: Blumenvasen übergeben sich
■ »Rosmersholm« von Henrik Ibsen in der Freien Volksbühne
Löcher im Fußboden, gespaltene oder versenkte Wände, überdimensionale Türen lassen gewisse Schlüsse zu. Wenn zu ist, was ziemlich gezogen hat, entdecken wir erleichtert: eine Handvoll zerstörerischer Leidenschaften, ein Päckchen Rache, eine Ladung Inzest und mindestens einen löslichen Muttermord. Von jedem etwas bietet der seinerzeit bereits von Sigmund Freud analytisch begleitete Henrik Ibsen in Rosmersholm: Ein Pastor ist freisinnig geworden und will »die Menschen adeln«. Dabei übersieht er, daß seine Frau sich nicht aus Schwermut vom Mühlensteg geworfen hat, sondern von Rebecca, des Pastors Freundin im Geiste, dazu getrieben wurde. Diese mußte die Rivalin wegräumen, um an den väterlichen Freund zu kommen, frei nach Ödipus. War sie doch schon einmal an die Stelle ihrer Mutter getreten, ohne zu wissen, daß der Geliebte ihr leiblicher Vater war. Solcherlei Verbrechen verursachen ihr schließlich solche Seelenqualen, daß auch sie sich, immerhin jetzt durch Schuldgefühl geadelt und nach Aufforderung des Pastors, vom Mühlensteig wirft. Der Pastor tut es ihr praktischerweise nach.
So weit so Freud. Ibsen gießt noch ein bißchen Sozialkritik ins Tragödienfeuer, heißt die Intrigantin emanzipiert (Weil sie Bücher liest? Oder frauenmordet?), läßt einen Einsiedlerphilosophen die Frage nach der geistigen Potenz stellen und den Pastor sich am Frauenopfer berauschen, wovon er allerdings dann auch nichts, nicht einmal einen Nachlaß hat. Dunkel droht eine frühsozialistische Bewegung, wird aber mit Schauergeschichten von todbringenden »weißen Pferden« zivil zur Strecke gebracht.
Ganz anders erlegt Regisseur Frank Hoffmann seinen Ibsen. Wie Dali seine Schubladen zieht die Freie Volksbühne alle Bühnenregister: Da tun sich Treppen auf ins Nirgendwo und Abgänge in den Bühnenboden, düstere, serielle Ahnengalerien leitmotiveln mit dem Hufgetrappel aus dem Lautsprecher um die Wette. Zum Ausgleich fremdeln die Schauspieler fürchterlich miteinander: Sie reden ins Leere oder ins Gesicht eines anderen, sitzen sich andererseits völlig unmotiviert auf dem Schoß und übergeben sich Blumenvasen (nach der Pause wechselt die Blumensorte). Schließlich müssen sie sich permanent ertüchtigen: Der Pastor und seine Freunde schmeißen Tische um oder üben rückwärts im Gleichschritt die Treppe abzusteigen. Rebecca zieht einige Male ihre Kreise im Laufschritt und muß gleich zu Beginn ein halbes Zimmer auf die Seitenbühne schieben.
Trotz des ganzen galoppierenden Freistils will und will es nicht gruselig, will es überhaupt nichts richtig werden. Denn was wohl als entindividualisiertes Körpertheater angelegt war, bleibt in der Gymnastik stecken, indem jedes Wort mit gegen- oder parallellaufendem Ausdruck überdeterminiert wird. Nicht Seelenqual, nicht zeitgemäße Weltverzweiflung, nur falschen Naturalismus, ein Alpenpanorama mit melodramatischer Untermalung gibt das Theater her: Krüppelkiefern im Abendrot und ein (abgeschlagener) Heiratsantrag. Das ist, fürchte ich, keine Selbstironie der Inszenierung, sondern zeitgemäße Menschheitsutopie. Dorothee Hackenberg
Rosmersholm in der Freien Volksbühne. Regie: Frank Hoffmann, Bühne: Christoph Rasche, Kostüme: Swetlana Zwetkova. Mit Tatjana Pasztor, Herrmann Treusch, Ulrich Kuhlmann, Joachim Bliese, Irm Herrmann, Gottfried Lackmann.
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