QUERSPALTE: Bonn, Berlin, Bilshausen
■ Ergänzende Anregungen zur Hauptstadtfrage
Lieber Herr Geißler! Daß Sie den Kanzler nicht riechen können, ist bekannt. Aber braucht es deswegen zwischen Regierung und Parlament 450 Kilometer Luftlinie? Den linken Fuß in Bonn, den rechten in Berlin — den politischen Spagat quer durch die Republik? Bis der Steiß kracht!
Von der parlamentarischen zur Glasfaser-Demokratie. Regierungskontrolle per Telefax, Videokonferenz und Bildtelefon, ein Luftpaternoster der Bundesluftwaffe zwischen Regierungssitz und Hauptstadt? Mit den ausgemusterten Starfightern hätte man dafür das ideale Transportgerät. Technisch, lieber Herr Geißler, ist das alles kein Problem. Eine neue Luftbrücke zwischen Ost und West mit fliegenden Pressekonferenzen und allgegenwärtigen Politikern. Auch die Staatsgäste könnten sich halbieren. Lady Di winkt vorm Brandenburger Tor, der Prinz schüttelt in der Bonner Filiale das Händchen. Was in Bonn gesagt wurde, kann in Berlin dementiert werden — und umgekehrt. Auch die Kungeleien zwischen Regierung und Kontrollorganen wären gestoppt. Das Parlament, so haben Sie gesagt, könnte sich endlich von der Regierung emanzipieren. Prima, Herr Geißler! Nur: Was tun, wenn die Fluglotsen streiken?
Und wenn schon eine geteilte Hauptstadt, dann bitte nicht so halbherzig. Dann bitte: ein, zwei, viele Hauptstädtchen! Wie die Bausparkassen und Avon-Beraterinnen könnte endlich auch die Regierung ein dichtes Netz von Zweigstellen über die Republik legen. Das Umweltministerium kommt nach Bitterfeld, das Forschungsministerium nach Kalkar, das Frauenministerium auf den Brocken, der Entwicklungshilfeminister nach Bad Sülze (Mecklenburg-Vorpommern), das Landwirtschaftsressort in die Vechtaer Schweinebucht; Waigel residiert in Bankfurt, der Kanzler in Sitzbüttel (bei Brunsbüttel). Und Minister Kinkel nach Stammheim? Nein, dann lieber doch nicht.
Sehr viel besser macht sich da schon Rita Süssmuths Vorschlag, daß Bonn- und Berlin-Protagonisten endlich aufeinander zugehen sollten. Wenn sie zur selben Zeit losmarschieren, würden sie sich irgendwo zwischen 3429 Bilshausen und 3412 Nörten-Hardenberg, unweit von Göttingen treffen. Daß diese beiden Perlen des Weserberglandes nicht längst als Alternativen in der Diskussion sind, zeigt nur die leidige Metropolen-Fixiertheit der ganzen Debatte. Lieber Herr Geißler: Wo, wenn nicht hier, direkt an der alten Grenze, inmitten lauschiger Buchenhaine, könnten sich die Inspirationen der 90er Jahre entwickeln? Die Bundesregierung nach Bilshausen, das Parlament nach Nörten- Hardenberg. Manfred Kriener
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