: Was habt ihr mit dem Regen gemacht?
■ Eine Strahlenwolke von Tschernobyl wurde offenbar künstlich abgeregnet/ Sowjetische Wissenschaftler bestätigen auf dem Berliner Kongreß seit langem geäußerte Vermutungen
Berlin (taz) — Sowjetische Militärs haben im Mai 1986 eine radioaktive Wolke von Tschernobyl offensichtlich künstlich abregnen lassen. Dadurch sollte verhindert werden, daß die Wolke auf Moskau zutreiben und ihre strahlende Last über den rund zehn Millionen BewohnerInnen der sowjetischen Hauptstadt abladen konnte.
Die Bevölkerung der Russischen Republik, in der die Wolke abregnete, ist vor dem strahlenden Niederschlag nicht gewarnt worden. Auf dem Tschernobyl-Kongreß am vergangenen Wochenende in Berlin wurde die Abregnungsaktion gleich von mehreren Seiten bestätigt.
Entsprechende Gerüchte hatten in den verstrahlten Regionen seit langem kursiert. taz-Mitarbeiter Wieland Giebel berichtete im vergangenen Jahr aus der Russischen Republik von hartnäckigen Vorwürfen gegen die „Moskauer Parteibonzen“, die sich mit der Abregnung auf Kosten anderer Regionen vor dem radioaktiven Fallout geschützt hätten.
In Berlin wurde am Samstag zunächst Professor Konoplya, Direktor des Instituts für Strahlenbiologie in Minsk, auf die künstliche Militäraktion angesprochen. Seine Auskunft: Er habe intensiv in dieser Sache recherchiert. Von offizieller Seite sei ihm nach mehrmaligen Anläufen schließlich gesagt worden, daß eine Abregnung stattgefunden habe. Gleichzeitig sei aber bestritten worden, daß die Wolke auf die sowjetische Hauptstadt zugetrieben sei.
Der Kiewer Hydrologe Dr. Wladimir Tikhij wagt sich noch weiter vor. Er habe mit Personen gesprochen, die selbst an der Aktion beteiligt gewesen waren, sagte Tikhij gegenüber der taz.
Der Wissenschaftler nannte weitere Einzelheiten: Danach sei Kohlendioxid-Schnee eingesetzt und von Flugzeugen aus versprüht worden. Für ihn gebe es „keinerlei Zweifel mehr“, daß die Wolke künstlich abgeregnet wurde. Auch die meterologischen Aufzeichnungen der ersten Mai-Tage sprächen dafür: Der Wind sei aus südwestlicher Richtung gekommen.
Die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen, Lilo Wollny, hat, wie sie der taz sagte, ebenfalls zuverlässige Informationen über den radioaktiven Regen. Bei Gesprächen in Moskau sei ihr aus dem Ministerium für Hydrologie diese Aktion bestätigt worden.
Künstliche Abregnungen sind technisch kein Problem. Üblicherweise wird dafür Silberjodid verwendet. Als Prävention gegen Hagelschlag werden zum Beispiel Gewitterwolken gelegentlich mit Silberjodid geimpft. Aber auch Kohlendioxid-Schnee, der vor allem billiger ist, kann dazu benutzt werden, um Kondensationskerne in die Wolken zu bringen.
Künstliche Abregnungen wurden unter anderem im Vietnamkrieg von den Vereinigten Staaten eingesetzt. Nachdem das berüchtigte Entlaubungsmittel Agent Orange über dem Dschungel versprüht worden war, sollte der Regen das auf den Blättern sitzende Gift auf den Boden transportieren. Manfred Kriener
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