verschiedene Studien belegt, und erst seit dem Bekanntwerden dieses Ökoszenarios hätten sich die Politiker verstärkt um Verhandlungen bemüht, seien die Friedensbewegten aufgewacht. Erst aktiv zu werden, wenn daheim ein Rückgang der Temperatur um 25 Grad droht, sei zwar moralisch nicht unbedingt astrein. Aber sie hoffe, daß nun endlich ein Bewußtsein für die Gefahren des Krieges entstehe. Auch ohne einen Kriegsausbruch bleibe die Situation wegen des riesigen Aufmarsches am Golf gefährlich. Nur »konsequente Verweigerung« von Militärdiensten und der Arbeit in Rüstungsproduktion und -export könne da helfen.

Als der Reservistenverweigerer Wolfang Beyer, der sieben Monate im Knast gesessen hat, den Satz nach DDR-Recht (Mord = vorsätzlicher Totschlag) und BRD-Recht (Mord = Totschlag aus niederen Beweggründen) auseinandernahm, wurde die Diskussion endlich kontrovers, und auch das Publikum beteiligte sich. »Soldaten sind Totschläger, das klingt schlecht«, sagte Beyer und machte damit die Absurdität klar, den Satz mit juristischen Maßstäben zu beurteilen. Es gehe aber um ein moralisches Problem, eine Gewissensfrage, und deshalb sei das Tucholsky-Zitat »ein Satz, den alle Armeen der Welt positiv bedenken sollten«. Eine Zuhörerin brachte die Nürnberger Prozesse ins Spiel. Dort sei es um Mord gegangen und um nichts anderes, warum sollten diese Maßstäbe nicht auch heute gelten? Es sei absurd, daß Deserteure bestraft würden, die sich entschlössen, eben nicht zu töten. Verteidigung sei Mord im Auftrag und keinesfalls Notwehr, meinte ein anderer. Rambo kenne jeder, seine Morde auch, aber aussprechen, daß Soldaten Mörder seien, dürfe man nicht. Dies sei geradezu »verrückt«.

Es gab aber auch Gegenpositionen. Ein Mann hielt den Satz für einen Anachronismus, weil heutzutage die Technik viel wichtiger sei als der Soldat. Ein anderer warnte vor moralischer Überforderung der jungen Männer. Schließlich seien Jobs in der Wirtschaft und umweltunfreundliches Verhalten genauso zu verurteilen. Wie könne man da jemanden angreifen, der nur seiner Pflicht nachkomme. Nach dieser Logik, so wurde dem Mann geantwortet, dürften Kriegsdienstverweigerer dann ja wohl auch nicht Auto fahren.

Dann ging es darum, ob Mehrheitsentscheidungen in einer Demokratie den einzelnen von ethischer Verantwortung befreien könnten. Einer meinte, da jegliche Mehrheitsentscheidung akzeptiert werden müsse, daß das Individuum aus der Verantwortung sei, eine andere kritisierte, daß auch der militärische Befehl zur »Entschuldung« des einzelnen erfunden worden sei. Schließlich brachte noch jemand ins Spiel, daß der Satz ja eigentlich auf die Reichswehr gemünzt gewesen sei, er könne für eine Armee wie die Bundeswehr gar nicht gelten. Nachdem die Diskussion dieses Niveau erreicht hatte, konnte Elmar Holly von der Tucholsky-Gesellschaft nur noch hypersalomonisch schlußworten: »Aus der Sicht der Opfer jedenfalls werden die meisten Soldaten Mörder bleiben.« kotte

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