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Programm für Fernsehempfänger

Das Kinderprogramm des ZDF tut sich schwer mit Ansprüchen  ■ Von Manfred Riepe

Im unerbittlichen Kampf um Marktanteile spielt der Bereich Kinderprogramm eine immer wichtigere Rolle. Als Adressaten für Werbebotschaften sind die Kids immer häufiger von sogenannten „spinn-off“-Produkten gefesselt. Serien und Filme, die den Bekanntheitsgrad eines Phänomens ausnutzen oder den Kauf eines durch sie populär gewordenen Spielzeugs provozieren. Die Faszination, die diese Programme auf die Kinder ausüben ist ein schwarzes Kapitel, nicht nur für Pädagogen.

Hinzu kommt, daß Erzieher und Lehrer Berührungsängste mit dem Medium haben, so daß guten Kindersendungen die Unterstützung fehlt. Um dem Abhilfe zu schaffen, lud das ZDF, der Sender mit dem traditionell ambitioniertesten Kinderprogramm, zu einer ganztägigen „Presseklausur“.

Die Schwierigkeiten, so Michael Albus, Hauptredaktionsleiter für Kinder, Jugend und Familie, begännen schon damit, daß Kindersendungen im Kampf um gute Sendeplätze keine „Schutzzonen“ eingerichtet bekämen. In unserer „kinderabstinenten Gesellschaft“ rangierten die Kleinen „im Windschatten des öffentlich-rechtlichen Interesses“. Besondere Schelte richtete Albus an die Adresse der ARD, die mit ihrem Angebot „den öffentlich-rechtlichen Konsens über Kinderprogramme am Nachmittag verlassen“ hätten.

Fernsehen, so Albus weiter, sei eine „Kulturtechnik des Sehens“. Deswegen sei es Nonsens, daß, wie ein Kollege hintersinnig einwarf, das bestmögliche Kinderprogramm sich im Idealfall selbst aufhebt. Kinder und Jugendliche (letztere Sparte reicht nach jüngsten Untersuchungen bis 35) seien „Fernsehanfänger“. Und denen will das ZDF ein „Gesamtprogramm im Kleinen“ bieten.

Namen wie Astrid Lindgren, Otfried Preußler oder Erich Kästner stehen für die Kultur des Geschichtenerzählens und für Inhalte, die das Erlebnisfeld und den Erfahrungshorizont von Kindern treffen. Im Frühjahr 1992 wird der Schwerpunkt „Große Erzähler“ mit besonderen Geschichten“ unter anderem von Tschingis Aitmatow Der scheckige Hund ergänzt.

Aus der Fülle der interessanten Neuproduktionen sind vor allem die Wunderjahre hervorzuheben. Ein in Zusammenarbeit mit der Defa entstandener Vierteiler von Arend Agthe (Flußfahrt mit Huhn), der ab 1. Januar Geschichten aus den 50er Jahren aus der Perspektive von Jugendlichen aufarbeitet. Die propere Idylle einer Kleinstadtfamilie wird aufgemischt, als der seit 1945 vermißt geglaubte Sohn Clemenz aus russischer Gefangenschaft heimkehrt. Der Hospitalisierte und sprachlos Gewordene reißt die Familie ebenso aus dem Nachkriegsverdrängungstiefschlaf wie der andere Sohn Bernhard, der mit seiner Schülerzeitung die NS-Vergangenheit des Biolehrers entlarvt und deshalb von der Schule fliegt.

Im zweiten Schwerpunkt: „Animierte Lach- und Spaßgeschichten“ gehen die Anstrengungen dahin, eigene große Trickfilme zu produzieren und zu unterstützen, die vom Disney-Standard abweichen. Schon ab 1992 geht Tim und Struppi über den Bildschirm, eine Serie von der derzeit in Paris 39 Folgen gedreht werden.

Mit Volker Arzt und Peter Lustig verfügt die Sparte „Information als Erlebnis“ bereits über zwei Personifizierungen des Prinzips, Sachinformationen in Form von plausibelen Geschichten darzustellen. Ab 10. November kommt Werner Fend mit Mein Dschungelbuch hinzu. Der erste Telejournalist, der Tiger in freier Wildbahn filmte, hat eine einfühlsame und Interesse erweckende Art, ökologische und ethnologische Zusammenhänge nicht ohne Augenzwinkern zu erklären.

Bei aller Ehrfurcht vor dem Bemühen der Programm-Macher, die versuchen Alternativen zu den US- amerikanischen und japanischen Fast-food-Serien zu entwickeln, zeigt sich, daß das Grundproblem ausgespart bleibt. Denn die Eltern sind es, die gefordert sind. Auch die beste Kindersendung kann kein Ersatz für den Dialog sein, den Papa und Mama mit den Kindern vor dem Apparat führen sollten.

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