: Schlecht kopierte Legende
An der Moldau mißlingt auf drastische Weise der Versuch, das 'Prager Tagblatt‘ wieder aufleben zu lassen ■ Von Falk Madeja
Prag ist immer gut für eine mystische Geschichte, und so faszinierte ganz besonders, was da Agenturen Anfang März vermeldeten: Das einst legendäre 'Prager Tagblatt‘ sei vorerst als Wochenblatt auferstanden. Das mochte man nur allzu gern glauben, denn das Original hatte seit seiner Gründung im Jahre 1876 durch den Deutschen Heinrich Mercy in deutschsprachigen Bürgerstuben und Kaffeehäusern einen mehr als nur guten Ruf. Für die liberal-demokratische Tageszeitung schrieben unter anderem Hermann Hesse, Thomas Mann, Franz Werfel, Theaterkritiker war beispielsweise Max Brod.
Heinrich Mercy starb schon 1912 als 36jähriger, sein ihm zunächst nachfolgender Sohn Wilhelm zwei Jahre später. Den Mercys folgte als Herausgeber Rudolf Keller — unter dem das Blatt zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Blätter überhaupt aufstieg. Zu besten Zeiten lag die Auflage bei 63.000, die schlechtesten Zeiten für Prag wurden auch die schlechtesten für das 'Tagblatt‘. Weil Hitler den Rest der Tschechoslowakei in sein Drittes Reich einverleibte, erschien das 'Prager Tagblatt‘ zum letzten Mal am 15.März 1938. Keller ging zunächst nach England, später dann zur tschechoslowakischen Exilarmee nach Frankreich. Der letzte Chefredakteur, Rudolf Thomas, beging im November 1938 mit seiner Frau Grete Selbstmord. Andere exilierten oder starben in Konzentrationslagern. Denn das Tagblatt, das eigentlich immer von den Inseraten jüdischer Unternehmen in Prag lebte, schrieb sich in den Dreißigern die Seele gegen die Nazis wund.
Prager, die deutsch als ihre Muttersprache verstehen, gibt es jetzt noch 1.000; für diese und die insgesamt 50.000 Deutschen in der Tschechoslowakei, gab es zu „sozialistischen“ Zeiten die 'Prager Volkszeitung‘, die aber nur einen kurzen und zwar den „Prager Frühling“ erlebten. Nur in diesen endsechziger Tagen konnten die Journalisten um ihren Chefredakteur Fritz Schalek frei schreiben. Das verärgerte die Regierenden in der Deutschen Nicht-Demokratischen Republik so sehr, daß sie den Verkauf der Wochenzeitung in ihrem 40jährigen Reich eine Zeit lang nicht zuließen. Die DDR-Botschaft legte sogar ein 17seitiges Dossier über die Verfehlungen der 'Volkszeitung‘ an, die dann 1970 nach der Entlassung von Schalek gleichgeschaltet wurde. Herbert Panster und Artur Ulbrich, die dann die Zeitung wieder auf staatstreuen Kurs steuerten, bringen es auch heute noch heraus — es dient jetzt dem „Kulturverband der Deutschen in der CSFR“ als biederes Kampforgan gegen die sudetendeutsche Konkurrenz aus München.
Außerdem erschien in deutscher Sprache in der CSSR noch die subventionierte 'Neue Prager Presse‘, die jede Woche Besuchern und Fans der CSSR die Vorzüge der alten Ordnung erklärte. Die Staatszeitung ist längst eingestellt, hat aber am meisten mit 'Prager Wochenblatt‘ zu tun. Denn Felix Seebauer, heute Chefredaktur der angeblich neu aufgelegten Legende, war dort 20 Jahre Übersetzer. Mit dem 'Prager Tagblatt‘ verbindet den 70jährigen freilich überhaupt nichts außer: „Nach der Einstellung der neuen 'Prager Presse‘ sind wir auf die Idee gekommen, den brachliegenden Titel zu nutzen“, erzählt der in Brünn geborene Seebauer. Auf der Suche nach dem dafür nötigen Geld geriet Seebauer an einen Österreicher, der seinerseits noch weniger Erfahrungen im Mediengeschäft hat: Fritz Kitzwögerer, ein 39jähriger Umwelttechniker aus Ebenfurth nahe Wien. Kitzwögerer ist seit der Nullnummer des 'Prager Wochenblatt‘ vom 9. März 1991 nun Herausgeber, als zweiten Nebenjob betreibt er seit eineinhalb Jahren mit einem Freund eine „Technische Report & Grafik GmbH“, deren Umsatz er mit etwa 140.000 Mark jährlich beziffert.
Kitzwögerer, der in der recht übersichtlichen Werbe- und Medienbranche Österreichs erst einmal (und zwar mit einem recht unseriösen Gewinnversprechen an einen vermeintlichen Kunden) auffiel, fühlt sich durch „Stadt und die Idee der Neuauflage“ inspiriert, in jede Nummer nach eigenen Angaben kreditfinanzierte 100.000 Schilling (14.000 Mark) zu stecken — bei Anzeigenpreisen von 4.000 Mark für eine der insgesamt 16 kleinformatigen Seiten.
Indes — das Blatt könnte ein schnelles Ende erleben, denn allzu deutlich fällt auf: Wochen- und Tagblatt sind weder personell noch sprachlich, weder in Layout noch im Format miteinander verwandt. Das Urteil fällt vor allem bei den wenigen, die noch das 'Tagblatt‘ kennen, verheerend aus. Johann von Morawitz, Nachfahre des 'Tagblatt‘- Gründers Heinrich Mercy: „Für welchen Leserkreis soll das Wochenblatt sein?“ Fritz Schalek: „Es ist dilettantisch gemacht, das Deutsch wirkt gekünstelt“, urteilt der einstige Reformkommunist, der beim Bürgerforum als Vertreter der deutschen Minderheit arbeitete. Der Pensionär glaubt obendrein, daß den deutschsprachigen Pragern der Preis von fünf Kronen zu hoch sein dürfte. Die gleichfalls in Prag lebende Schriftstellerin und Journalistin Lenka Reiner drückt es noch drastischer aus: „Das als Nachfolger des 'Tagblatt‘ zu erklären, ist schlichtweg Hochstapelei.“ Die Pragerin, die bis zum Ende des „Prager Frühlings“ an der Moldau die Zeitschrift 'Im Herzen Europas‘ herausgab, schrieb einmal selbst gelegentlich für das 'Tagblatt‘.
Vor allem aber: Das 'Prager Wochenblatt‘, das laut Eigenwerbung sogar im Deutschunterricht Verwendung finden soll, ist eine selten umfachreiche Sammlung an Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Laut Seebauer mußte deshalb der Chefredakteur der Nullnummer und der Nummer eins, Ladislav Valek, Hut und Kugelschreiber nehmen. Valek freilich, der lange Jahre für 'dpa‘ aus Prag berichtete, sieht das anders. Zu vielfältigen Meinungsverschiedenheiten kommt, daß Valek nicht, wie gefordert, Leserbriefe fälschen wollte. Heute sitzt Valek im Prager Büro der 'Süddeutschen Zeitung‘ und soll über einen weiteren Versuch der Neuauflage des 'Tagblatt‘ nachdenken.
Die nächste selbst gestellte Fallgrube: Das 'Wochenblatt‘ wirkt in Logo und Format wie eine plumpe Fälschung des auflagenstärksten Massenblattes Österreichs, die 'Neue Kronen Zeitung‘. Nebeneinander gelegt, sind sie nur schwer unterscheidbar. Seebauer dazu: „Das habe ich nicht bemerkt.“ Der Österreicher Kitzwögerer blauäugig: „Auf diese Idee bin ich ja noch gar nicht gekommen.“ Die 'Krone‘ ist allerdings in der CSFR schon seit November 1989 omnipräsent, von der Alpenrepublik gar nicht zu reden.
Hans Mahr, Geschäftsführer der Krone, weiß nicht, ob er die schummelnde Konkurrenz ernst nehmen soll: „Das Blatt ist so schlecht gemacht, das geht von alleine ein.“ Dennoch werden sich die kampferprobten 'Krone‘-Anwälte des Falles einmal annehmen. Zumal das 'Prager Wochenblatt‘ seit einigen Tagen auch in Wien — allerdings wie Blei — an Kiosken liegt. Das tut es auch in Böhmen und Mähren: Von der mit 15.000 Exemplaren aufgelegten ersten Nummer konnten nur 2.130 der faden Heftchen verkauft werden — das Ziel liegt dennoch weiterhin bei utopischen 30.000.
Obendrein schwimmt das 'Wochenblatt‘ immer weiter in sudetendeutsche Richtung davon. Denn Seebauer hat, auf der Suche nach weiteren Partnern, unlängst einen Hafen bei den Vertriebenenverbänden gefunden. Daraufhin berichtete Seebauer unter dem Pseudonym „Axel Brünner“ von einer Pressekonferenz des Sprechers der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Franz Neubauer, in der — wörtlich — „Höhle des Löwen“ (alias Prag): „Neubauers Argumentation war logisch, pragmatisch exakt, es fand sich kein stichhaltiges Gegenargument.“ Das klingt, obwohl Seebauer nie Kommunist war, wie aus einer KP-Zeitung...
Die Vertriebenenverbände gehören über den „Ostdeutschen Kulturrat“ zum Kreis der Berater. Dabei auch unter anderem Max Fischer, ein bayerischer Staatssekretär a.D., der als strammer CSUler einmal wegen seiner besonders guten Kontakte zur verjagten CSSR-Regierung den Titel „heimlicher bayerischer Außenminister“ trug.
Die nächste Schwindelei: In der Nullnummer wird versprochen, daß auf Übersetzung weitestgehend verzichtet würde. Doch in Wirklichkeit sind die meisten Artikel von tschechischen Pragern geschrieben, die dann mühsam ins Deutsche übersetzt werden. Dem „Rest“ drückt Seebauer, der einmal Chefredakteur einer Briefmarkenzeitschrift war, seinen Stempel auf, wozu er die Pseudonyme Axel Brünner und Isaak Silberstein benutzt.
Verdienen tut Seebauer, der im Zweiten Weltkrieg in einem Konzentrationslager saß, an dem Blatt nichts. Er hat einen Vertrag unterschrieben, wonach er in den ersten drei Jahren „keinerlei Entlohnung“ erhält. Auch seine Mitarbeiter in der Prager Redaktion, die in der Pariser Straße 9 sitzen, müssen kurz treten: Für eine Seite Übersetzung gibt es gerade mal 70 Kronen (fünf Mark).
Im Haus des CSFR-Journalistenverbandes beäugt man die Aktivitäten des unbedarften Redakteursteams anscheinend ebenfalls mißtrauisch. Jedenfalls verwies die in der Hauskantine angestellte Kellnerin die medialen Neulinge konsequent zur Tür, als diese sich mit Speis' und Trank stärken wollten. „Kann ja jeder behaupten“, sagt die Slowakin mit sicherem Gespür, „daß er Journalist ist.“
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