: Die Afrikanisierung Lateinamerikas
■ In Peru breitet sich eine Cholera-Epidemie aus
Lateinamerika ist wieder im Trend. Seit in Peru die Cholera ausgebrochen ist, stehen die professionellen Katastrophensezierer bereit. Die Nachrichten bieten jeden Tag frische Zahlen: 13.768 Infizierte am Sonntag, „über 14.000“ gestern. Die französische Nachrichtenagentur 'afp‘ diagnostiziert eine „neue Tragödie“ — „als seien die katastrophalen Wirtschaftsverhältnisse, die extreme Armut und die Terroristen des ,Leuchtenden Pfades‘ nicht Probleme genug“. Die 'Washington Post‘ sieht in den Krankenhäusern von Lima Gesichter wie in mittelalterlichen Höllenbildern, „hager, leblos, mit eingefallenen Wangen und leeren, verständnislosen Augen“. Und die Deutsche Welthungerhilfe richtet ein Spendenkonto ein.
Da ist sie, die Afrikanisierung Lateinamerikas. Während bislang die Lateinamerikaner immerhin teilweise wahrgenommen wurden, ihre Erinnerungen und Hoffnungen einen bestimmten Platz im europäischen Bewußtsein hatten, werden sie jetzt ausgeblendet, die Seuchenausbreitung als archaisches Phänomen abgehandelt, als Bereicherung einer von katastrophalen Kuriositäten besessenen Gesellschaft. Diese Herangehensweise ist nicht neu. Sie ist im Umgang mit Hungersnöten entstanden und vor einigen Jahren in der Medienbehandlung Äthiopiens perfektioniert worden. Auch damals sah man lediglich Betroffenheit, „leere Gesichter“ und „verständnislose Augen“. Gesellschaftliche Strukturen, Denkprozesse, Zukunftsbilder wurden nicht wahrgenommen. Es gab keine Menschen mehr, sondern nur noch Objekte von Naturkatastrophen.
Wie einst Äthiopien, so muß jetzt Peru für die Herabwürdigung der „Dritten Welt“ herhalten. Warum, so könnte man fragen, beschränken sich die Katastrophenberichterstatter nicht auf ihr angestammtes Afrika, wo ja auch der peruanische Cholera-Virus angeblich seinen Ursprung hat? In Äthiopien, und auch in Sudan und Mosambik und Angola, geht das Sterben weiter. Wer sich nach sechs Jahren wieder mit Äthiopien oder anderen verarmten afrikanischen Staaten beschäftigt, ist gezwungen, Veränderungen festzustellen, auch wenn sich die Gesichter gleichen. Doch dazu müßte man von der Vorstellung von Afrika als einem Kontinent in statischem Notzustand, als lebendem Mülleimer der Geschichte abrückent.
Die Bereitschaft, solche eingefahrenen Vorstellungen zu überwinden, schwindet im reichen Norden immer mehr dahin. Nun besteht die Gefahr, daß auch Peru ein ähnliches Schicksal wie afrikanische Staaten ereilt. Das dampfende Alchemistengemisch aus Krise, Drogen, Terrorismus und Cholera, aus dem die Medien des Nordens Gold gewinnen, ist dabei, sich zu einem gedanklichen Brei zu verfestigen, der alle Jahre wieder umgerührt werden kann. Dominic Johnson
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