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Mit drei Dollars gegen Aids

■ Während in den Industrieländern die Zahl der Aids-Erkrankungen langsamer wächst als befürchtet, trifft die Entwicklungsländer die Epidemie mit ihrer ganzen Wucht. Das Ausmaß der Katastrophe in Afrika und...

Mit drei Dollars gegen Aids Während in den Industrieländern die Zahl der Aids-Erkrankungen langsamer wächst als befürchtet, trifft die Entwicklungsländer die Epidemie mit ihrer ganzen Wucht. Das Ausmaß der Katastrophe in Afrika und Asien rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Ugandas Präsident forderte in Florenz die Hilfe der Reichen.

VON MANFRED KRIENER

Warum machen wir überhaupt solche Konferenzen? Sind sie nur noch unnütze, aber teure Happenings von eitlen Wissenschaftlern!?“ Donnernder Applaus. Battista Rossi, Chairman des World-Aids-Kongresses in Florenz, hatte diese Frage nicht ernsthaft an die Organisatoren gerichtet, sondern polemisch an die Adresse der amerikanischen Regierung. Die US-Administration hatte in letzter Minute ihr Kontingent an Wissenschaftlern um mehrere hundert Teilnehmer gekürzt. Aus Kostengründen mußten viele hochrangige Forscher und Forscherinnen zu Hause bleiben.

Für das jährliche große Meeting von — diesmal 8.300 — Aids-Wissenschaftlern ist die Ausgrenzung eines großen Teils der US-Forscher eine Provokation. Denn der große Think Tank der Aids-Forschung liegt nach wie vor in den USA. „Wir brauchen sie, und sie brauchen uns“, beschwor Rossi den gerade bei Aids dringend notwendigen Austausch von Forschungserkenntnissen. So war es vermutlich durchaus ernst gemeint und nicht nur eine pikante Pointe, als Italiens Gesundheitsminister De Lorenzo an die US-Gesundheitsbehörden appellierte, daß man notfalls Geld für die Reise der US- Wissenschaftler spenden werde. Vergebens.

Kritik an den USA ist populär in Florenz. Jedesmal, wenn auf der Eröffnungsfeier am Sonntag die Diskriminierungspolitik der USA attackiert wurde, war der Beifall besonders groß. Der Boykott der nächsten Aids-Konferenz in Boston ist wegen der unbelehrbaren Einreisepolitik der USA, die keine Infizierten und Kranken ins Land läßt, schon jetzt ausgemachte Sache und wird in Florenz kräftig geschürt.

Die italienischen Organisatoren versuchen zum ersten Mal, Aids- Kranke und Infizierte bewußter in den Kongreß zu integrieren. Genau wie die Wissenschaftler und Journalisten konnten sie sich akkreditieren lassen. Mehrere hundert „Pilger der Hoffnung“, so der 'Corriere della Sera‘, haben dies auch getan, um hier aus erster Hand die neuesten Informationen über den Stand der Forschung zu erhalten, vor allem über neue Therapieansätze. Im Umfeld des Kongresses, auf den vielen Parties, Konzerten und bunten Veranstaltungen werden nochmals mehrere tausend Menschen mit HIV und Aids erwartet.

Die Florentiner haben für die Betroffenen einen erheblichen Aufwand getrieben, der ihnen den Vorwurf einbrachte, die Stadt habe einen hygienischen Maßnahmekatalog für den Kongreß vorbereitet. Tatsächlich stehen überall Krankenwagen herum, warten eigens eingerichtete HIV-Notfalldienste auf die Hilferufe von Kongreßteilnehmern. In mehreren Krankenhäusern wurden Betten geräumt und reserviert, auch im Kongreßzentrum „Palaffari“ ist eine Krankenstation eingerichtet worden. Liebevolle Fürsorge? Oder doch nur eine hysterische Fehleinschätzung der tatsächlichen Gesundheitsprobleme der Teilnehmer? Vorsorglich hatte Florenz' Bürgermeister Giorgio Morales seine Mitbürger aufgefordert, die Gäste „zivilisiert und würdevoll“ zu empfangen. „Es gibt keine Gefahr für die Bevölkerung“, attestierte ihm der Präsident der Region Toscana, Marco Marcucci, in längst vergessen geglaubter Manier.

Ebenso unübersehbar wie die Krankenwagen ist das große Polizeiaufgebot im Umfeld des Kongreßgebäudes. Polizeieskorten gab es auch für die Auftaktdemonstration von mehreren tausend Teilnehmern, die sich diesmal nicht nur gegen Diskriminierung, sondern vor allem gegen gestrichene Forschungsgelder und Mittel zur Prävention richtete.

Auf der Konferenz selbst dominiert der Blick auf die Entwicklungsländer. Es ist kein Zufall, daß gerade der ugandische Präsident Yoweri Museveni nach Florenz gekommen ist. Er kritisierte die „Tragödie“, daß viele afrikanische Regierungen viel zu lange das Problem Aids verleugneten oder paralysiert zugesehen hätten, wie das Virus sich mit großer Geschwindigkeit auf dem afrikanischen Kontinent ausbreitete. „Jetzt hat die Aids-Epidemie katastrophale Ausmaße angenommen, HIV hat seinen Schwerpunkt in den Entwicklungsländern.“ 1985, so Museveni, lebten zehn Prozent der Infizierten in den Entwicklungsländern, heute seien es 75 Prozent, „und im Jahre 2000 werden es 90 Prozent sein“. Mit einem durchschnittlichen Gesundheitsetat von drei Dollar pro Person und Jahr könnten die afrikanischen Länder mit der Last von Aids unmöglich allein fertig werden, sagte Museveni auf der Eröffnungskonferenz.

„Auf der Spitze des Vulkans“

Vulimiri Ramalingaswami, der Aids-Sonderbeauftragte der UNO, sah die Entwicklungsländer „auf der Spitze des Vulkans“ sitzen. Entschlossene und rasche Hilfsmaßnahmen seien jetzt vor allem in Asien notwendig, wo das Aids-Virus sich rasant ausbreite. In Thailand sei bereits jeder zehnte Erwachsene infiziert. Und auch aus Indien, Burma und China kämen „beunruhigende Signale“.

In den Industrienationen hat sich demgegenüber die Epidemie deutlich verlangsamt. In der Bundesrepublik waren nach den neuesten Zahlen bis Ende Mai 6.455 Menschen an Aids erkrankt. Die Zahl der Infizierten wird vom Bundesgesundheitsamt auf 50.000 bis 100.000 geschätzt.

Was die Therapie gegen Aids betrifft, wird die Konferenz von Florenz keinen spektakulären Durchbruch, aber wichtige Etappensiege melden. Die gerade veröffentlichten Impferfolge US-amerikanischer Wissenschaftler am Walter-Reed- Hospital in Washington gehören sicherlich dazu. Die US-Wissenschaftler hatten 30 HIV-Infizierte nachträglich mit einem gentechnisch hergestellten Hüll-Protein (ein Eiweiß aus der äußeren „Schale“ von HIV) des Virus geimpft. 19 Patienten sprachen auf die Impfung an, ihre Immunlage verbesserte sich, die Zahl der T-Helferzellen blieb über 180 Tage stabil. Jetzt sollen in einer zweiten Testphase 1.000 HIV-Patienten mit dem Hüll-Protein geimpft werden. Die Forscher sprechen von „einem wichtigen Schritt“ nicht nur für die Aids-Forschung, sondern für alle chronischen Infektionen.

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