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Auto-Recycling: Wo die Sonnenblende tickt

■ Pilotprojekt „Auto-Wertstoff-Recycling“ will die Zeitbombe Automüll entschärfen: Die Blechkarossenverwertung

“Das Auto muß als Zeitbombe für die Umwelt entschärft werden“, fordert Paul Brandt, Geschäftsstellenleiter des ACE in Bremen. Den Umweltkiller Auto entschärfen — das hat sich der gewerkschaftliche Auto-Club Europa ACE als Ziel auf seine Fahnen geschrieben. Er hat sich in ein Pilotprojekt eingeklinkt, das seit dem Januar in Bremen läuft: Ins Auto- Wertstoff-Recycling (AWR).

Dorthin können BremerInnen seitdem kostenlos ihre Autos zum (fast) restlosen Ausschlachten und Wiederverwerten bringen, anstatt sie wie bisher auf dem Schrottplatz einfach nur abzulagern und die Entsorgung der Zeit zu überlassen. Der ACE hat für die zweijährige Experimentalphase kostenlos einen Transporter zum Auto-Wertstoff-Recycling abkommandiert — Anruf genügt.

Beim herkömmlichen Zerschreddern ausgedienter Autos mischen sich Flüssigkeiten aus Batterien, Kühlanlage, Bremsleitungen, Getriebeöl mit Aluminium und Chromteilen, mit Gummireifen, Vliesfetzen und Sitzen, mit Glas und Kunststoffen. Die saugen sich voll, verheddern sich ineinander und sind nur schwer oder gar nicht mehr voneinander zu trennen. Ihre Weiterverwendung ist deshalb unmöglich.

Für 100 Mark pro Tonne ist Autoschrott derzeit noch an den Mann zu bringen. Wenn dieser Müll aber in wenigen Monaten an neuen Maßstäben gemessen und zum Sondermüll erklärt wird, dann wird sich der Preis verzehnfachen, für den die Schredderunternehmen ihn — wenn überhaupt — entgegennehmen: Autoschrott wird unrentabel. Nach Töpfers neuer Rücknahmeverordnung streiten sich nun die Geister, ob der letzte Besitzer, Schrotthändler oder der Autohersteller das lästige Wrack entsorgen müssen.

Rund eine Million PKW verkehren im Großraum Bremen.

Vor dem Aussterben: Schrottplätze, auf denen sich tonnenweise Bleck und Giftstoffe übereinandertürmenFoto: Katja Heddinga

Ein Zehntel davon wandert Jahr für Jahr auf den Schrott — als zerstückelte Altlast. Und genau da setzt das Auto-Wertstoff-Recycling an: Mit 31 Beschäftigten zerlegt es bis zu 10 Autos täglich in ihre Bestandteile. Die werden in Containern gesammelt und als sauber sortierte Wertstoffe in den Produktionsprozeß zurückgegeben.

Klaus Buschmann, Leiter des als Beschäftigungsprojekt begonnenen Recycling-Unternehmens, führt durch die AWR-Werkstatt auf dem Gelände des Hemelinger Schrotthändlers Erwin Meyer. Meyer unterstützt das Projekt mit Know-How. Schon jetzt ist er Nutznießer des Betriebes: Er erhält sauber leergeräumte Blechkarossen für seine Schredderei,

von denen er sonst nur träumen könnte.

In der Halle wird das angelieferte Fahrzeug trockengelegt, Motor, Getriebe und Achse entfernt. Mit einer eigens entwickelten Hebeeinrichtung wird die Karre dazu auf die Seite gelegt. Funktionstüchtige oder reparierbare Teile werden an Gebrauchthändler weitergegeben, die anderen in ihre Metall-Teile zerlegt. Für eine Tonne Aluminium kann der Wertstofflieferant immerhin noch 1.000 Mark erzielen.

Weitaus komplizierter stellt sich die Demontage des Innenraumes dar. Ein Mitarbeiter schlitzt die Sonnenblende auf: Vergilbtes Schaumgummi quillt ihm entgegen. Die Kunststoffumhüllung

hier bitte

das Foto

vom Schrottplatz

wird abgezogen, in den Plastikcontainer geworfen. Das Schaumgummi klebt noch ein wenig an dem Metallgestell fest. Andere Fabrikanten umschäumen den metallenen Rahmen noch: dann hat der Entsorger Mühe, die simple Sonnenblende in klare Stoff-Fraktionen zu zerlegen. Für Gummiteile (Dichtungen, Reifen, Schutzmatten) gibt es auf dem Markt keine Abnehmer.

Genauso wenig wie für das „Flachglas“ der Fensterscheiben — im Gegensatz zum Behälterglas aus dem Haushalt. Die meisten Windschutzscheiben sind außerdem aus Sicherheitsglas, das einerseits in viel zu viele Einzelteile für's Recycling zerbröselt, andererseits auch ganz andere Schmelzeigenschaften als Haus

haltsglas hat. Noch schwieriger ist es mit Verbundglas: AWR hat bisher nur einen Hersteller finden können, der die Kunststoffolie aus dem Glassandwich herauslöst — und der läßt sich diese Arbeit teuer bezahlen.

Nächstes Beispiel: Der Sicherungskasten, PVC. Die durchsichtige Klappe davor ist aus Polyacryl. Beim Kunststoffverarbeiter bringt das kiloweise 1,30 Mark. Oder das Zündschloß, ein feiner Aluminium-Gußkörper mit Stahlzylinder: Wie beides voneinander trennen? Welcher Stoff-Fraktion zuordnen?

Etliche Techniken mußten entwickelt, Geräte konstruiert werden. Dafür zahlt das Land Bremen Zuschüsse. Die Mitarbeiter (noch ABM) werden entsprechend qualifiziert: Zum Autoentsorger, dessen Berufsbild nicht zuletzt mit dem Projekt beschrieben und etabliert werden soll. 4,3 Millionen Mark zur Anschubfinanzierung hat Bremen aus verschiedenen Töpfen für die ersten zwei Jahre des Projektes lockergemacht.

Langfristig soll sich jedoch die Industrie beteiligen. „Die Gründung einer GmbH steht kurz vor ihrem Abschluß“, berichtet Projektleiter Buschmann. Zwei Unternehmen, die künftig auf Umwelt statt auf Rüstung setzen wollen, haben ihre Mitarbeit angekündigt.

ACE-Vertreter Brandt plädiert für eine flächendeckende Versorgung der Bundesrepublik mit solchen Recycling-Betrieben. „Dezentral, am besten in der Nähe von den Zulassungsstellen“, meint er. Wiederverwertungsmodelle, wie sie die Autohersteller für ihre eigenen Produkte derzeit entwickeln, würden nur zusätzlichen Schwerlastverkehr bewirken: Zur VW-Entsorgung nach Leer, zur BMW-Verschrottung nach Süddeutschland. Uns wie Autos aus Übersee recyclen? Sein Auto-Club will mit dem Engagement im Auto-Recycling Bremer Machart den Autofahrer aus der „Schmuddelecke“ der Umweltsünder herausholen. „Vielleicht läßt er sich beim Autokauf dazu umerziehen, in Umwelt statt in Protz zu Investieren.“

Auch Projektleiter Buschmann hat gesellschaftspolitische Ambitionen: „In Richtung Industriekonversion.“ Durch öffentlichen Druck müsse man auf die Autohersteller einwirken, daß Verbundwerkstoffe weitgehend vermieden, die Vielfalt der Kunststoffe eingeschränkt und die einzelnen Teile gekennzeichnet werden, fordert er. Birgitt Rambalski

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