: Eine Freundschaft auf Kosten Dritter?
■ Eine Diskussion über das zukünftige Verhältnis zwischen der Sowjetunion und Deutschland im Martin-Gropius-Bau
Der Krieg gegen die Sowjetunion — das ist ein Thema, das offensichtlich mehr Menschen interessiert, als der Filmsaal des Martin-Gropius-Baus fassen kann. Gedränge, hohe Erwartungen und Hoffnung auf einen Dialog und auf Zukunftsvisionen. Eine Diskussion, die der Ausstellung ein würdiges Ende geben sollte, hat es eigentlich nicht gegeben. Die versammelten Massen konnte sich über Statements und Anekdoten Valentin Falins, eines Immer-noch-Kommunisten; Lew Besyminskijs, eines langweiligen Parteijournalisten, der das Publikum mit seiner Offenheit besticht, indem er zugibt, daß er geholfen habe, die Feindbilder zu schaffen; und Heiner Müllers, eines belesenen Saint-Simonisten, freuen. Wäre der Nachgeborene Karl Schlögel nicht anwesend gewesen, hätte man diese Veranstaltung als Verlust der Zeit abschreiben können. Schlögel war in dieser Runde am wenigsten hochkarätig (kommt nicht etwa von Karat, sondern von Karate: leere Hand); er hatte etwas in der Hand. Mangels anekdotischen Berichten entschied er sich für eine historisch begründete Hoffnung auf eine schwierige Beziehung zwischen Deutschen und Russen.
Seiner Meinung nach wird sich nach dem Entfallen der von offiziellen sowjetischen Stellen produzierten Artefakte in Gestalt von ZK-Beschlüssen, offiziellen 'Tass‘-Bekanntmachungen oder Kommentaren, Reden und dergleichen das Bild Rußlands in Deutschland normalisieren. Das bedeutet keineswegs, daß es zu einer Liebe und Freundschaft ohne Vorurteile und Vorbehalte kommen wird. Auf dem Boden der Tatsachen kann man aber eine ehrliche Beziehung aufbauen und sich an die Arbeit machen, die vor uns allen steht: die Arbeit, die wegen des Totalitarismus nicht aufgenommen werden konnte.
Schlögel hat auch auf den wichtigen Unterscheid zwischen dem 9. Mai 1945 in Deutschland und dem 21. August 1991 in Rußland hingewiesen: eine Befreiung von außen und eine Selbstbefreiung von innen; der Zweite Weltkrieg ist eigentlich eine Fortsetzung des ersten gewesen, und das Versagen des bürgerlichen Europas war die tiefste seiner Ursachen. Die Niederlage des bürgerlichen Deutschland einerseits und des bäuerlichen-nichttotalitären Rußlands andererseits war dann die endgültige Ursache für den Untergang der beiden Nationen in der Gestalt des Totalitarismus und des Krieges. Schlögel hat es allerdings unterlassen zu sagen, daß diese beiden Totalitarismen eine Katastrophe nicht nur für die jeweils eigene Nation, sondern vor allem für Dritte war, und zwar vielmehr schon zum Zeitpunkt ihrer Freundschaft (Hitler-Stalin-Pakt 1939 bis zum Ausbruch des Krieges) als ihrer Feindschaft. Für den Rest der Welt war also dieser Krieg eigentlich ein Befreiungskrieg, der — hier stimme ich mit Karl Schlögel vollkommen überein — erst im August 1991 zu Ende ging: Mit dem Augenblick der Selbstbefreiung des russischen Volkes.
Die These der russischen Gesprächsteilnehmer, daß die Jahreswende 1941/42 auch eine Wende des Zweiten Weltkriegs gewesen sei, weil man damals in der Schlacht von Moskau die Undurchführbarkeit der Blitzkriege bewiesen hätte, muß man nicht diskutieren: Man bedenke nur, daß die beiden Herren einerseits den Militarismus kritisierten, ihrerseits aber selbst eine militaristische Optik repräsentierten. Aus der Sicht der Außenstehenden stimmte die These Hitlers, daß dieser Krieg nur einen Gewinner haben kann, von Anfang an nicht. Es war ein mörderischer und zugleich ein selbstmörderischer Akt der Nazis, und diesem schrecklichen Verbrechen verdankt die Welt die Undurchführbarkeit der Totalitarismen. Die Falinsche Fragestellung: »Was wäre, wenn Hitler gewonnen hätte?« ist falsch. Es gibt eine realistischere Schreckvorstellung: Was wäre, wenn Hitler diesen Krieg nicht angefangen hätte?
In der Diskussion, die den Statements des Podiums folgte, wurde aus dem Publikum eine wichtige Dimension der deutsch-russischen Freundschaft genannt: Es war immer eine Freundschaft auf Kosten Dritter.
Es ist ein beängstigendes Phänomen, das — zumindest in Berlin — immer noch nur die Altkommunisten, die ihre Parteibücher bis heute tragen, als alleinige Vertreter der russischen Seite die Stimme erhalten. Sicherlich war die krankheitsbedingte Abwesenheit Lew Kopelews eine Ursache, daß die russischen Aussagen so einsetig klangen.
Heiner Müller versuchte das Thema auf eine saint-simonsche Weise in ein Gespräch über Freiheit und Wohlstand für alle umzuorientieren. Er wies dabei auf einige interessante Tatsachen hin, z.B. daß Osteuropa auf den Knien und als ein offener Markt vor den Deutschen liegt und daß der Kommunismus ohne Kommunismus eine Wirtschaftsemigration bedeutet. Er hat auch Adolf Hitler mit dem Satz zitiert, daß, nach dem Sieg des Kommunismus in Rußland, man den Lebensstandard der weißen Rasse hochhalten kann, wenn der Lebensstandard der anderen Rassen — auch mit den Waffen — niedrig gehalten wird (spätestens mit Hoyerswerda wieder eine Selbstverständlichkeit). Piotr Olszowka
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