INTERVIEW: Psychotherapie: „Das, was wir haben, nicht zerbrechen lassen“
■ Eva Weiß (44), Ost-Psychologin und neue Vizepräsidentin des Berufsverbandes Deutscher Psychologen, über die psychotherapeutische Versorgung in der Ex-DDR
Die gesundheitliche Versorgung in den FNL hat „oberste Priorität“ für die deutsche Ärzteschaft. Das zumindest versicherte Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer, beim 94. Deutschen Ärztetag. Vor den 250 Delegierten, die bis Samstag in Hamburg diskutieren wollen, plädierte Vilmar für ein „leistungsfähges, freiheitliches Gesundheitssystem“. Doch daß die Gesundheitsrichtlinien der BRD in der Ex-DDR einfach übernommen werden, ist nicht nur ein Segen für die Kranken. Teilbereiche der medizinischen Versorgung in den FNL, die früher recht und schlecht funktionierten, sind seit der Wende in ihrer Existenz gefährdet.
taz: Für die Menschen in der Ex-DDR hat sich das psychosoziale Gefüge seit der Wende radikal verändert. Die neuen Bedrohungen und Ängste, die veränderten Perspektiven — das alles muß verarbeitet werden. Kann dieser Prozeß mit entsprechenden psychotherapeutischen Maßnahmen begleitet werden?
Eva Weiß: In unserem Land sollte man über Nacht ein mündiger Bürger werden. Etwas, was man vorher nie sein durfte. Nach der Maueröffnung gab es eine große Irritation, und viele Menschen brauchten therapeutische Hilfe. Anschließend kam die Angst: Wehe ich bin krank, dann bin ich einer der ersten, der rausfliegt. Also wurde versucht, seelisches Leiden zu kompensieren. Man begab sich gar nicht oder erst sehr spät in Behandlung. Doch inzwischen ist der Druck so groß geworden, ist die Angst und Agressivität so gewachsen, daß immer mehr Menschen psychotherapeutisch behandelt werden müssen.
Und wo bekommen sie Hilfe?
Durch den Zusammenbruch der Polikliniken ist die Versorgung sehr schwer geworden. Die PsychologInnen — die bisher in den Polikliniken für die psychotherapeutische Behandlung der PatientInnen zuständig waren — werden gekündigt, weil ihre Leistungen nicht abgerechnet werden können. In den Fallpauschalen, die festlegen, für was die Polikliniken Geld kriegen, sind nur Ärzte vorgesehen. Das heißt, es gibt immer mehr Menschen, die Therapien brauchen, die PsychologInnen könnten auch arbeiten, nur Geld kriegen sie keins.
Wieso werden Psychologen in den Fallpauschalen nicht berücksichtigt?
Die psychotherapeutische Versorgung in der DDR haben — anders als in den alten Bundesländern — vorrangig die DiplompsychologInnen sichergestellt. Wir haben nur rund 100 Fachärzte für Psychotherapie, aber 2.500 bis 2.600 DiplompsychologInnen. In den Psychotherapierichtlinien, die in erweiterter Form ab 1. Juli für die neuen Bundesländer gelten werden, ist definiert, wer mit welcher Qualifikation therapeutisch arbeiten und abrechnen kann. Und das ist für Diplompsychologen so ungünstig, daß viele von ihnen von den Kassen nicht bezahlt werden.
In der Bundesrepublik können nur MedizinerInnen über die kassenärztliche Vereinigung abrechnen. Und PsychologInnen müssen sich ihre therapeutische Arbeit dann im Delegationsverfahren über ÄrztInnen bezahlen lassen. Liegt es an diesen Bestimmungen, daß DDR-PsychologInnen über die Pauschalen kein Geld kriegen sollen?
Genau. Und das ist auch das Diskriminierende. Schließlich sind wir eine eigene Berufsgruppe, waren bisher für die psychotherapeutische Versorgung in der DDR zuständig und haben sehr eigenständig gearbeitet. Das ist auch eine Frage des Stolzes.
In den alten Ländern gibt es schon lange Streit um die Anteile auf dem Psychomarkt, um die Anerkennung der unterschiedlichen Ausbildungen und darüber, welche Berufsgruppe Psychotherapien mit der Krankenkasse abrechnen darf und welche nicht. Wird dieser Streit jetzt in die FNL importiert?
Wir werden einfach an die Richtlinien im Westen angepaßt, weil noch kein Psychotherapeutengesetz da ist. Damit kriegen wir auch die ganzen Querelen und Spannungen mit.
Wie sollte die psychotherapeutische Versorgung in der Ex-DDR gesichert werden?
Wir dürfen das, was wir haben, nicht zerbrechen lassen. In die Fallpauschalen müßten psychotherapeutische Leistungen eingearbeitet werden, und zwar unabhängig vom Arzt.
Vor der Wende, konnten Sie da die Bevölkerung ausreichend betreuen?
Nein. Es mußten schon jede Menge Widerstände überwunden werden, bevor Psychologie als Studiengang an der Universität eingerichtet worden ist. Und dann war es sehr schwer, einen Studienplatz zu bekommen. Es wurden viel mehr PsychologInnen gebraucht, als ausgebildet wurden.
Psychoanalyse war ja in der DDR eher verpönt. Welche Therapieformen wurden denn angeboten?
Gesprächs-, Verhaltens- und auch körperorientierte Therapien.
MedizinerInnen in der BRD argumentieren, daß PsychologInnen im therapeutischen Bereich ungenügend qualifiziert sind. Wie gut war die Ausbildung in der DDR?
Besser als in den alten Bundesländern. Schon im Grundstudium fing für die, die klinische Fächer belegt haben, die therapeutische Ausbildung an.
Gab es psychotherapeutische Versorgung auch außerhalb der Polikliniken?
An vielen Großkliniken gab es psychiatrische oder Suchtberatungsstellen. Dann gab es noch die Möglichkeit, eine stationäre Psychotherapie zu machen. Niedergelassene PsychologInnen gab es so gut wie gar nicht.
Es war also nicht so einfach, einen Therapieplatz zu bekommen?
In der psychotherapeutischen Klinik in Berlin Herzberge — dort wo ich arbeite — hatten wir Warte- und Anmeldungszeiten von über einem halben Jahr.
Und wenn jemand akut versorgt werden mußte?
Der landete zur Krisenintervention oft in der Psychiatrie. Dadurch kann ein seelisches Leiden aber schnell chronifiziert werden. Oft auch wurde ein psychisches Leiden gar nicht als solches erkannt, sondern von der somatischen Medizin behandelt. Pillen verschreiben oder eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen geht eben schneller als eine psychotherapeutische Behandlung. Interview: Bascha Mika
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen