piwik no script img

Das Konzentrationslager kommt immer zurück:

■ Renata Laqueur, 72 Jahre alt, hat während ihrer Lagerhaft in Bergen-Belsen Tagebuch geführt / „Schreiben im KZ“

taz: Frau Laqueur, wie konnten Sie unter den Bedingungen der Lagerhaft Tagebuch führen?

Renata Laqueur: Für mich war das keine Schwierigkeit, denn Bergen-Belsen war nicht ein Konzentrationslager wie Dachau oder Ravensbrück. Ich hatte ein Heft. Ich hatte ein Schulheft, ein note- book. Später hab' ich dann aus dem Büro was gestohlen, man hat immer gestohlen, ich habe immer gestohlen! Was man auch nötig gehabt hat, das hat man gestohlen. Stehlen war so, wie wir Zeitung lesen, it was part of life.

Das Behalten des Buches war ein bißchen schwerer. Man hat erst noch Platz, eine Strohmatratze, die wird dann naß, später. Ich hatte einen Overall, der war khakifarben, so grau-braun, mit Innentasche, da war das Heft drin. Man hat sehr wenig körperliche Untersuchungen bekommen. Man ist manchmal in die „Desinfektion“ gegangen, wo man eine Dusche bekam, da hat man das irgendwo hingelegt. Da hat immer einer der Lagerinsassen gewußt: Die schreibt Tagebuch. So wie ich auch gewußt habe, daß andere Tagebuch geschrieben hat. Und man hat aufgepaßt. Da ist eine Solidarität, ohne groß darüber zu sprechen.

Lesen Sie heute noch in Ihrem Tagebuch?

Nein, nie, um Gottes willen, warum soll ich das lesen? Ich weiß schon, was drin steht. Ich lese es nicht, ich habe es nie wieder gelesen, auch nicht, wenn ich wegen dieses Buches nach Deutschland sollte. Warum sollte ich?

Schreibt man nicht Tagebücher, um später hin und wieder in ihnen zu lesen?

Ein Tagebuch, das Du unter diesem Streß schreibst, von dem glaubst Du erstens nicht, daß Du es je wieder lesen kannst, zweitens hast Du auch nie geglaubt, daß es irgendwie aus diesem Lager herauskommt. Du schreibst, weil es eine Ablenkung ist. Du schreibst Dich aus dem Dreck heraus. Deswegen habe ich das geschrieben. Es wäre eigentlich auch nie zur Publikation gekommen. Ich habe das Tagbuch - wie die anderen — nicht geschrieben, um es publiziert zu bekommen. Es ist eben keine Umgebung, in der man sich hinsetzt und Notizen macht, um sie später noch einmal zu bearbeiten.

Hat die Publikation des Tagebuchs etwas an Ihrem eigenen Verhältnis zu Ihrer Zeit im Konzentrationslager verändert?

Ja. Indem ich wieder darüber

hier bitte den

Kasten „Schreiben im KZ“

einkleben, liegt im Kasten

nachdenken mußte und mich da hineinvertiefen mußte. Dazu muß ich ein bißchen die Umstände erzählen, unter denen das Buch publiziert wurde. Ich habe das Tagebuch zwischen März 1944 und April 1945 geschrieben, die letzten zwei, drei Monate, in denen ich nicht mehr schreiben konnte, habe ich ergänzt, nachdem ich wieder zu Hause in Holland war. Mit vollem Magen und in Freiheit, das ändert wieder den ganzen Stil und die Handschrift, und dann habe ich es vergessen. July ‘45. Dann bin ich 1952 emigriert

... und plötzlich kommt da etwas zurückFoto: Tristan Vankann

nach meiner Scheidung von Paul, weg aus Holland, 1952 nach Kanada, 1953 Amerika, seitdem lebe ich da. Ich hatte nur das holländische Abitur, und habe geglaubt, daß es in Amerika nur mit dem amerikanischen College weitergeht. Also auf's College,

Ich habe denen ja nie erzählt, daß ich im Konzentrationslager war

da war ich schon Anfang 40, und es klappte so gut, daß die Professoren gesagt haben: Bleib drin, schließlich habe ich sogar promoviert, 1969 bis 1971.

Da war schon schon das holländische Tagebuch publiziert, das erschien 1965 bei Querido in Amsterdam. Zu dieser Zeit haben die vom College mich gefragt, ob ich etwas geschrieben hätte. Da habe ich dann gesagt, daß ich ein holländisches Tagebuch über Bergen-Belsen hätte. Ich habe denen ja nie erzählt, daß ich im Konzentrationslager war. Ich kam irgendwie nie dazu. In dieser Zeit habe ich angefangen, das Tagebuch ins Englische zu übersetzen. Es wurde aber in Amerika nicht veröffentlicht, und deshlab kam wieder eine lange Zeit gar nichts. kein Tagebuch, kein Konzentrationslager, bis ich ein Thema brauchte für meine Dissertation. Da hat mein Mann, der Psychiater war, gesagt, daß ich nicht irgendetwas Grnadioses schreiben sollte, sondern mich auf diese Tagebücher beschränken sollte, von denen ich wußte, daß es sie gab. Ich habe ein Stipendium bekommen in Verlgeichender Literaturwissenschaft. Und dann habe ich damit begonnen, 13 weitere Tagebücher zu untersuchen.

Und dann ist es wieder zurückgekommen, Das war 1969 - 1971, und dann später wieder, als ein junger Deutscher die holländische Ausgabe gefunden hatte. Da hat mein Kontakt mit Deutschland angefangen, 1983/84 war das. Seitdem war ich fast jedes Jahr in Deutschland, wegen des Tagesbuches.

War Ihnen das klar, daß sich von dem Zeitpunkt an, als Ihr Tagebuch veröffentlicht wurde, auch für Sie etwas ändern würde mit Ihrer eigenen Vergangenheit? Sie selbst haben angedeutet, daß Sie nach der Befreiung diese Zeit verdrängt hatten, glücklich sein wollten, leben wollten.

Ich weiß nicht, ob mein Leben verändert ist. Nein..., merkwürdig ist, daß es irgendwie sehr positiv war. Immer, wenn ich Schwierigkeiten hatte, hatte ich das Gefühl, wie gut es mir eigentlich geht im Vergleich zu damals. Es ist eine sehr positive Erfahrung, und ich weiß auch nicht, wieviel verdrängen ist und wie

hier bitte die Frau vor der Bücherwand

viel bewußt positiv leben wollen. Ich finde es sehr schwer, das irgendwie zu differenzieren, zu quantifizieren. Aber ich weiß eins: Daß meine Familie und meine Freunde sagen: Warum ist das immer noch so im Vordergrund? Wir gehen ins Theater, wir gehen ins Kino, wir lesen ein Buch oder wir hören etwas oder sehen es im TV, und plötzlich kommt da etwas zurück, Plötzlich sage ich etwas, was damit zu tun hat, und die sagen: My God, it–s still alive. Es ist wie in Ihrem eigenen Leben, wenn Sie krank waren oder wenn jemand gestorben ist: Es kommt zurück. Warum soll das KZ nicht zurückkommen. Und wenn es zurückkommt, kommt es entweder mit 50 Jahren Distanz zurück. Aber ich kann irgendetwas riechen, irgentetwas fühlen, und that's it.

Dann kam Ihr erster Besuch in Deutschland... Das erst mal war das Schlimmste. Als der deutsche Herausgeber des Tagebuches sagte: Jetzt müssen wir PR ma

„Wir hören etwas oder sehen es im TV...Foto: Tristan Vankann

chen, bitte, komme nach Deutschland, und spreche mit anderen Leuten. Und ich habe gesagt: Ich komme nach Deutschland, unter einer Bedingung: Ich gebe keinem die Hand, der über 65 ist. Ich weiß nicht, wo er oder sie war.

Ich war schon einmal in Deutschland, 1970, beim Institut für Zeitgeschichte in MÜnchen, und die Erfahrung war schlecht. Da waren viele ältere Leute, da war ich das erste Mal in Dachau.

Es ist schon interessant, ich habe 16 Jahre nicht geraucht, von 1954 bis 1970. und wie ich im Mai 1970 in Dachau war, da habe ich meine Begleiterin gefragt: Can I have a cigarette? Auf dem Appellplatz. Da ist plötzlich alles zurückgekommen.

Ich bin wie die Scarlett, die immer gesagt hat: I never want to be hungry again

Wie ist das, wenn das Konzentrationslager zurückkomt?

Das fängt an, wenn ich irgendwo einen Aschenbecher mitnehme. Nicht, weil ich ihn brauche, sondern weil er da ist: „Organisieren“. Oder: Ich kann nicht warten, wenn ich Hunger habe. Ich bin wie die Scarlett, die immer gesagt hat: ‘I never want to be hungry again' in ‘Vom Winde verweht‘. Das Gefühl, daß man

hier bitte die Nahaufnahme

mal wieder Hunger haben wird, Hunger, Dreck, Krankheit — und ich bin sehr krank gewesen zwischendurch — that's not funny. Denn da kommt das Konzentrationslager zurück, und es kommt auch in der Arbeit zurück. Als mein Boss später gewußt hat, daß ich im KZ gewesen bin, hat er immer gesagt: Renata, this is no Concentration-Camp, eil Dich nicht, Du bleibst leben. Der Druck aus dem KZ ist geblieben, die Angst, daß man krepiert, wenn man krank ist, die Angst, daß man nichts schafft. Und das hat sich auf der einen Seite sehr gut ausgewirkt in meinem Studium und in meinem späteren Beruf, auf der anderen Seite ist es ziemlich neurotisch. So that's it.

Ich rede nicht über das Konzentrationslager. Das ist ganuso wie Leute, die aus dem Vietnamkrieg oder aus dem Saddam-Krieg kommen. The fact, daß sie nicht darüber reden, ist, daß es keine Notwendigkeit gibt. Es ist beinahe etwas ganz Intimes geworden. Es geht keinen was an.

Aber dann doch die Bereitschaft zu publizieren?

Jetzt ja. Warum? Ihr seid alle junge Leute, die wissen wollen. Jetzt fühle ich mich so wie viele der Tagebuchschreiber, die sagen: Es ist meine Pflicht. Es gibt nur so wenig Leute, die noch da sind. Und wenn man die jetzt nicht ‘ranbekommt und fragt: Wie war's? — eine typical american question: How was ist? — And I said: Fine, beautiful (lacht)

Schlecht Dinge verbinden nicht

Sie haben sich 1952 von ihrem Ehemann getrennt, mit dem Sie zusammen im Konzentrationslager gefangen waren. ‘Die Ehe ist nicht für die Hölle', haben Sie in einem Ihrer Bücher gesagt. Was wird so schwierig, wenn man eine solche gemeinsame Vergangenheit hat?

Ich war 22, als ich geheiratet habe, ich war 24, als ich gefangen wurde. Mein Mann hat im Konzentrationslager 100 Pfund abgenommen, er war abgemagert bis auf die Knochen. Schlechte Dinge verbinden nicht. Ich meine, Heirat oder Liebe ist sehr oft auf romantischer Basis aufgebaut, auf Sex. Romantik gab es nicht, Sex gab es nicht, also: Was bleibt schon übrig? Suppe essen und Läuse fangen? Es gab nichts, was positiv war für eine Ehe, für eine junge Ehe. Und dann kommt das Zurückkommen, wo beide anders reagieren. Der Mann, der sich konzentriert auf seinen Beruf, die Frauen versuchen dann Kinder zu bekommen. Das ist bei mir auch falsch gegangen, da kommen dann Aborte. Und dann kommt noch dazu, daß man für eine junge Ehe viel zu wenig Erfahrung gemacht hat. Dann bekommt der Mann eine Freundin und die Frau einen Freund, und es geht kaput. Und die Freunde oder Freundin, die man bekommt, waren meist nicht im Konzentrationslager.

Und die neuen Freunde, wollen die wissen?

Es ist ein bißchen, als ob man Krebs hat.

Die neuen Freunde wollen wissen, aber — man wird nicht gefragt. Es ist ein bißchen, als ob man Krebs hat. Ich arbeite an einem Krebs-Krankenhaus. Also, wenn einer weiß, daß der andere Krebs hat, ist er sehr vorsichtig. Denn er will nicht fragen, was dem anderen uneasy, unbequem, unangenehm ist. Er hat auch Angst, der Mann, der fragt. Er will nicht alles wissen. Und deswegen ist der Krebskranke und der former victim des Konzentrationslagers ziemlich alleine. Denn er fühlt: Ja, nein, ja, nein, die Ambivalenz.

Was ist das für eine Angst? Dem anderen weh zu tun oder...

Es ist die Angst, daß es einem selbst geschieht. Die Angst vor Tod, Krankheit, die Angst überhaupt, existential fear. Es ist eine grausige Geschichte.

Einfach von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde leben, und sehen, ob man durchkommt.

Der, der fragt, will wissen: Wie hätte ich mich verhalten in der und der Situation. Viele sagen: Ich hätte mich umgebracht. Die meisten Leute sagen nicht: Ich hätte das ausgehalten, was die meisten gemacht haben, nämlich einfach von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde leben, und sehen, ob man durchkommt. Durchkommen und aushalten. Das ist auch nicht so schwer. Es gibt ja nichts anderes. Es gibt... das ist es... Es gibt keine Choice, keine Wahl, In unserem freien Leben können wir entweder Kaffee trinken oder Tee, im Konzentrationslager hast Du absolut keine Wahl. Im Krieg hast Du keine Wahl, im Gefängnis hast Du keine Wahl, bei einem Erdbeben, Du willst nur überleben. Hoffentlich am besten, am Anständigsten, ohne andere Leute umzubringen, ohne anderen Leuten das Brot zu Stehlen, aber, Gott behüte, der Drang zu essen ist viel größer als der Anstand.

Beim Tagebuch, da hast Du die Wahl und kannst beschließen: Jetzt schreibe ich. Und das ist schon, was Dir Freiheit gibt. Die anderen sagen: Geh schlafen, das Licht ist schon aus, und Du machst es nicht und schreibst. Das ist grotesk. Der Original-Titel meiner Dissertation war: Writing in Defiance: Schreiben aus Protest, aus Widerstand. Man hat etwas gemacht, was die Deutschen nicht wollten, nämlich protesteieren. Selbständig, independant von dem, was sie Dir sagen.

war 25 Jahre später der Titel ihrer Promotionsarbeit: Im taz-Gespräch erzählt sie aus ihrem Leben nach der Befreiung

„Ich will als erstes mein Nest bauen“Foto: Tristan Vankann

Eine andere Überlebende aus Bergen-Belsen, Hanna Levy- Hass, hat beschrieben, daß die Frauen im Konzentrationslagers mit der Situation viel besser fertig geworden sind als die Männer. Können Sie das bestätigen?

Natürlich sind die Frauen besser durchgekommen. Denn Frauen sind stärker, that's so. Wir haben eben ein Chromosom mehr in der DNA. Die Frauen sind besser durchgekommen, weil sie besser

gewöhnt sind, Schmerz zu ertragen. Frauen sind wahrscheinlich weniger prinzipiell, in dem Sinn, daß es sie weniger gestört hat, amoralisch zu leben. Nicht für Prinzipien, nicht für ideology, sondern nur für's überleben, nur für die Kinder, wenn sie welche hatten, oder nur für den Mann, wenn sie ihn hatten oder für sich selbst. Frauen sind praktischer. Sie sind Nestbilder. Sie bauen ein Nest, und wenn man es ihnen

wegnimmmt, dann werden sie böse. Aber Männer sind böse, wenn man ihnen Prinzipien wegnimmt. Stimmt das?

Und in der Zeit danach?

Ich habe keine Ahnung. Ich hätte eigentlch mit Paul darüber reden sollen: Habt ihr's irgendwie besser geschafft, weil ihr Männer seid, oder habt ihr's besser geschafft, weil ihr wieder angefangen habt zu arbeiten und ihr gut mit der Karriere beschäftigt ward? Es stimmt irgendwo etwas nicht, da ist gar kein so großer Unterschied. Der Unterschied ist

Im Konzentrationslager hat man uns immer wieder das Nest wqeggenommen

physisch, und es ist irgendwie vielleicht auch im Instinkt etwas anders. Das gilt auch heute noch, wenn ich irgendwo hinkomme, wo ich hinwill: Ich will als erstes mein Nest bauen. Wie ein Katze. Und im Konzentrationslager hat man uns immer wieder das Nest weggenommen, die Decken weggenommen, etwas vertauscht. Man hat nie etwas Privates gehabt und festhalten können. Das war an sich schlimmer für die Frauen als für die Männer. Männer interessiert das nicht, ob sie noch das letzte Halstuch oder den letzten weiß-ich-was haben. Und dann kommt noch dazu: Frauen sind immer auch daran interessiert, wie sie aussehen, wenn sie noch jung sind. Denn es hilft ihnen. Männer — anders. Wir haben noch einen lip-stick gehabt, einen Kamm.

Ich habe immer gesagt: Ich fühle mich, als würde ich über mein eigenes Grab gehen

Ich erinnere mich, als wir in das holländische Konzentrationslager eingeliefert wurden, das übrigens grausig, war, eines dieser kleinen, gemeinen Konzentrationslager, wo unglaublich viel geschlagen und gefoltert wurde. Aber jedenfalls: Wir sind in die Frauenbaracken hereingekommen, und das erste, was sie den Frauen weggenommen haben, waren Busenhalter und Kämme, mit denen sie ihr langes Haar hochgesteckt hatten. Was das den Frauen psychologisch getan hat! Man hat ihnen einfach die Privatheit weggenommen. Das sind die Dinge, die unvergeßlich sind.

Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie heute nach Bergen-Belsen fahren?

Es ist viel zu schön dort. Ich werde nie den ersten Eindruck vergessen, Mai 1985, es war herrliches Wetter, und die Birken blühten weiß, und die Bäume grün, und die Wiesen, und da ist die Mauer und eine Tür, die offen steht, wenn man ‘reinkommt. Da hab' ich nur den Leuten in Bergen-Belsen gesagt: Was ist denn das? Ihr habt eine offene Tür für eine Gedenkstätte? Man sollte wenigstens das Gefühl haben, man kommt in den Stacheldraht, die Mauer geht wieder zu. Aber dort ist es, als käme man in ein Museum herein. Und dann diese wunderbare Landschaft. Wir haben uns die verschiedenen Monumente angesehen, und ich habe immer gesagt: I feel as if I'm walking on my grave, da waren die Massengräber, auch die der Russen, das hab' ich gar nicht gewußt, und das Ganze war, als ob ich nicht da wäre. Als ob ich ein ghost wäre. Ich bin nicht da, ich bin hier, die Leute fragen mich, ich spreche Englisch, ich bin 40 Jahre älter, was suche ich hier? Ich hätte hier eigentlich unter der Erde sein sollen. Aber nicht mit einem Schuldgefühl! Irgendwie hab' ich so viel Glück gehabt, daß

„Bergen-Belsen ist viel zu schön heuteFoto: Tristan Vankann

ich hier laufen kann, und nicht unter der Erde vermodere, that's it.

An den Gestank kann ich mich erinnern

Dann wieder in die Halle hinein mit diesen Bildern, den Skeletten und den Leichenhaufen. Ich hab' das Gefühl, das ist eine andere, die hier ist, ich hab' es gesehen, als ob's im Film war. Da ist dann entweder verdrängen oder, wenn

hier bitte das Portrait

man etwas vergessen will, dann vergißt man es. An den Gestank kann ich mich erinnern, der kommt zurück, aber im Allgemeinen ist es nicht da, es gibt keine Leichen um mich herum. Ich bin nicht da, ich habe auch keinen Hunger, ich bin nicht krank, ich bin auch nicht schwach, das bin nicht ich. Es ist eine schizophrene Distanzierung: Alle die, die das nicht hinbekommen haben, sind viel eher gestorben.

Das Gespräch führte Markus Daschner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen