: Der alte Mann und das Mehr
■ Sugar Ray Leonard, der Paganini des Boxens, gab in seinem vermutlich letzten Kampf eine traurige Figur ab PRESS-SCHLAG
Große Boxer haben ein großes Problem: Sie können es nicht lassen. Kaum einer der legendären Champions vermochte der Versuchung zu widerstehen, lange nach seinem offiziell verkündeten Rücktritt doch noch einmal in den Ring zu steigen. Manche aus finanziellen Gründen, viele aber auch nur, um es den jungen Tunichtguten noch einmal zu zeigen, zu beweisen, daß die alte Schnelligkeit, die alten Reflexe, die alte Schlagkraft, die alte Genialität noch ungebrochen vorhanden sind.
Fighter wie George Foreman, Archie Moore, Sugar Ray Robinson, die trotz ihres fortgeschrittenen Boxalters locker mithalten konnten, hatten dabei eher Seltenheitswert, für die meisten endete das Comeback im Debakel. Max Schmeling mußte sich zum Abschied von einem gewissen Richard Vogt vermöbeln lassen, Joe Louis wurde zum Punchingball Rocky Marcianos, Muhammad Ali spielte den tapsigen Teddybären für Larry Holmes, der wiederum lieferte sich den gnadenlosen Fäusten des Mike Tyson aus.
Einzig Rocky Marciano widerstand allen Verlockungen und ging als einziger Schwergewichtsweltmeister in die Geschichte ein, der in seiner gesamten Karriere nicht einen einzigen Kampf verlor.
Ein Meister des revidierten Rücktritts war seit jeher Sugar Ray Leonard, der mit seinem Olympiasieg 1976 in Montreal die Boxwelt entzückte. Ein Ballettänzer im Ring, brillante Technik, sicheres Auge, vollendete Eleganz — ein legitimer Nachfolger des ersten Boxästheten „Gentleman Jim“. Kaum hatte er jedoch auch als Profi den Gipfel erklommen, zwang ihn 1982 ein Augenleiden zum ersten Rücktritt.
Doch Ray Charles Leonard, der als Jugendlicher eigentlich lieber in die Fußstapfen seines singenden Namensvetters getreten wäre, später studieren wollte und sich erst als seine Eltern erkrankten zur Unterzeichnung eines Profivertrages überreden ließ, kam wieder. Der Sohn eines Kistenträgers aus Delaware, dessen Großvater angeblich einmal ein Maultier mit einem einzigen Faustschlag niederstreckte, wurde der Großverdiener unter allen Sportlern der Welt, Champion in fünf Gewichtsklassen, zog sich aber zwischendurch immer wieder mit Pauken und Trompeten vom Faustkampf zurück.
Zum letzten Mal hatte er sein Wort im Dezember 1989 gebrochen, als er seinem alten Rivalen Roberto Duran, der einzige, der ihm bis dahin in 37 Kämpfen eine Niederlage verabreichen konnte, noch einmal eine Boxlektion erteilte. Unglücklicherweise ließ es Sugar Ray jedoch nicht dabei bewenden, auch er erlag der Versuchung, es seinen berühmten gescheiterten Vorgängern nachzutun. Gegen den 23jährigen Terry Norris wollte er im Super-Weltergewicht seinen sechsten Titel erringen, doch er hätte vielleicht doch besser seinen Großvater geschickt.
Norris erwies sich als blitzschneller, schlagstarker Gegner, Leonard besaß von Anfang an nicht die Spur einer Chance und konnte sich glücklich schätzen, daß er nur haushoch nach Punkten verlor und nicht seinen ersten Knock- out einstecken mußte. Ganz gegen seinen Stil, der stets eher auf das Vermeiden von Treffern und emsiges Punktesammeln ausgerichtet war, griff Sugar Ray ungestüm an, vernachlässigte die Deckung und lief schon in der zweiten Runde in einen krachenden linken Haken, der ihn zu Boden warf. Schnell lag er nach Punkten hoffnungslos zurück, seine einzige Chance lag darin, durch K.o. zu gewinnen. Tapfer versuchte er es, doch seine Schläge zeigten keine Wirkung. Nicht einmal der Ringrichter fiel um, als er ihn am Ende der sechsten Runde aus Versehen mit einem Schwinger am Kopf traf.
Dafür saßen die unbarmherzigen Konter des Titelverteidigers, die Leonard zeitweise wie ein Häufchen Elend durch den Ring taumeln ließen. In der elften Runde gab niemand mehr einen Pfifferling für den fast hilflosen 34jährigen, doch Norris hatte immer noch Respekt vor seinem größten Idol.
Voller Vorsicht begnügte er sich damit, seinen riesigen Punktvorsprung über die Runden zu bringen und sagte hinterher: „Es war ein trauriger Sieg, es war schlimm, Leonard in dieser schlechten Verfassung zu sehen.“
Sugar Ray berichtete den 7.495 Zuschauern im nicht ausverkauften New Yorker Madison Square Garden, daß sein 17jähriger Sohn ihn „old man“ nenne: „Vielleicht hat er ja recht.“ Dann erklärte er seinen endgültigen Rücktritt. Fast möchte man ihm diesmal glauben. Matti
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