: "...von Deutschen beleidigt und geschlagen"
■ In den neuen Bundesländern macht der Anteil der Ausländer nicht einmal ein Prozent aus dennoch werden die wenigen stärker angefeindet als im Westen. Einer von vier Ostdeutschen äußert klare...
„...von Deutschen beleidigt und geschlagen“ In den neuen Bundesländern macht der Anteil der Ausländer nicht einmal ein Prozent aus — dennoch werden die wenigen stärker angefeindet als im Westen. Einer von vier Ostdeutschen äußert klare Ablehnung gegen die Fremden, rund die Hälfte zeigt sich zwiespältig. Und die Flüchtlinge flüchten wieder.
Nach den Erhebungsergebnissen steht außer Zweifel, daß die Ausländerfeindlichkeit in den fünf neuen Bundesländern deutlich höher ist als in den übrigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 70 Prozent (der befragten Ausländer, die Red.) wurden von Deutschen beleidigt oder beschimpft, vier von zehn wurden beim Einkaufen in Geschäften benachteiligt, ein Fünftel wurde bereits mindestens einmal tätlich angegriffen oder geschlagen“ — schonungslose Ergebnisse einer druckfrischen, hochamtlichen Studie, die das Bundesarbeitministerium zum Thema „Ausländerfeindlichkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR“ in Auftrag gegeben hat.
Kernpunkt der Untersuchung, die anhand von Tiefeninterviews erstellt wurde: obwohl — oder gerade weil — der Anteil der AusländerInnen in der früheren DDR nach dem Fortzug vieler ehemaliger „Gastarbeiter“ auf unter ein Prozent der Gesamtbevölkerung gesunken ist, äußert ein Viertel der befragten DDR-Bürger offene und deutliche Ablehnung gegen Ausländer. Rund die Hälfte zeigte sich ambivalent in ihrer Haltung gegenüber den Fremden, und nur 20 Prozent befürworteten eine Integrationspolitik.
Daß vor diesem Hintergrund einer eher feindseligen Bevölkerung und einer völlig unvorbereiteten Verwaltung die „Umverteilung“ von 20 Prozent sämtlicher Asylbewerber auf die fünf neuen Länder nicht gutgehen könnte, hatten Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsinitiativen schon im Dezember letzten Jahres gewarnt. Inzwischen haben sich viele dieser Warnungen auf schlimmste Weise bestätigt. Immer häufiger verlassen deshalb Asylbewerber fluchtartig das ihnen zugewiesene Exil und begehren in den westlichen Bundesländern Aufnahme. Ein beträchtlicher Teil der Flüchtlinge taucht gar nicht an den vorgeschriebenen Bestimmungsorten in der Ex-DDR auf, andere sind nach wenigen Tagen nicht mehr auffindbar, konstatiert auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf. Wie viele es inzwischen sind, die aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen Reißaus genommen haben, weiß derzeit niemand. Denn die wenigsten Asylsuchenden melden sich bei den Sozialbehörden im Westen, weil sie dann postwendend wieder gen Osten zurückgeschickt würden. Auch juristische Widersprüche gegen eine Zwangsunterbringung in einem der neuen Bundesländer wurden bisher von den Verwaltungsgerichten durch die Bank weg negativ beschieden.
Viele Flüchtlinge kommen deshalb illegal bei Freunden oder Verwandten im Westen unter — ohne jede soziale Absicherung, ohne einen Pfennig eigenes Geld und ohne eine Adresse, an die zukunftswichtige Bescheide des Asylbundesamtes zugestellt werden könnten. Nachts, so berichtet ein Asylbewerber in einer Westberliner Flüchtlingsberatungsstelle, krauche er eben in den Kleiderschrank einer Asylunterkunft, um bei der abendlichen Kontrolle nicht aufzufallen. Das sei immer noch besser als im Osten zu leben.
Zunächst waren es vor allem die mangelhafte Ausstattung der Unterkünfte und das schlechte Essen, die Flüchtlinge aus den neuen Bundesländern zur Abreise gen Westen veranlaßten. Einige hatten sich vielleicht auch falsche Vorstellungen vom Leben im reichen Deutschland gemacht. Andere waren frustriert, daß sie statt in Hamburg oder Köln nun in einem abgeschiedenen FDGB-Heim bei Zwickau oder Eisenhüttenstadt gelandet waren. In vielen Fällen aber waren die Klagen über unzumutbare Bedingungen besonders in kleineren, privat geführten Unterkünften mehr als berechtigt. Und auch wenn sich in den letzten Wochen und Monaten mancherorts die Unterbringungsmöglichkeiten verbessert haben und Kirchen, Privatintiativen und kommunale Ausländerbeauftragte versuchen, eine minimale soziale Betreuung aufzubauen, sind Asylbewerber, die das Los „ab in die FNL“ gezogen haben, nach wie vor Flüchtlinge zweiter Klasse.
In der Regel fehlt hier nicht nur die soziale Betreuung, sondern auch der Rechtsschutz. Die Kreisgerichte zum Beispiel, die für Einsprüche gegen Bescheide des Asylbundesamtes zuständig wären, befinden sich erst im Aufbau. Im bundesdeutschen oder gar internationalen Asylrecht geschulte Richter fehlen ebenso wie kompetente Anwälte. Briefe des Asylbundesamtes können die Betroffenen nur mit viel Glück entziffern, denn Dolmetscher vor Ort gibt es so gut wie keine.
Mehr und mehr sind es jedoch die alltäglichen Feindseligkeiten auf der Straße und die tätlichen Angriffe, vor denen die Asylsuchenden fliehen. „Die Leute“, so eine Westberliner Flüchtlingsberaterin, die in letzter Zeit mit zahlreichen nach Berlin zurückgekehrten Asylbewerbern konfrontiert ist, „haben einfach Angst“. Die Sorgen der Flüchtlinge wurden jetzt auch von offizieller Stelle geteilt. Magdeburgs Oberbürgermeister Willy Polte, gleichzeitig Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetags, forderte am Wochenende, die Zuweisung von Asylbewerbern in die fünf neuen Länder sofort auszusetzen. Die Städte und Kreise, so Polte seien nicht mehr in der Lage, weitere Flüchtlinge aufzunehmen und ihrer Verantwortung gegenüber den Ausländern gerecht zu werden. Vera Gaserow
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