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Die DDR-Kinderzeitschriften sind nurmehr Erinnerung

Ende Juni kommt das Aus für den früheren FDJ-Verlag Junge Welt: 'Bummi‘, 'mosaik‘ und 'ABC-Zeitung‘ verschwinden vom Zeitschriftenmarkt  ■ Aus Berlin Frank Nordhausen

Der Verlag Junge Welt, zu DDR- Zeiten wichtigster Produzent von Druckerzeugnissen für Kinder und Jugendliche, macht Ende Juni dicht. Anfang des Monats scheiterte der Abschluß eines Übernahmevertrages durch den Pabel-Moewig-Verlag, einer Tochter des Hamburger Heinrich-Bauer-Verlages, der vor allem an dem Gebäude in der Mauerstraße gegenüber dem alten DDR-Innenministerium interessiert war. Hintergrund ist die Weisung Finanzminister Waigels an die Treuhand, im Areal des möglichen Regierungsviertels keine weiteren Verkäufe von Immobilien zuzulassen.

Wer seine Jugend in der DDR verbracht hat, kennt die Namen der zuletzt elf Zeitschriften des 'Junge Welt‘-Verlages: 'Bummi‘, in der ein kleiner Bär die Kindergartenkinder zur Sauberkeit mahnte; die 'ABC- Zeitung‘ für Erst- und Zweitklässler, 'mosaik‘, 'Neu(es) Leben‘. Angegliedert waren der Buchverlag Junge Welt und die Tageszeitung gleichen Namens, einst das „Organ des Zentralrats der FDJ“. 1952 als GmbH gegründet, wurde der Verlag de facto von der FDJ übernommen. Die Auflagen waren gigantisch, lagen bei einigen Titeln über einer Million. Als die Westpresse durch die offene Grenze schwappte, stürzten die Auflagenzahlen denn auch ab: Bei der 'ABC-Zeitung‘ von einer Million auf 210.000, bei 'Bummi‘ von 743.000 auf 195.500.

Den RedakteurInnen wurde schnell klar, daß sie sich von der FDJ abkoppeln mußten, wenn der Verlag überleben sollte. Am 26. Februar 1990 unterschrieb die FDJ-Vorsitzende Birgit Schröder ein Dokument, in dem sie erklärte, „daß der Verlag Junge Welt nach unserem Kenntnisstand zu keinem Zeiptunkt rechtmäßiges Eigentum der FDJ war“. Damit verzichtete die Jugendorganisation auch auf die Tageszeitung, ihr Sprachrohr.

Nach dem Rückzug der FDJ sahen die 508 Beschäftigten zunächst die Chance, den Verlag selbständig weiterzuführen. Die alte GmbH wurde quasi wiederbelebt, die Gesellschafteranteile wurden von drei Beschäftigten übernommen. Die DM- Eröffnungsbilanz vom Juli wies 50 Millionen aus, davon 11 Millionen Mark Barmittel.

Aber wie gegen die übermächtige westliche Konkurrenz und ihre Hochglanzblätter bestehen? Ein aufgeblähter, inkompetenter Verwaltungsapparat verursachte enorme Kosten, niemand verfügte über Erfahrung im Management und im Anzeigengeschäft, die Technik entsprach dem Stand der sechziger Jahre und der Postvertrieb funktionierte nur unzulänglich. Und seit März blieben die FDJ-Subventionen aus.

„Es gab Gespräche mit zahlreichen Investoren. Aber nur der Heinrich-Bauer-Verlag hatte ernsthafte Kooperationspläne“, sagte Wolfgang Titze, Gesellschafter und seit Januar 1990 Geschäftsführer. Mit der Bauer-Tochter Pabel-Moewig wurde im Februar 1990 eine Absichtserklärung unterzeichnet. Bauers „Einstieg“ vollzog sich jedoch zögerlich. Es kursierten Gerüchte, wonach es Bauer vor allem um die 24-Millionen-Mark-Immobilie und allenfalls um die auflagenstarken Glanzstücke 'mosaik‘, 'Bummi‘ und die 'ABC-Zeitung‘ gegangen sei.

Immerhin investierte Bauer eine Million Mark und schickte Marketing-Berater, die zunächst vernichtende Kritik an Gestaltung und Präsentation der Produkte übten. Bald strahlte die vierte Etage in der Mauerstraße in frischen Farben, eine Million Mark floß in neue Computertechnik. 60 Prozent des Personals wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt entlassen. Pabel-Moewig schulte die RedakteurInnen am PC und integrierte die Verlagstitel teilweise in sein Vertriebsnetz.

Dennoch kam es zu keiner direkten Übernahme. Die wichtigsten Gründe:

—Selbst für einen Branchenriesen wie Bauer wäre die Übernahme des Verlages Junge Welt wegen der hohen Fixkosten und der breiten Produktpalette ein Risiko gewesen.

—Die Eigentumsverhältnisse am Verlagsgebäude waren ungeklärt. Seit 1914/15 im Besitz der Deutschen Bank, wurde das Haus 1946 enteignet, dem Volkseigentum zugeschlagen und Anfang der siebziger Jahre dem Verlag übergeben. 1990 stellte die Deutsche Bank einen Rückübertragungsantrag auch auf das Gebäude in der Mauerstraße.

—Auch die Eigentumsrechte am Verlag waren trotz aller Erklärungen noch keineswegs enträtselt. Wahrscheinlich handelt es sich um Volkseigentum oder Eigentum der FDJ.

Diese Probleme schnürten dem Verlag unaufhaltsam die Luft ab. Am 15.Februar ging Wolfgang Titze an die Öffentlichkeit. Er unterstellte der Treuhandanstalt, den Verlag durch Nichtstun in den Bankrott zu treiben. Zugleich kündigte Titze den Konkurs an. Die Treuhand reagierte ihrerseits mit Anwürfen gegen Titze: Er sei mit den Finanzen nachlässig umgegangen, habe Unterlagen nicht eingereicht und unmäßige Gehaltsforderungen gestellt.

Ein Gespräch am 21. Februar verschaffte dem Verlag eine Atempause. Wichtigstes Ergebnis: Titze bekam einen neuen, gut dotierten Geschäftsführervertrag und freie Hand für Verhandlungen mit potentiellen Investoren. Der Verlag wurde in drei Stücke geteilt. Im März ging die Buchabteilung an den Nürnberger Tessloff-Verlag. Das Jugendmagazin 'Siehste‘ konnte an einen westdeutschen Interessenten veräußert werden. Die Zeitung 'Junge Welt‘ wurde Anfang April an die Medienagentur Schmidt und Partner ('Elefantenpress‘, 'Titanic‘) verkauft.

Geschäftsführer Titze hält sich zugute, daß es ihm gelungen sei, die Auflagenzahlen der meisten Blätter zu stabilisieren. Dennoch machte sein Unternehmen Monat für Monat eine Million Mark Miese. Da endlich öffnete das novellierte Investitionserleichterungsgesetz vom 28.März den Weg zum Verkauf der Immobilie. In letzter Sekunde scheiterte die Vertragsunterzeichnung jedoch am Veto des Bundesfinanzministeriums. Unklar bleibt, wieso dem Verlag Junge Welt — im Gegensatz zu anderen Grundeigentümern im Regierungsviertel — bisher kein Ersatzobjekt in Aussicht gestellt wurde. Wolfgang Titze war zu einer Stellungnahme nicht bereit, Treuhand-Sprecher Schöde nicht erreichbar.

Die Belegschaft fühlte sich seit über einem Jahr einem ständigen Wechselbad ausgesetzt. Jetzt bekamen die verbliebenen 172 Beschäftigten zum 30. September die Kündigung. Den Verlust ihrer Arbeitsplätze nahmen sie, so eine Redakteurin, fast teilnahmslos hin: „Wir haben den Psychoterror um unsere Arbeitsplätze satt. Ich glaube schon, daß Titze um den Verlag gekämpft hat, habe aber das Gefühl, daß er den Westlern nicht gewachsen war.“

So folgt dem langen Siechtum des Verlages Junge Welt nun ein schneller Tod. Die Blätter '66 Rätsel‘, 'Super-Knobel‘, 'Lava‘, 'Vision und Technik‘ sowie 'Kinderwelt‘ werden zum 12. Juni eingestellt. Für 'Bummi‘, 'ABC-Zeitung‘, 'mosaik‘, 'practic‘ und 'neu leben‘ will der Verlag noch versuchen, Käufer zu finden. Gelingt dies nicht, verschwindet ein weiteres Stück DDR- Kultur für immer.

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