: Nicht bloß hingetuscht
■ Ein Buch mit Architekturzeichnungen von Karl Friedrich Schinkel
Der Teufel steckt im Detail — sagen die einen, le bon dieu réside dans le dètail — die anderen. In Architekturzeichnungen steckt — wie in so vielen uns im Leben begegnenden Erscheinungen — eben das eine Mal der Teufel, das andere Mal le bon dieu. Was diesen — uns bisher nicht begegneten — Herrschaften allerdings das Detail jeweils wirklich zu schaffen macht, bleibt uns im Regelfall verborgen. Dem Architekten sollte es aber, und das ist nicht nur ihnen an die Hand gegeben, alle Aufmerksamkeit abverlangen. Denn im Zweifelsfalle setzt sich aus einer Reihe von diesen Details das zusammen, was uns später als bewohnbares Gehäuse — im besten Falle als Artefact — gegenübersteht.
Die Architekturzeichnung hat dabei zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen muß sie dem Auftraggeber eine Vorstellung vermitteln helfen, sich über das von ihm bestellte Objekt eine Vorstellung zu machen. Zum anderen hat sie den auf einer Baustelle tätigen Handwerkern die allfälligen Informationen darüber zu liefern, an welcher Stelle eines Bauwerkes welcher Arbeitsschritt mit welchem Material auszuführen ist. Zum letzteren dient in der Regel die Detailzeichnung.
Als Nichtfachmann begegnet man solchen Zeichnungen somit allenfalls zufällig: Wenn man selber baut beziehungsweise bauen läßt (als Bauherr) oder Bauhandwerker im weitesten Sinne ist: Maurer, Zimmermann, Tischler, Eisenflechter etc. Aber auch im günstigsten Falle sind diese Personen selten mit Architekturzeichnungen konfrontiert, die, über die fachlichen Informationen hinaus, einen vegetativen Reiz ausüben: wunderliche, noch in das Gebiet der Architekturzeichnung gehörende, wie Bilder wirkende, aber ohne konkrete Vorstellungen transportierende Blätter, die Architekten zeichnen, malen, komponieren, dichten, kreieren — um über eben diese Information hinaus beim Ansehen Reize auszulösen.
Sei es, weil sie selbstsüchtig, eitel oder talentiert sind, sei es aus Überdruß, Lust oder Zwanghaftigkeit, sei es als reines Überlistungs- oder Täuschmanöver — immer steckt dahinter aber die von ihnen selbst vermutete Notwendigkeit, den potentiellen Betrachter über mehr zu informieren (ihn zu täuschen), als über den reinen Sachverhalt des später so oder so aussehenden Gebäudes. Ach, wie wir sie lieben: die eitlen Gecken und uns für dumm verkaufen wollenden Architekten, die Drachen steigen lassende Kinder auf ihren bunten Blättern zeigen, bunt-ablenkende Wolkenhimmel über den Betonklötzen plazieren, die autoverstopften Straßen weglassen und grünes Gestrüpp selbst dort papiernen pflanzen, wo allenfalls die Pommesschale weht, der Müll, der Staub...
Thema verfehlt, abgelenkt, abgeschweift? Anzuzeigen ist hier bloß ein Buch, das einen Großen in der Kunst der Architekturzeichnung uns vorstellt. Nun ja: mal wieder olle Karl Friedrich Schinkel. Was hier mit der schlichten Anpreisung der »Architekturzeichnungen« zwischen zwei Buchdeckeln daherkommt — schinkelt schon mächtig. Abermals ist der Verfasser dieser Zeilen geneigt, sich auch an dieser Stelle kopfschüttelnd- respektvoll zu verbeugen vor diesem vergangenem Tun. Vor diesem Talent. Vor dieser uns überlieferten Menge von Blättern, vor dieser hinreißenden, alle Konventionen der Architekturzeichnung sprengenden Bilderwelt.
Das Buch ist bewußt als Bilderbuch angelegt. Trotzdem fehlen gerade die Informationen nicht, die anderen Bilderbüchern leider fehlen: nämlich die Angaben zum Beispiel darüber, wie groß eine Zeichnung beziehungsweise ein Blatt ist und welcher Technik sich Schinkel bediente: Bleistift, Tusche, Aquarell etc. Bei der Größenangabe sollte man das eine um das andere Mal ein Lineal bei der Lektüre zur Hand nehmen, um sich klarzumachen, auf welch beschränktem Raum Schinkel oftmals in der Lage war, eine Fülle von — Baudetails betreffende — Angaben unterzubringen. Und wie er es trotzdem immer wieder verstand, das Malerische nicht nur zu vergessen, sondern es geradezu als selbstverständlich-grundsätzliches Kompositionselement einzusetzen, besser: mitzudenken. Selbst die Grundrißzeichnungen zeugen von einer Haltung, die die Profession immer ernst nimmt.
Unter mehr als 4.000 uns überlieferten Zeichnungen haben die Herausgeber des Buches eine Zusammenstellung von 32 Farbtafeln, 78 Schwarz-weiß-Abbildungen und fünf Textillustrationen auszuwählen vermocht, die uns einen guten Einblick in das Werk, Schaffen und Können des Architekten und Malers verschaffen. Seien es Reiseskizzen, Stadtveduten, Entwürfe, Bühnenbilder, Details, Aufrisse, Schnitte oder Prospekte — die Herausgeber erläutern diese kurz, stellen sie in den entsprechenden Zusammenhang mit Geschichte und Bauaufgabe und zeigen das jeweilige Blatt in sehr guter Druckqualität. Um einen Einblick in das Werk Schinkels und das Denken seiner Zeit zu bekommen, eignet sich sich dieses kleine Buch hervorragend. Es ist zudem — auch bei Bilderbüchern nicht selbstverständlich — ausgestattet mit biografischen Daten, mit weiterführenden Literaturhinweisen und einer knappen und informativen Einführung in das Problemfeld der Architekturzeichnung und das Schaffen Schinkels. Martin Kieren
Gottfried Riemann und Christa Heese: Karl Friedrich Schinkel — Architekturzeichnungen, Henschel-Verlag, Berlin 1991, 104 Seiten, 32 Farbtafeln, 83 Schwarz- weiß-Abbildungen, 78 Mark
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