: Den Streit um Marx gewinnt das Kapital
■ Zahllose Städte und Gemeinden wollen den weltweit anerkannten deutschen Philosophen kleinkariert auf dem Altar der Vergangenheitsbewältigung opfern
Im Ostseebad Ahlbeck ist er längst zu dem geworden, was er nie sein wollte: zum Kaiser. In anderen Städten, Dörfern und Gemeinden durfte er mit knapper Mehrheit bleiben, was er war: Karl Marx. Keine Stadt in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die den Vater des gleichnamigen Ismus nicht mit dem obligatorischen „K.-M.-Platz“ ehrte, kein noch so kleines Kaff, das ihm nicht wenigstens eine Straße weihte. Zugegeben, es waren nicht immer die schönsten. Mal ließ man die Karl-Marx-Straße von abbröckelnden Plattenbauten säumen, mal trug — wie zum Hohn — eine holprige Kopfsteinpflastergasse den drei Nummern zu großen Namen. Meist war es jedoch eine der örtlichen Hauptstraßen, die von Zwickau bis Arkona stereotyp „K.-M.- Straße“ hieß.
Was also tun, nach dem Ende des Ismus, mit dem alten Rauschebart auf den Straßenschildern? Dumm war er ja nicht und eine historische Bedeutung hatte er allemal. Und was weltweit anerkannt ist, darf Dresden, darf Eberswalde, darf Klein-Machnow das kleinkariert auf dem Altar der Vergangenheitsbewältigung opfern?
Den Bann gebrochen hatten schon kurz nach der Wende die Bürger von Chemnitz, die partout nicht länger in Karl-Marx-Stadt wohnen wollten. In Leipzig mußte der Schriftzug des großen Denkers vom Gebäude der Universität verschwinden, die vorerst lieber namenlos als nach dem deutschen Denker benannt sein wollte. Auch der gleichnamige Platz, im Jahr der Wende Heimstatt und Sammelpunkt für die historischen Montagsdemonstrationen, er mußte seinen Namen lassen. Karl-Marx, der Antimonarchist, mußte in Leipzig dem Sachsen-Fürst Augustus weichen.
Da kam er in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt mit der wertneutralen Umbenennung in Magdeburger Straße sogar noch glimpflich davon. Und auch der Wandel in Königsberger Straße, wie in Rostock beschlossen, muß nicht unbedingt eine Kränkung für den alten Philosophen sein. Auch wenn mancherorts aus der Karl-Marx-Straße ein „Am Dorfteich“ wurde oder ein „Mühlenweg“, kann olle Marx ganz zufrieden sein. Denn diese Straßen hatte er zuvor nun wirklich nicht verdient. In etlichen Städten und Gemeinden konnte Karl Marx jedoch überleben — teils aus Unentschiedenheit, teils dank einer hauchdünnen Gemeinderatsmehrheit.
Wirklich in die Bredouille mit ihrem Marx ist ausgerechnet die einstige Hauptstadt der einstigen DDR gekommen: In der mauerlosen Stadt könnte die vom Alexanderplatz ausgehende Karl-Marx-Allee eigentlich bleiben. Denn so provinziell, dem großen Geist den Namen streitig zu machen, will man in der Möchtegern- Metropole Berlin nun auch nicht sein. Monumental genug, um seinen Fans angemessen zu erscheinen, ist die 90 Meter breite Betonschneise allemal, und häßlich genug, um seine Gegner zufrieden zu stellen, ist sie auch. Der Haken nur: Seit Jahren schon ziert der Name Karl Marx die Hauptgeschäftsstraße des Westberliner Bezirks Neukölln. Und nach dem Berliner Straßengesetz dürfen Personen in der Stadt nur einmal auf Straßenschildern prangen. Da eine Umbenennung im Westen den Neuköllner Geschäftsleuten mit ihren unzähligen Briefköpfen und Visitenkarten teuer zu stehen kommen würde, scheint schon jetzt ausgemacht, wer den Streit um Karl Marx gewinnt: das Kapital.
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