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Fußballfeldjäger in Form

■ WehrpflichtgegnerInnen ließen sich auf Fußballplatz in Königs Wusterhausen unfeierlich als Rekruten mit vereidigen

Königs Wusterhausen. Wolf Biermann, einst Pazifist, nun Bellizist singt gegen den Wind — vom Band. Kläglich scheppert das Lied des Deserteurs über den Sportplatz in Königs Wusterhausen. Dann und wann übertönt die Fahnenflucht-Message aber doch die armeeüblichen Morgengrüße wie: »Augen geradee aussss!« Für die 205 Rekruten, die auf dem Sportplatz angetreten sind, soll dies der schönste Tag im Soldatenleben sein. Feierliches Gelöbnis auf die Verfassung vor Eltern und Freundinnen. Zum ersten Mal in diesem Städtchen.

Doch was müssen die frischen Verteidiger des Vaterlandes und der extra angereiste Staatssekrtär Willi Wimmer aus Bonn nun hören? Punk, Brecht und Weill und rotes Protestgeschrei, als sei man noch von Feindesland umgeben. 30 DemonstrantInnen aus Ost und West, angetan mit UNO-Blauhelm aus Pappmache stehen am Rand des Areals und geben keine Ruhe: »Nie wieder Krieg ohne deutsche Soldaten«, halten sie den Rotbekäppten entgegen. Gegen klingendes Spiel das Wortspiel: »Uno ergo bum!«

Um 10.45 Uhr gibt sich die Feldjägerschaft noch ruhig, die Armeepolizei schaut nur bös'. Bürgermeister Georg Lüdtke reflektiert am schwarz-rot-goldenen Pult darüber, daß »Bürger in Uniform« ja eigentlich auch nichts anderes bedeute als »Volksarmee«. Dann grüßt der Staatssekretär die anwesenden Vertreter der sowjetischen Streitkräfte und zitiert ausführlich den Bundespräsidenten. Plötzlich starten einige der Demonstranten einen Zickzacklauf über den Sportplatz vor die im Viereck angetretenen Rekruten. Rechtschaffen brutal bringen verfolgende Feldjäger sie in der Manier von American-Football-Spielern zu Fall. Auch ein paar neugierige Pressefotografen kriegen ihr Fett weg. Polizei kommt hinzu. Der Wagen der Demonstranten wird umstellt, Schlüssel und Papiere werden einkassiert. Kein Polizist nennt seine Dienstnummer. Im Hintergrund erklingt der niederländische Choral Wir treten zum Beten.

Die Rekruteneltern reagieren ungehalten á la Geht doch nach drüben! »Wo ward ihr denn, als vor zwei Jahren Honecker hier vereidigte«, müssen sich die jungen ProtestiererInnen sagen lassen. Nach dem Trommelwirbel und der Nationalhymne wird ein Demonstrant in Gewahrsam genommen. Ironischerweise ist es ein junger Mann, der selbst gerade verweigert hat — in der Königs Wusterhausener Kaserne, quasi aus den Reihen des frisch verschworenen Kanonenfutters heraus. kotte

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