■ Gastkolumne: Der Senat handelt rechtswidrig
„Am Montag wird es bei uns wieder voll“, vermutet Dieter Trappmann, Leiter der Bremer Ausländerbehörde. Dann können Flüchtlinge in Bremen wieder Asylanträge stellen. Solange, bis die Beamten 300 Anträge in ihrer Monatsstatistik feststellen und alle weiteren Flüchtlinge abweisen, wie es seit dem verfassungswidrigen Senatsbeschluß vom Juli rechtswidrige Bremer Praxis ist. Im Oktober war am 20. das von Wedemeier gesetzte Limit erreicht. Sechs Asylsuchende haben nach Schätzung des Chefs der Ausländerbehörde, Trappmann, mit Hilfe des Verwaltungsgerichts ihren Asylantrag trotzdem durchgesetzt.
Der Senat hält an seiner Abweisungsstrategie weiter fest. Vor dem Senatsbeschluß wurden in Bremen im Juni 660 neue Asylanträge gezählt. Im Juli waren es dann 419. In August und September blieben die Zahlen unter der 300er Grenze: mit 216 und 249 Flüchtlingen, bis seit dem 20. Oktober Asylsuchende wieder abgewiesen wurden.
Das Gros der Flüchtlinge kommt nach Angaben Trappmanns derzeit aus Nigeria und Liberia. Aus dem Kriegsgebiet in Jugoslawien sei lediglich einmal ein Bus mit 23 AsylbewerberInnen gekommen. taz
„Das Boot ist voll.“ Deshalb nimmt Bremen nicht alle Asylbewerbungen entgegen, sondern nur die, die in dem vom Senat gesetzten Rahmen liegen. Dieser Senatsbeschluß verstößt gegen die Verfassung, auf die der Senat vereidigt worden ist. Hoffentlich haben die Beamten, die diesen Beschluß vollziehen müssen, remonstriert. Denn Anweisungen des Senats an seine Beamten, Gesetze nicht zu beachten, hat es bisher nur in nichtdemokratischen Zeiten gegeben.
In Rechts- und Verfassungsfragen kann man irren; hier nicht! Das Verwaltungsgericht zwingt mit inzwischen hektografierten Beschlüssen – unter Hinweis auf die eindeutige Rechtslage – den Senat zu verfassungsmäßigem Handeln, wenn Antragsteller zu Gericht gehen. Der Senat ruft nicht die 2. Instanz an; er beugt sich den Gerichtsentscheidungen, erkennt sie an, räumt damit sein – permanentes – verfassungswidriges Handeln ein, setzt es jedoch fort. „Das Boot ist voll!“
Wie werden Gerichte entscheiden, wenn jugendliche Täter, Ausländerfeinde, sich damit verteidigen: „Das Boot ist voll. Das war meine Möglichkeit, mich dagegen zu wehren. Ich weiß, daß das rechtswidrig ist, aber: Der Senat handelt doch aus denselben Gründen rechtswidrig. An diesem Beispiel habe ich mich orientiert.“
Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit war für Sozialdemokraten, nicht zuletzt aufgrund eigener Erfahrungen, ein Prinzip, dessen Einhaltung sie garantieren. Adolf Arndt und Gustav Heinemann sind Symbolfiguren für diese Politik. Gilt das heute nicht mehr?
Es gab einmal eine Arbeitsgemeinschaft bei den Sozialdemokraten – der Name ist mir leider entfallen –, die bei jedem Vorstoß gegen rechtsstaatliches Handeln lautstark warnte. Gibt es eigentlich ein Ressort, das die Einhaltung der Verfassungsordnung zu überwachen hat? Sicherlich gibt es ein fachkompetentes Senatsmitglied, das den Artikel 111 der Landesverfassung kennt, in dem es heißt, die Mitglieder des Senats können wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfassung auf Beschluß der Bürgerschaft vor dem Staatsgerichtshof angeklagt werden. Was macht der Senat, wenn das Parlament die Verfassung ernst nehmen sollte?
Zwei Parteien führen im Rathaus Verhandlungen mit dem Ziel ihrer Regierungsbeteiligung, Parteien, die ihrem Programm nach rechtsstaatlichem Handeln höchste Priorität geben; eine dieser Parteien ist sogar besonders ausländerfreundlich.
Fragte mich doch kürzlich ein bremischer Kaufmann: Ich will gern einen Gesellschaftsvertrag abschließen, aber mein potentieller Partner, in dessen Geschäft ich einsteigen will, handelt zwar populistisch, aber rechtswidrig. Was tue ich da? Er wußte es schon. Vor Eintritt in die Verhandlungen verlangte er die Einstellung dieses skandalösen Tuns.
Zurück zur Politik. Weder die Grünen noch die FDP verlangen eine Korrektur vor Eintritt in die Verhandlungen. Müssen wir damit rechnen, daß auch sie, wenn sie erst im Regierungsboot sitzen, Rechtsstaatlichkeit als eine quantité negligeable, als eine zu vernachlässigende Größe ansehen werden?
Jetzt verlangt Bortscheller (CDU!): Schluß mit diesem verfassungswidrigen Verfahren. Die CDU als einzige politische Kraft, die in Bremen die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit einfordert! Das haut einen ganz schön um! Waldemar Klischies, Notar und SPD-Mitglied
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