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„Ich bin Neger, ohne aber“

■ Eine Ausstellung im Bremer Übersee-Museum zeigt die kulturelle Identität der brasilianischen Afrikaner

Von Portugal über Westafrika nach Brasilien zieht sich das geographische Dreieck, dessen Eckpunkte durch 400 Jahre Kolonial- und Sklavereigeschichte verbunden sind. 3.200 Kilometer Wasser liegen dazwischen. Millionen von Schwarzafrikanern wurden von professionellen Händlern an der Westküste Afrikas gefangen. Zwei, drei Monate in den feuchten Bäuchen der Sklavenschiffe, zusammengepfercht unter Hunger und Durst, kaum Luft zum atmen. Dann die harte Arbeit auf den Zuckerrohr- und Tabak-Plantagen, in den Diamanten-Minen, der sichere Tod.

400 Jahre Sklaverei waren auch 400 Jahre Widerstand. Vom Kampf der Schwarzen gegen die weiße Kultur der Kolonialherren erzählt die Aussstellung „Transatlantik“, die gestern im Übersee- Museum eröffnet wurde. „Es ist eine große, kulturelle Leistung der Schwarzen, unter der Sklaverei ihre afrikanische Identität bewahrt zu haben“, beurteilte gestern Moema Parente Augel. Sie hat die Ausstellung vor zwei Jahren an der Universität Bielefeld realisiert.

Salvador de Bahia, Zentrum des portugisischen Sklavenhandels im 16. Jahrhundert, heute Hauptstadt der Provinz Bahia. 80 Prozent der Bevölkerung haben schwarzafrikanische Vorfahren. Die Spuren sind allgegenwärtig. Die baianas, die „Priesterinnen der Straße“, verkaufen an ihren improvisierten Ständen akarajes, Bällchen aus Bohnenmehl, und quitutes, eine afrikanische Speise. Die baianas sind afrikanisch gekleidet, Turban, langen Kleider, Stolen in rituellen Farben. Noch heute tragen sie Kauri- Schnecken als Ohrschmuck, früher ein westafrikanisches Zahlungsmittel. Sie gelten in ihrer Religion candomble als Ratgeberinnen und Zukunftsdeuterinnen.

Die Götter und Göttinnen der candomble können die Schwarzen durch Initiation erfahren. Jeder Tanz, jede Bewegung, jeder Rhythmus verrät den Eingeweihten, von welchen Gott die Initiierte besucht wird. Oxum, die Göttin der Süßwassers, liebt die gelben Kupferfarben. Ihr Symbol ist der Fisch. Am Ende eines Tanzes wird die Initiierte in die Farben der Göttin gekleidet und mit Kupfer geschmückt. Kupfer, das Metall Nigerias.

Ungefähr 130 Fotos zeigen die Spuren der schwarzafrikanischen Identität im brasilianischen Leben, dazu erklären 12 Gemälde des brasilianischen Malers Ronaldo Martins die Bedeutung der Göttin Oxum. Schmuck, Kostüme und Instrumente ergänzen die Ausstellung.

Religion als Widerstand, Karnevalsgruppen, über die die schwarzen Brasilianer politisiert werden. Teile des candomble transportieren sie auf die Straße, Tänze und Lieder, die sie beim Karnevalsumzug singen.

Die capoeira, auch heute noch weit verbreitet, symbolisiert in Kampf und Tanz den Widerstand der Schwarzen. Die Musik wird auf einem berimbau gespielt, einem Ein-Seiten Instrument, das die Form eines Bogens hat. Moema Parente Augel beschreibt die capoeira: „Capoeira ist Kampf und Tanz zugleich. Der Kampf wechselt zwischen schnellen Bewegungen und akrobatischen Glanzleistungen und einem abwartenden, lauernden, oft graziös wirkenden balancieren des Körpers. Zur capoeira gehören Schläge, Stöße und Fußtritte, sie fordert hohe Konzentration und totale Körperbeherrschung, vereint Gegensätze in sich, ist Verteidigung und Angriff, Vergnügen und Bedrohung, Körperdisziplin und Spontaneität zugleich“. Capoeira ist so alt wie die Sklaverei und hat seinen Ursprung in Angola.

„Immer mehr Schwarze finden zu ihrer kulturellen Identität, zu ihrer Geschichte“, glaubt Moema Parenta Augel, eine Geschichte, die bislang noch nicht in den weißen Büchern steht. „Die Schwarzen betrachten sich nicht weiter als minderwertig gegenüber den Weißen“. Der brasilianische Dichter Cuti hat es so formuliert: „Ich bin Neger, ohne aber.“ Markus Daschner

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