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El Salvador: Makelhafter Triumph der Rechten

Opposition klagt über Einschüchterung und Beeinflussung/ Jeder zweite Wahlberechtigte konnte oder wollte seine Stimme nicht abgeben/ Rechtsradikale ARENA-Partei reklamiert Wahlsieg für sich/ Guerilla verzichtete erstmals auf Wahlboykott  ■ Aus San Salvador R. Leonhard

Die Parlaments- und Kommunalwahlen in El Salvador haben mindestens zwei Sieger: die rechtsradikale Regierungspartei ARENA, weil sie stärkste Partei geblieben ist und aller Vorraussicht nach sogar die Mehrheit in der Nationalversammlung behalten wird, und die sozialdemokratische Allianz „Convergencia Democratica“, die sich trotz aller Unregelmäßigkeiten als drittstärkste legale Kraft etablieren und ihren Stimmenanteil gegenüber den Präsidialwahlen vor zwei Jahren vervierfachen konnte. Auch die Kommandanten der Guerillafront FMLN müssen sich bestätigt fühlen. Denn der Wahlgang am Sonntag bewies, daß diese Regierung Bedingungen für wirklich faire Wahlen in El Salvador nicht zu geben bereit ist.

In buchstäblich letzter Minute, nämlich am Samstag, hatte Präsident Cristiani dem Druck der internationelen Beobachterdelegationen nachgegeben und das Parlament beauftragt, eine Gesetzesänderung zu verabschieden, die es auch Wählern ohne Wahlkarte erlaubte, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbehörden hatten nämlich die Ausgabe der Wahlkarten an mindestens 70.000 Salvadorianer, die sich seit August in das Wahlregister eingetragen haben, ohne glaubwürdigen Grund verzögert.

Über tausend repatriierte Flüchtlinge, die vor einem Jahr aus dem Exil in Honduras zurückkehrten und jetzt eine Neusiedlung namens Segundo-Montes-Stadt in der Nordostprovinz Morazan bewohnen, machten sich daher auf den Weg zu den Urnen, die in der Provinzhauptstadt San Francisco Gotera aufgestellt waren. Die erste Gruppe, die im Morgengrauen in drei Lastwagen loszog, wurde an einem Kontrollposten der Armee festgehalten. Erst als eine Beobachtergruppe aus den USA eintraf, gaben die Soldaten den Weg frei.

Auch sonst fiel auf, daß von den vielen Unregelmäßigkeiten vor allem die potentiellen Oppositionswähler betroffen waren. Etwa die Leute aus den entlegenen Weilern um die Kaffeepflanzerstadt Berlin, die ebenfalls in den Listen fehlten. In Soyapango, einem Arbeitervorort von San Salvador, warf ein Wahlhelfer der Regierungspartei bei der Auszählung die Stimmen der Convergencia kurzerhand weg und in Santa Ana, der zweitgrößten Stadt, wurden die Wahllokale fünfzehn Minuten zu früh vor den Nasen einer Gruppe von Oppositionssympathisanten zugesperrt. In Mejicanos an der nördlichen Peripherie von San Salvador konnten die Wahllokale erst zu Mittag aufsperren, weil die Urnen und Wahlscheine mit vierstündiger Verspätung eintrafen. Viele frustrierte Wähler zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Jeder zweite der rund 2,5 Millionen Wahlberechtigten wollte oder konnte seine Stimme nicht abgeben. Praktisch überall klagte die Opposition über Einschüchterung, Wahlbeeinflussung oder Manipulationsversuche der ARENA-Vertreter.

Landesweit könnte die Entscheidung über mehrere der 84 Abgeordneten zur Nationalversammlung durch die Unregelmäßigkeiten beeinflußt sein. Angesichts des knappen Ergebnisses könnte sogar die Mehrheit im Parlament davon abhängen. Nach ersten Hochrechnungen hat die regierende ARENA nämlich 47 bis 51 Prozent der Stimmen und damit voraussichtlich 43 oder 44 Parlamentssitze erobert. Wichtiger erscheint vielen ausländischen Beobachtern jedoch die politische Entscheidung der Regierung, ein wirklich transparentes Wahlverfahren nicht zuzulassen. Der Vorwurf der Wahlbehinderung trifft auch die Armee. Denn die Guerilla hatte erstmals seit Beginn des Bürgerkrieges vor zehn Jahren auf einen Wahlboykott verzichtet und durch eine einseitig erklärte Waffenruhe die Mobilisierung der Wähler auch im Kriegsgebiet ermöglicht. „Für uns gibt es keine Waffenruhe“, erklärte Oberst Ciro Lopez, der Kommandant der 3.Infanteriebrigade in der Ostmetropole San Miguel: „Wir müssen jederzeit der Verfassung Geltung verschaffen“. Deswegen nützten die Militärs den Frieden, um in den Tagen vor der Wahl in alle Gebiete unter Kontrolle der FMLN vorzurücken, wo sie die Rebellen in Gefechte verwickelten. Mindestens 19 Menschen kamen dabei allein am Sonntag ums Leben. In San Francisco Javier in der Ostprovinz Usulutan war die Bevölkerung nach siebenstündigem Beschuß durch das Bataillon Oromontique derartig eingeschüchtert, daß sie am Wahltag zu Hause blieb. Die dreißigjährige Etelvina Navarrete starb durch einen Bombensplitter. „Ich hätte Convergencia gewählt“, versicherte der Kleinbauer Jorge Alcides, dessen Haus während der Attacke durch mehrere Einschüsse perforiert wurde.

Trotz aller Unregelmäßigkeiten wird die Opposition das Wahlergebnis anerkennen. ARENA gewann zwar außer der Nationalversammlung auch etwa drei Viertel aller Gemeinden, darunter San Salvador und neun Provinzhauptstädte. Doch die Christdemokraten konnten sich mit rund 20 Prozent als zweitstärkste Partei behaupten und drei der vierzehn Provinzhaupstädte gewinnen. Die Demokratische Konvergenz etablierte sich mit etwa 15 Prozent als seriöse politische Kraft und konnte in San Salvador und La Libertad sogar besser als die christdemokratischen Verbündeten abschneiden. Das reale Stimmenpotential der Allianz wurde durch die Gewerkschaften und Volksorganisationen sowie die soziale Basis der Guerilla in den Konfliktzonen aufgefettet. Die UDN, die der Kommunistischen Partei nahesteht, blieb zwar hinter ihren hochgesteckten Erwartungen zurück, wird aber mit mindestens einer Abgeordneten ins Parlament einziehen. Das Ziel der Opposition, die parlamentarische Mehrheit der rechtsextremen ARENA zu brechen, wurde verfehlt. Doch die Oppositionsführer hoffen, daß es ihnen dennoch gelingt, die Nationalversammlung politisch aufzuwerten und am Dialog mit der Guerilla zu beteiligen. Ruben Zamora, der Spitzenkandidat der Convergencia, sprach von einem „Etappensieg“. Im Parlament und in den Verhandlungen mit der Guerilla werden nämlich die Reformen diskutiert, die 1994 wirklich faire Wahlen ermöglichen sollen, an denen sich auch die FMLN als politische Organisation beteiligen könnte.

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