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■ Anderson entlastet

Was bisher geschah: Nach einer entsprechenden Meldung in der als zuverlässig bekannten ‘BILD'- Zeitung hatte Wolf Biermann in seiner Dankesrede zum Büchner- Preis den Berliner Lyriker Sascha Anderson als „Sascha Arschloch“ und Stasi-Spitzel bezeichnet. Beweise für seine Behauptung blieb er schuldig, verwies aber auf Informanten, die im Besitz von eindeutigem Aktenmaterial seien. Das ebenfalls für seine zuverlässige Recherche bekannte Nachrichtenmagazin ‘Der Spiegel' verwertet in seiner laufenden Nummer Biermanns Anschuldigungen und die Aussagen diverser Informanten zu einem (zweiten) Artikel über den Fall, der alle Fragen offen und uns betroffen zurückläßt. Die zitierten Informanten — Jürgen Fuchs, Lutz Rathenow und Adolf Endler — bestritten inzwischen, überhaupt mit dem „Spiegel“ gesprochen zu haben bzw. das Zitierte gesagt zu haben. Der ‘Spiegel' zitiert aus einem Gespräch, das er mit Anderson geführt habe (der sich wiederum nicht erinnert, mit dem ‘Spiegel' gesprochen zu haben): „Mehrfach beteuerte Anderson, daß er an die Stasi ‘keine bewußte Information' weitergereicht habe. Wenn keine ‘bewußten', dann vielleicht andere Informationen? Und welche?“ Die ‘FAZ' gab am Mittwoch Sascha Anderson selbst Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Der Text entlastet den Dichter insofern, als sein Duktus den Rückschluß erlaubt, daß Andersons Mitteilungen, bewußt oder unbewußt, wohl keinesfalls verwertbare Informationen für irgendjemanden enthalten haben können: „Ich bin tatsächlich und außerdem öffentlich einem Bekenntnis fordernden Vorwurf ausgesetzt. Ein Anschlag auf dem Markt der Verletzungen, der mich schlicht dazu zwingen soll, etwas zu bestätigen, worüber ich mir bisher selbst noch keine Klarheit verschafft habe. (...) Die Gewalt des Schweigens, von der Jürgen Fuchs spricht, kann ich einerseits, da ich in meinem Leben mit der Poesie unausweichlich dieser allesbestimmenden Schwelle ausgeliefert bin, nachvollziehen, andererseits ist mir der Terrror der Gegenseite, die diffuse Aggressions- und Expansionsgestik einer von den Strukturen der Wirklichkeit virologisch vergifteten Sprache, die, ihre Spiegelungen wiederkäuend, Ausdruck eines nordischen, luxuriösen Existenzspiels ist, so geläufig, daß mir seit Jahren jeder Text nur noch zur Bitte gerinnt, dem Schweigen nicht jene die Fragmente zu Monstren eines scheindialektischen Reflexes verkittende Gestalt aufzuzwingen.“

Das aufgeregte Hin und Her um Gerüchte, verborgene Akten, geheime Informanten und angedrohte Gerichtstermine beweist nicht mehr, als daß der Aktenzugang, wie von Anfang an seitens der alten DDR-Opposition immer wieder gefordert, nicht priviligiert sein darf. Interessant an der gegenwärtigen Auseinandersetzung erscheinen uns andere Fragen: Ist die Biermann-Anderson Kontroverse auch eine um das Recht auf unpolitische Opposition, die ‘große Verweigerung', wie sie die Prenzlauer Berg- Szene um Sascha Anderson und andere verkörperte? Nicht zufällig vermutlich sind die Haltungen von politischer Oppositon versus lyrischer Verweigerung auch an zwei Generationen geknüpft. Zweitens: Würde, wenn Sascha Anderson — oder X., Y., Z. — ein Stasi-Spitzel war, der Mythos Prenzlauer Berg notwendig Schaden nehmen, gar „zusammenbrechen“? Und drittens: Hätte einen Mythos Prenzlauer Berg überhaupt geben können ohne eine konkrete politische Opposition, von der sich die Fraktion der Verweigerer unterscheiden konnte? Zwei Stellungnahmen von DDR-Autoren. es

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