: Grauenhafter Sommer
■ Wer rettet uns endlich vor dem Vergnügen an Wärme
Grauenhafter Sommer Wer rettet uns endlich vor dem Vergnügen an Wärme
Die Welt ist schlecht. Und zwar abgrundtief. Sie ist und bleibt es und wird es jeden Tag mehr. Was auch immer sie tut oder unterläßt — sie ist nun mal ein Jammertal. Monatelang, manchen erschien es wie Jahre, haben wir auf diese längst verlustig gegangene Epoche namens Sommer gewartet. Haben mit kälteverkrampften Schulterblättern noch im Juni die Heizkosten in die Höhe getrieben und mit wehem Herzen dem Erfrierungstod von Kirschen und Apfelblüten beigewohnt. Mit knirschenden Zähnen haben wir nach der fünften Erkältung die verhaßten Jeans und Winterpullover wieder vom Hängeboden geholt und schließlich die Urlaubsziele immer weiter gen Süden verlagert — um dann aus südlichen Breiten nach Hause zu telegraphieren: schickt Handschuhe! Es war ein Elend! Selbst die stabilsten Seelen gerieten ins Wanken, der Alkoholkonsum stieg analog zur Schlechtigkeit dieser Welt.
Aber dann kam er plötzlich, der Sommer, und alles wurde nur schlimmer. Nicht mehr Kältetod und Depression drohen, sondern Sommersmog. Die sommerliche Welt, sie ist ein permanenter Gefahrenherd: Kaum hatte man sich daran gewöhnt, daß die Urlaubsbräune nicht mehr bewundert, sondern mit einem abfälligen „Noch nie was von Ozonloch und Hautkrebs gehört?“ geächtet wird, da kommt der Sommersmog. Wo die Fernseh-Wetterfrösche einst stolz mit verheißungsvollem Weihnachtsgesicht auf die runden Sonnen der Schautafeln zeigten, heben sie nun drohend den Zeigefinger: Ozon, Ozon! Keine Bewegung oder der Smog schießt in Lungen und Augen! Eigentlich fühlt man sich pudelwohl ob der Hitze, aber das kann nicht sein. Das Ozon, es kratzt und beißt, es wütet und mordet gar. Vom Gang ins Schwimmbad ist dringend abzuraten, das Betreten bestimmter Städte strikt zu vermeiden. Körperliche Anstrengung ist ebenfalls zu unterlassen, die lauen Nächte sind keinesfalls in einem Gartenlokal zu verbringen, denn der smoggeschwächte Körper gehört zur Regeneration ruhend auf das Bett daheim, woselbst die Fenster sicherheitshalber geschlossen zu halten sind.
Da beschleicht einen die Ahnung, irgendwoher kennen wir doch dies Lebensgefühl aus den vergangenen Monaten — als noch die Kälte war, die zu Untätigkeit, Eingesperrtsein und Depression verdammte. Und da stimmt die Welt endlich wieder, die uns ums Haar arglistig getäuscht hätte mit ihrer lauen Abendluft und ihrem gleißenden, glitzernden Sonnenschein, der doch nur pures giftendes Ozon ist! Aber ha — den Medien sei Dank —, wir fallen nicht drauf rein: schlecht ist sie, die Welt, abgrundtief schlecht! Vera Gaserow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen