: Bessere Müllpolitik gegen bayerische Feuervögel
Volksentscheid über bayerische Müllentsorgung am kommenden Wochenende/ Bürgerinitiative kämpft für umweltverträglichere Wende ■ Aus München Luitgard Koch
In dem idyllischen kleinen Weiler im bayerischen Oberland liegt ein strenger Geruch in der Luft. Es stinkt nach Müll. Vor fast jedem der breit ausladenden behäbigen Bauernhäuser versperrt eine Mülldeponie den Eingang. Ratten tummeln sich auf den Müllbergen und flitzen zwischen den blitzsauberen Melkkübeln hin und her. Der gesamte Freistaat Bayern verschwindet für den Rest der Republik hinter einem Müllgebirge, gegen das kein Alpenglühn mehr ankommt. Einsam jodelt da nur noch der Vorstand der bayernweiten Bürgeraktion „Das bessere Müllkonzept“.
Am kommenden Sonntag können die bayerischen Bürger und Bürgerinnen sich angeblich für oder gegen dieses Horrorgemälde entscheiden. An die Wand gezeichnet wird es von der CSU-Regierung, allen voran „Law-and-order“-Umweltminister, Peter Gauweiler (CSU) und dem CSU-Chef der Landtagsfraktion, Alois Glück, der bereits als neuer bayerischer Ministerpräsident gehandelt wird. Grund: Der Volksentscheid, den die bayernweite Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept“ durchgesetzt hat, treibt die schwarzen Politiker zu solch düsteren Prognosen. Mit einfacher Mehrheit soll nämlich darüber abgestimmt werden, welcher Entwurf zur Müllpolitik — das vom Landtag mit CSU- Mehrheit durchgepeitschte Gummiparagraphenwerk oder das BI-Konzept — nun Gesetz wird.
Die Chancen für die Burgerinitiative stehen nicht schlecht, denn bereits beim vorangegangenen Volksbegehren errang die BI trotz zahlreicher Behinderungen einen sensationellen Erfolg: Über eine Million wahlberechtigter BürgerInnen stimmten für „Das bessere Müllkonzept“.
Die inzwischen immer größer werdende Bürgerinitiative will mit ihrem Konzept eine Wende in der Müllpolitik einläuten und vor allem den „Feuervögeln“ und „Pyromanen“ das gesundheitsschädliche Zündeln in den Müllverbrennungsöfen verbieten. Die bayerische Staatsregierung setzt dagegen nach wie vor auf Müllverbrennung.
In keinem anderen Bundesland wird diese „thermische Verwertung“, so die offizielle Umschreibung, derart ausgiebig praktiziert wie im Freistaat. Über die Hälfte der rund fünf Millionen Tonnen Abfall, die jährlich anfallen, werden in den fünfzehn Müllöfen verbrannt. Mit 1,5 Milliarden D-Mark wird der Bau weiterer vier MVAs (Müllverbrennungsanlagen) von der Staatsregierung subventioniert. Noch in diesen Tagen wurde in aller Eile eine weitere Ofenlinie für die MVA im schwäbischen Augsburg genehmigt. „Tatsache ist, daß das Müllkonzept einschließlich der thermischen Verwertung Vermittlungsprobleme verursacht hat“, gab CSU-Generalsekretär, Erwin Huber, bereits vor etlichen Monaten umständlich zu.
Gegen die „Dioxinschleudern“ und auf Seiten der Bürgeraktion kämpft ebenfalls die Bayerische Ärzteschaft. Die Vertreter der über 40.000 bayerischen Ärzte haben eine Resolution zur Müllpolitik verabschiedet und sich vehement gegen die Müllverbrennung ausgesprochen. Genauso wie damals, als in Bayern der Widerstand gegen die „Oberpfälzer Atommüllpolitik“ der CSU-Regierung ein Dorn im Auge war, versucht der bayerische Innenminister, Edmund Stoiber, auch jetzt die kritischen Ärzte einzuschüchtern. Ob „derartige öffentliche Erklärungen nicht nur Anlaß zu rechtsaufsichtlichem Eingreifen“, sondern sogar „Ausdruck unärztlichen Verhaltens seien“, überlegt der Minister laut. Doch die Skandale um überschrittene Dioxingrenzwerte wie etwa bei der MVA im oberbayerischen Ingolstadt, der Dioxinausstoß lag um das 4.000fache über dem seit diesem Jahr gültigen Grenzwert, machen solche Verteufelungen unglaubwürdig. Vor allem, wenn CSU-Politiker, wie etwa der Ingolstädter Oberbürgermeister, Peter Schnell, sich trotz dieser Misere weigert, die maroden Müllöfen stillzulegen. „In weiten Teilen Bayerns sind die Böden so mit Dioxin verseucht wie in Vietnam nach der Entlaubungsaktion der amerikanischen Armee“, greift die resolute BI-Vorstandsfrau, Brigitte Parzich (52), zu einem drastischen Vergleich. Die „Müllöfen“ waren und sind der Knackpunkt im Streit um die Gesetzentwürfe. So lehnt die BI in ihrem Entwurf jede weitere staatliche Subventionierung von MVAs ab. Kaum verwunderlich, daß deshalb auch die Anlagenbauer der Müllöfen Front gegen „Das bessere Müllkonzept“ machen. „Ohne Müllverbrennung geht's nicht“, tönt es aus ihren Reihen. Mit riesigen Anzeigen in den bayerischen Tageszeitungen treten sie plötzlich als „Initiative zur sicheren Abfallentsorgung“ auf und versuchen noch kurz vor Torschluß mit dem Motto „Nein zum angeblich besseren Müllkonzept“ die Bürgerinitiative abzubremsen.
Ein weiterer Streitpunkt ist, daß nach dem Konzept der BI die Gemeinden und kreisfreien Städte in Zukunft für das Vermeiden, Sammeln und Verwerten des Abfalls zuständig sind. Wiederverwertbare Stoffe wie Papier, Altglas, Kompostabfälle und nicht verunreinigter Bauschutt müssen getrennt gesammelt und recycelt werden. Die Gemeinde kann jederzeit mit Recylingfirmen Verträge abschließen. Das heißt also nicht, daß jede Gemeinde nun eigene Deponien bauen muß, wie die CSU- Oberen behaupten. Mit dieser „Deponielüge“ verunsichert die CSU freilich den bayerischen Gemeindetag. Für den nicht wiederverwertbaren Abfall sind jedoch weiterhin die Landkreise verantwortlich. „Eine umweltverträglichere Abfallwirtschaft braucht die Mitarbeit der Bürger, und das läßt sich auf Gemeindeebene besser erreichen“, glaubt die Betriebswirtin Uta Philipp vom Vorstand der BI. Sechs Tonnen würden vor jeder Haustür stehen und die Müllgebühren bis um das siebenfache steigen, wenn das Gesetz der BI sich durchsetzt, feixen freilich CSU- Politiker und aufgehetzte Bürgermeister. Vor dem Haus stehen jedoch maximal eine Tonne für kompostierbare Abfälle, eine für Papier und eine kleine für den Restmüll, versichert dagegen BI-Vorstandsmitglied Franz Tschacha. „Da keine Sortieranlage, keine Bauschuttaufbereitung und keine Deponien auf Gemeindeebene notwendig sind, steigen auch die Gebühren nicht so an“, verwahrt er sich gegen die „Kostenlüge“.
Noch ein Punkt stößt den Schwarzen sauer auf. Im Entwurf der Bürgerinitiative ist die Verbandsklage für Naturschutzverbände festgeschrieben. Mit Händen und Füßen wehrte sich die CSU-Mehrheit bereits im vergangenen Sommer dagegen, als kurzzeitig ein Kompromiß mit der BI ausgehandelt werden sollte. Das, was sich in Sachen „Müll“ auf der Politbühne abspielte, ist ein Kapitel für sich. Bereits im Vorfeld versuchte das bayerische Innenministerium das Volksbegehren abzuwiegeln. Erst vor dem Bayerischen Verfassungsgericht mußte sich die Bürgeraktion im vergangenen Frühjahr ihr Recht auf dieses basisdemokratische Instrument, das außer in Bayern nur noch in Schleswig-Holstein und Hessen existiert, erstreiten.
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