: Aggressive Öko-Pharisäer
■ Der zivile Ungehorsam der besseren Menschen auf dem Fahrrad muß erlaubt sein
Manta-Fahrer im Sattel oder heldenhafte AutoverweigerInnen? Die Radfahrer, die sich seit Jahren in immer größeren Zahlen durch unsere autogerechten Stinkstädte und Ozonhochburgen quälen — und sich dabei nicht mehr an jede Verkehrsregel halten —, sie sind in Verruf geraten. Rüpelradler seien sie und Rowdys, selbstgerechte Öko-Pharisäer auf dem Drahtesel, die sich »fahrradiesische Freiheiten« herausnähmen. Sybil Gräfin Schönfeldt, die Frau Knigge der 'Zeit‘ und dort für alle Benimmfragen zwischen Kuchen-, Arsch- und Bremsbacken zuständig, blies unlängst zum Generalangriff: »Sie parken die Räder quer auf Fußwegen und Einfahrten. Sie fahren nachts ohne Licht, in Einbahnstraßen in der falschen Richtung, zu zweit nebeneinander, und sie vermehren sich wie Heuschrecken — worauf sie auch noch stolz sind.« Die zu Fuß gehenden »Opfer« der Radfahrer, so meint die ältere Dame, deren Freundin es neulich auf dem Gehsteig knochenbrechend erwischte, müßten »in die Tausende gehen«. Solche tragischen Unglücke tauchten »nie in Tageszeitungen auf, weil Autounfälle spektakulärer sind«. Mithin sei ein Mountain-Bike auch nichts anderes als ein protziger Geländewagen. So klagt die Schönfeldt und schaut unschuldig durch ihre Tootsie-Brille, die nahezu die Größe einer Windschutzscheibe hat. Daß der Autoverkehr erst die Radler auf den Bürgersteig und damit in die gefährliche Nähe der FußgängerInnen quetschte, läßt sie ebenso beiseite wie die Tatsache, daß jährlich zwischen 700 und 900 Radler durch Automobilisten getötet werden. In weniger als 40 Prozent der Fälle sind die Radler die Verursacher.
»Die tun so, als ob sie die besseren Menschen sind und benehmen sich erstaunlich aggressiv, auch bei den geringsten Anlässen«, weiß der leidenschaftliche Autofahrer und Publizist E.K. Er hat es satt, daß ihm die schnellen Leute mit der Zehngang- Schaltung immer öfter aufs Autodach klopfen, während sie sich an ihm vorbeischlängeln oder wenn er sie beim Abbiegen mal nicht gesehen hat. Allerdings muß R. zugeben, daß er seinen rußblasenden japanischen Diesel auch nicht gerade langsam und lammfromm bewegt.
Fotograf D.W. (28) hat einen großen Mercedes und viel Verständnis für RadfahrerInnen. »Ich finde es völlig okay, wenn Fußgänger über Radfahrer meckern. Aber Autofahrer sollten ihren Mund halten, die Augen offen und bremsbereit sein.« Seine Kollegin, die 34jährige D.H., fährt kaum noch Auto und fast nur noch Bus. »Früher, als ich noch ganz jung war, hatte ich beim Radeln immer einen rostigen Nagel dabei — für die Autos, die auf dem Fahrradweg parken.« In ihren Augen blitzt es systemveränderlich.
Und die Taxifahrer? Müßten sie nicht am bittersten leiden unter den aufmüpfigen Tretern, die nach Sicht und Gehör fahren und nicht nach Rot und Grün? Die sich im Tour de France-Tempo zwischen den PKWs durchwieseln? Die nur noch laut schreien und wild klingeln im Kampf gegen die für Verbrennungsmotoren eingerichtete Welt — statt auch mal höflich in die Bremse zu steigen? Natürlich gibt es ihn, den Berufsberliner Droschkenkutscher, der einen auf 50 Zentimeter Breite ausgebauten Rückspiegel hat, damit ihm im toten Winkel keiner »dieser kleinen bunten Drecksäcke« entgeht, die »rechts oder links überholen, wie sie wollen«. Aber die Mehrheit dürfte moderater eingestellt sein. So etwa E.J., ein gemütlicher Mecklenburger, der seit 28 Jahren im Geschäft ist. »Ich weiß gar nicht, warum soviel über Radfahrer gemeckert wird, die benehmen sich doch vernünftig. Die haben Vorfahrt wie wir, Taxifahrer haben keine Sonderrechte.« Spricht's und rollt im Leerlauf langsam hinter einer Hollandradlerin her, die mitten auf der Straße fährt.
Der ganz natürliche Widerpart der ADAC-Mitglieder sind die Fahrradboten. Denn das Leiden an der automobilen Gesellschaft ist quasi das täglich Brot der quicken HelmträgerInnen. H.K., ein 21jähriger Schnellfahrer, hofft auf »pädagogische Effekte, wenn ich wieder mal nicht mehr absteige und einen verträumt einparkenden Autofahrer durch haarscharfes Umfahren erschrecken muß«. Oder wenn er sich in den schmalen Nebenstraßen des Ku'damms an einem Reisebus vorbeiquetscht, »der da einfach nicht hingehört«. Manchmal könne er auf Autos eben keine Rücksicht nehmen, »auch wenn die im Recht sind«. Natürlich gebe es auch Fahrradrüpel, sagt er und rückt die wasserdichte Umhängetasche zurecht, »aber die sind längst kein so großes Risiko wie die, die auf Motorrädern sitzen oder in Autos«.
Auch Uta Wobit, 48, Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) in Berlin, findet — aufrichtig kreuzzüglerisch —, daß »die Autofahrer das Problem sind und nicht die Radler«. Viel sei momentan die Rede von angeblich gesetzlosen Pedalrittern, »aber an die überfahrenen Radfahrer haben sich alle gewöhnt«. Schließlich werde das Verkehrsgeschehen von den KFZ- Lenkern bestimmt und nicht von den Radlern. Zwar seien RadfahrerInnen »auch keine Engel« — allerdings müßten manche ihrer praktischen Übertretungen, wie das gegenläufige Einbahnstraßenfahren, sogar legalisiert werden. Wichtiger und sicherer als »Rechtsansprüche« gegeneinander in Stellung zu bringen, sei eine gleichberechtigte Teilung des Straßenraums: »Eine Spur für Autos, eine für Busse, eine für Radler.« kotte
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