: Die Menschen wissen nichts von den deutschen Soldaten
■ In Bremen lebende Kurden aus Diyarbakir erzählen von ihrer Heimat / Nachbardörfer „aus Versehen“ bombardiert
Bremen und Diyarbakir, getrennt durch 3.000 Kilometer Luftlinie, hatten in der Vergangenheit recht wenig gemein. Erst durch die Stationierung von 160 Bremervörder Soldaten kam die 600.000-Einwohner-Stadt in Ost-Anatolien auch an der Weser ins Gespräch. Das „rote Diyarbakir“, wie die Stadt wegen ihrer Widerspenstigkeit und der blutigen Verbrechen gegen ihre Bevölkerung genannt wird, liegt 400 Kilometer vor der irakischen Grenze. Inoffiziell gilt sie als die Hauptstadt Kurdistans.
Von sorglosem Leben und Zufriedenheit spricht man hier nur in Legenden, zum Beispiel in dieser: Vor langer, langer Zeit, so heißt es, haben die Einwohner von Diyarbakir den Teufel gefangen. Er wurde von einem Schmied, der ihn in Ketten legte, am inneren Tor des Palastes aufgeknüpft. Seitdem sei die Stadt frei von Pest, Erdbeben, Überschwemmungen und Feuersbrünsten.
Schon lange sind für Diyarbakir die „guten alten Zeiten“ vorbei. 10 Jahre vor Beginn des Golfkrieges wurde über die Stadt der Ausnahmezustand verhängt. „Der Alltag von uns Kurden besteht aus Armut, Folter und Unterdrückung durch die türkische Regierung. Die Leute haben sich inzwischen daran gewöhnt“, erzählt der 29jährige Ahmet Ölmez mit resigniertem Lächeln. Erst vor 15 Monaten ist er aus Diyarbakir zu seiner türkischen Frau nach Bremen gezogen. „Familienzusammenführung heißt das wohl auf deutsch.“ Obwohl er Zuhause nicht einmal offen in seiner Muttersprache reden durfte, hat er „ständig Heimweh“. Dort habe er immerhin eine Stelle als Geschichtslehrer gehabt. Hier muß er erst einmal Deutsch lernen und von vorne anfangen. „Mir fehlen die Menschen aus Diyarbakir. Ich möchte jetzt gerne bei ihnen sein und mit ihnen über ihre Kriegs-und Raketenwitze lachen“, beteuert Ahmet wehmütig. Viele seien zwar vor dem Krieg geflohen, die Demokraten versuchen mittlerweile jedoch, die Menschen aufzuhalten. „Wir leben hier zusammen und werden auch zusammen sterben“, sollen sie in einem Aufruf geschrieben haben. Das ginge ihm nicht mehr aus dem Kopf. So wenig wie die Stadt selbst: Diyarbakir mit seiner 2.000 Jahre alten Stadtmauer und den Häusern aus schwarzem Vulkanstein ist für ihn „eine heilige Stadt, so wie Mekka“.
Respekt vor dem historischen Geist, der um die Mauern weht, haben jedoch nur wenige. „Bei uns ist es ganz normal, daß Leute, die in einem Cafe kurdisch sprechen, für ein Jahr im Gefängnis verschwinden.“ Das habe er selbst gesehen. „Du mußt immer damit rechnen, daß die Polizei in dein Haus stürmt und alles durchsucht.“ Durch den Krieg hat sich deshalb wenig geändert. Drei Millionen Kurden, die direkt an der Grenze lebten, seien verjagt worden, erzählt Ahmet, „damit das türkische Militär genügend Platz hat.“ Das jedenfalls hätte der Menschenrechtsverein in Diyarbakir berichtet und seine Eltern am Telefon auch.
Auch Baran Diyar, ein Kurde,
Vertreibung in Diyarbakir: Einmarsch der Militärs in einem Nachbardorf vor 10 Jahren
der seit 17 Jahren in Bremen lebt, erhält regelmäßig Nachrichten aus seiner Heimatstadt. „Drei Tage vor Kriegsbeginn haben etwa zwei Drittel der Einwohner Diyarbakir verlassen“, erzählt er. Die meisten hätten wegen dem USA-Stützpunkt Pirinclik und den vielen türkischen Soldaten, die dort stationiert wurden, Angst vor Luftangriffen. „Inzwischen sind viele zurückgekehrt, weil sie ja arbeiten müssen, auch meine Brüder“, fügt er hinzu. Einmal in der Woche ruft Baran Zuhause an, um zu erfahren, wie es seinen sieben Geschwistern und Eltern
hierhin das Foto
mit den
Militärs
geht. Er selbst kann aus politischen Gründen seit 13 Jahren nicht mehr nach Diyarbakir zurück.
Was seine Verwandten zu der Stationierung von Bundeswehrsoldaten meinen? „Die wissen das gar nicht, weil die Soldaten ja nicht in die Stadt dürfen und auch sonst keine Begegnungen stattfinden“, sagt Baran. Schon vor dem Krieg sei es verboten gewesen, in die Nähe des Militärflughafens zu kommen. „Außerdem ist es ganz egal welche Soldaten bei Diyarbakir stehen. Die Bevölkerung ist gegen den Krieg. Denn er wird ja
doch wieder auf Kosten der Kurden ausgetragen.“
Die türkisch-kurdischen Dörfer Kayalik, Celtik und Kazan, so haben Baran und Ahmet gehört, seien bereits von den Amerikanern „aus Versehen bombardiert“ worden. „Die türkische Regierung hat uns daraufhin erzählt“, sagt Ahmet, „das sind keine Bomben, sondern Tankgefäße, die aus den Flugzeugen geworfen wurden. Die seien zwar etwas laut, aber völlig ungefährlich.“ Dennoch dürfe bis heute niemand in die genannten Dörfer.
Birgit Ziegenhagen
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