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SILVESTER 2000 — THE FINAL NUCLEAR SHOOT OUT Von Dr. Erdling

Fraglos ist es eine erfreuliche Nachricht, daß die Präsidenten Gorbatschow und Bush sich in der Abschaffung von Atomwaffen derzeit gegenseitig überbieten. Die Wermutstropfen sind freilich nicht zu übersehen: Zum einen können Atomwaffen nicht so einfach „abgerüstet“ und verschrottet werden, wie ein x-beliebiger Panzer, sie müssen als Atom- Müll „entsorgt“ werden — und wir wissen, wie wenig diese Methode für eine wirklich sorgenfreie Zukunft taugt. Zum zweiten wollen sich weder Amerikaner noch Russen von ihrem atomaren Interkontinental-Arsenal völlig trennen — auf beiden Seiten verbleibt genug Overkill-Kapazität, um den gesamten Erdball mehr als einmal unbewohnbar zu machen.

Trotz der allgemeinen Abrüstungs-Euphorie muß ein Bericht zur Lage der Detonation also immer noch hoffnungslos ausfallen: Die domestizierten Primaten auf Terra sind auch gegen Ende des 2. Jahrtausends nicht intelligent genug, um ihre Überlebenstaktiken aus der letzten Eiszeit — „Wenn sich was bewegt, hau drauf und friß es“ — wirklich abzulegen. Die winzigen Schritte, mit denen die Alpha- Männchen George und Michail dazulernen, bestätigen einmal mehr: die Evolution geht langsam voran. Aber immerhin: sie bewegt sich doch! Da kann es, eingedenk der neueren Turbulenz-Forschung, nicht schaden, diese Instabilität voranzutreiben und mit einem scheinbar chaotischen Vorschlag neue Ordnung zu schaffen. Die Rede ist vom „Final Nuclear Shoot Out“ (FNSO), einem Konzept für ein globales Silvester-Feuerwerk zur Begrüßung des 3. Jahrtausends, mit der sich die Erde auf einen Schlag sämtlicher Atomwaffen entledigt. Auf den ersten Blick mag das phantastisch anmuten, genauer betrachtet ist es die multiple Lösung schlechthin: Erstens ist die Erde diese lebensbedrohende Pest ein für allemal los, zweitens wären all die atomaren Streitkräfte, die genialischen Waffen-Ingenieure und supercoolen Bomberpiloten, neun Jahre lang bestens beschäftigt: als planetarische Feuerwerker hätten sie die Ballistik der nuklearen Silvester- Raketen so auszutüfteln, daß sie im Umkreis des bekannten Universums auf ihrer Flugbahn keinerlei Schaden anrichten. Drittens soll das Ganze mit äußerster Ästhetik zelebriert werden, was neben den Militärs auch Tausende brotloser Künstler in Beschäftigung versetzt. Und letztlich schreit dieser Übergang ins dritte Jahrtausend ja insgesamt und ohnehin nach außergewöhnlichen Maßnahmen. Mit Schampus und Schweizer Krachern kann es ja wohl nicht getan sein. Es beginnt vielmehr um null Uhr im äußersten Osten des Planeten, um zwölf Stunden später im äußersten Westen zu enden: mit der allerletzten Atomrakete, die mit eingeschalteter Warnblinkanlage ihre Bahn in die Weiten des Weltraums zieht.

Wenn es irgendeine Intelligenz da draußen gibt, sie wird dieses Feuerwerk registrieren — als grandiosen Evolutionssprung der tumben Erdbewohner.

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