: Selbstlos zum eigenen Nutzen
■ Die deutsche Automobilindustrie mischt sich immer stärker in Planung und Organisation des Stadtverkehrs ein. Mit "kooperativem Verkehrsmanagement" und "intelligenter Verkehrsleittechnik" will sie "den...
Selbstlos zum eigenen Nutzen Die deutsche Automobilindustrie mischt sich immer stärker in Planung und Organisation des Stadtverkehrs ein. Mit „kooperativem Verkehrsmanagement“ und „intelligenter Verkehrsleittechnik“ will sie „den Verkehrsinfarkt bekämpfen“, dringender aber die autofreie Stadt verhindern.
VON FLORIAN MARTEN
Ob Leipzig oder Berlin, Stuttgart oder Erfurt, München oder Hannover — allüberall steigt das nationale deutsche Automobil-Dreigestirn Daimler, VW und BMW aktiv in die Stadtverkehrsplanung ein. Die „Ausländer“ Ford und Opel halten sich noch vornehm zurück. Die Bayerischen Motorenwerke haben München im Visier: Ende 1990 startete das Projekt „Münchner Norden“, ein Modellversuch, mit dem CSU und BMW den blauweißen Stadtverkehr der Zukunft demonstrieren wollen. In Stuttgart hat Daimler zugeschlagen: Das Projekt heißt „Storm“, erfreut sich allerhöchster Protektion und macht viel Wind im Stuttgarter Blätterwald. Erst in den Startlöchern steht die VW AG in Hannover: Hier soll die Expo 2000 das ebenso lukrative wie werbewirksame Deckmäntelchen für die Eroberung der Landeshauptstadt durch den größten Steuerzahler Niedersachsen abgeben.
Das Verfahren ist in allen drei Fällen gleich: Mit betonter Selbstlosigkeit bieten die Autokonzerne den Landesmetropolen vorfinanzierte Projektstudien an. Sie sprechen vom neuen Miteinander der Verkehrsmittel und von „intelligenter Technik“, die Verkehrsinfarkt und wachsende Autofeindlichkeit gleichermaßen bekämpfen hilft. Beißt die Stadt an, wird versprochen, etwas Modellhaftes, Wegweisendes auf die Räder zu stellen. Besonders beliebt und wirksam ist der Hinweis auf die mögliche Teilhabe an den europäischen Verkehrsprojekten „Prometheus“, „Drive“ und „Polis“. Die Kommunen, durch traditionellen Filz mit den Konzernen eng verwoben, können der Kombination von wirtschaftlicher Potenz, elektronischem Know- how, EG-Förderung, Modellcharakter und finanzieller Hilfestellung meist kaum widerstehen.
Die Wunderwaffen ihres Konzepts zur Rettung des Stadtverkehrs heißen „kooperatives Verkehrsmanagement“ und „intelligente Verkehrsleittechnik“. Achim Diekmann, Chef des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie: „Was wir brauchen, ist ein Umbau der heutigen Stadtverkehrssysteme. Das kooperative Verkehrsmanagement erleichtert es dem Autofahrer, staugefährdete Bereiche zu umfahren, Parkhäuser ohne Suchverkehr zu erreichen und gegebenenfalls Umsteigeeinrichtungen des ÖPNV problemlos anzusteuern. Die Automobilindustrie arbeitet an entsprechenden Pilotprojekten.“ VW-Vorständler Daniel Goeudevert ergänzt: „Ein Thema, das auch die Automobilindustrie in die Verantwortung nimmt, ist die Verkehrsplanung. Es hat wenig Sinn, einfach nur Autos zu bauen, ohne sich darum zu kümmern, wo sie bleiben, ob man sie überhaupt noch benützen kann. Nicht nur Umweltgesichtspunkte, sondern auch wirtschaftliche Gründe sprechen dafür.“ Für Daimler führt der Weg zum „Verkehr der Zukunft“ nur über die Erarbeitung „integrierter Gesamtverkehrskonzepte“. Dabei soll „durch den Einsatz moderner Kommunikations- und Leittechnik jedes Verkehrsmittel seinen spezifischen Eigenschaften entsprechend optimal genutzt werden. Dem Auto kommt hierbei aufgrund seiner Flexibilität und Wirtschaftlichkeit ein besonderer, aber nicht dominanter Stellenwert zu.“
Drastischer und ehrlicher drückte sich BMW-Chef Eberhard von Kuenheim aus, als er kürzlich zusammen mit CSU-Landesvater Max Streibl das Modell Münchner Norden präsentierte: „Wir konnten nicht damit rechnen, daß man uns so etwas Unsinniges wie die planmäßige Zerstörung unserer Lebensgrundlagen unterstellen würde. Uns hat die Polemik gegen ,den Autofahrer‘ überrascht — und fast sprachlos gemacht. Wir haben uns entschlossen, die Gräben zu überschreiten und unsererseits Kooperation an Stelle von Konfrontation zu setzen. Deshalb sind wir initiativ geworden und haben alle, wirklich alle, an einen Tisch gebeten, um das ,Kooperative Verkehrsmanagement‘ zu entwickeln. Denn das ist das Problem — nicht das Automobil, sondern seine massenhafte Verbreitung. Falsch sind jetzt aber alle Versuche, die das Automobil wieder zurückdrängen wollen in die Position der 50er Jahre. Es grenzt doch an Irrsinn, das Automobil künstlich unattraktiv machen zu wollen. Hohe Investitionen sind notwendig, Investitionen des Staates, der Städte und auch der Industrie. Nur sollten diese Investitionen nicht gegeneinander geleistet werden, sondern miteinander. Wir gehen diese Verpflichtung freiwillig ein, weil wir in unserer Branche zu langfristigem Denken gezwungen sind: Die Autos, die in diesen Tagen mit Hilfe der Hochleistungscomputer entworfen werden, sollen noch weit nach der Jahrtausendwende auf unseren Straßen fahren. Für sie gilt es, die Rahmenbedingungen mit zu beeinflussen. Politik gehorcht allerdings nicht immer den gleichen Regeln wie die Wirtschaft. Ministerpräsident Streibl hat Staatssekretär Gauweiler zum Projektleiter für das ,Kooperative Verkehrsmanagement‘ ernannt und es damit gleichsam zu einer Staatsangelegenheit gemacht.“
Damit ist die Katze aus dem Sack: Um ihre langfristigen Investitionskonzepte nicht zu gefährden, muß die Autoindustrie Stadtverkehrsterrain besetzen, Investitionslenkung betreiben, damit der Tourenwagen mit Explosionsmotor noch möglichst lange leben, sprich sich verkaufen kann. Die neue S-Klasse von Daimler muß bis nach der Jahrtausendwende gebaut und verkauft werden, will Daimler nicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Gleiches gilt für die BMW-Reihen 3, 5 und 7 oder den gerade mit Milliardenaufwand runderneuerten Golf.
Einen kleinen Schönheitsfehler haben diese Stadtverkehrsprojekte freilich: Sie funktionieren noch nirgendwo. Dabei kooperieren in ihnen Beton, Stahl und Computer, wie es schöner kaum sein könnte: Am Stadtrand warten gigantische Parkhäuser mit jeweils 5.000 Plätzen auf die Autos. Sie heißen schlicht „Terminals“. Das Parkhaus funktioniert wie ein gigantisches Hochregallager, fährt wie eine senkrechte Schublade aus der Erde und schluckt die Autos stückweise. Ein einziger Stellplatz kostet 80.000 Mark — genausoviel wie eine 40-Quadratmeter-Sozialwohnung. Vom „Terminal“ geht es per öffentlichem Verkehrsmittel in die Stadt. Man darf allerdings auch weiter reinfahren. Dabei hilft der Staufunk, der im VW Futura oder Mercedes F-100 gleich in die Windschutzscheibe gespiegelt wird. Dort sieht man, wo und wann der nächste Bus fährt, ob noch Parkplätze frei sind, wie lang der Stau ist, in dem man steht. Ein Zentralrechner, in dem alle Daten von Verkehrslage, Parkplatzlage und ÖPNV-Angebot zusammenlaufen, managt die schöne neue Verkehrswelt. Netter Nebeneffekt: auf mindestens 2.000 Mark pro Auto kommen die Sende- und Empfangsgeräte für den Kontakt mit dem Big Brother. Systemkybernetiker haben ihre Zweifel, ob diese hochkomplexen Systeme in der Praxis jemals funktionieren. Menschen, die rechnen können, fragen sich, ob Städte und BürgerInnen jemals die Summen aufbringen werden, die solche Systeme kosten — vom Stellplatz bis zum „Head-Up-Display“. Allein um die Hälfte der fürs Jahr 2000 prognostizierten Hamburger Pendler in Hochregal-Terminals zu packen, müßten 16 Milliarden Mark investiert werden. Verkehrsexperten wissen, daß die Verkehrsleittechnik, sollte sie denn funktionieren, nicht einmal jenen Verkehrszuwachs einfangen kann, der bis zum Jahr 2000 erwartet wird. Der Biokybernetiker Frederic Vester warnt denn auch eindringlich: „Hier werden womöglich Unsummen ausgegeben für marginale Verbesserungen. Sie dürften vor allem dazu dienen, das veraltete Fahrzeugkonzept beibehalten zu können.“ Zum Glück leisten einige Städte inzwischen Widerstand: Das rot-grüne München hat am BMW- Konzept wenig Interesse. Am 8.September schimpfte Detlef Frank, BMW-Beauftragter für Verkehr und Umwelt, im Münchner Stadtrat habe das Projekt „nicht die notwendige Aufmerksamkeit gefunden“. Im rot- grünen Hannover scheiterte VW bisher mit seinem Versuch, sein gewaltig dimensioniertes Park-and-Ride- Konzept mit dem Ehrentitel „Weltausstellungsprojekt“ versehen zu bekommen; die städtischen Gutachter hielten es für zu konventionell. Daimler-Benz hat seine Machbarkeitsstudie „Regionales Verkehrsmanagement Stuttgart“ inzwischen fast abgeschlossen und peilt für die Internationale Gartenausstellung 1993 einen ersten „Feldversuch“ an. Verkehrsexperten prophezeien Daimler eine grandiose Pleite. Daimler-Vorständler Werner Niefer dagegen phantasierte dieser Tage auf der Frankfurter Automobilausstellung erneut von „durchaus vielversprechenden und in absehbarer Zeit auch realisierbaren Lösungsansätzen für den drohenden Verkehrsinfarkt in den Städten“.
Damit da nichts schiefgeht, hat Daimler Berlin in seiner Studie „Berlin — Stadt im Aufbruch“ das kompletteste Angebot gemacht, das je eine Großstadt von einem Konzern erhielt: „Das Haus Daimler-Benz besitzt das Know-how, die Ressourcen und die Technologie, um als Produktlieferant, als Systemlieferant, als Generalunternehmer und als Systemführer zu der künftigen Gestaltung Berlins beizutragen.“ Mit dem Geschenk Potsdamer Platz haben Berlins Stadtväter sich bereits erkenntlich gezeigt.
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