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Tom Jones und Prince vereint

■ David Moss, Microscopic Septet und John McLaughlin beim JazzFest

Einer der Höhepunkte des diesjährigen JazzFests — für mich das Konzert, das außerdem am meisten Spaß bereitete —, war der Auftritt von David Moss' My Favorite Things Project. Moss, seit kurzem Jahresstipendiat des DAAD in Berlin, suchte sich für sein »Project« seine derzeitigen Lieblingsmusiker aus. Mit dem Berliner Schlagwerker Peter Hollinger hatte er in den letzten Jahren des öfteren im Duo gespielt (vielleicht erinnern sich einige noch an den furiosen Auftritt der beiden im Rathaus Charlottenburg bei den »Free Concerts« der FMP).

Zweiter Deutscher in Moss' Band ist der Frankfurter Tonmeister und Klanginstallateur Heiner Goebbels, bekannt besonders durch seine Zusammenarbeit mit Alfred Harth, die Anfang der Achtziger die Band Cassiber hervorbrachte.

Die subversive Musiktätigkeit der Frankfurter mußte irgendwann dem »King of noise-music« (Japan Times) in New York zu Ohren kommen, der zur gleichen Zeit mit Musikern wie John Zorn, Arto Lindsay, Bill Laswell, Fast Forward oder Fred Frith an ähnlichen Dingen arbeitete. Der Jazz-Underground, der mit »Jazz« nichts zu tun haben wollte, diesen aber in seiner Erstarrung bloßstellte, formierte sich.

Hauptförderer dieser kleinen Rebellion in der BRD war das jährliche Moers-Festival, das diverse Auftritte gleich auch noch auf Vinyl dokumentierte. Das JazzFest in Berlin lud die New Yorker Schmuddelkinder nur sporadisch ein. Für eine eigene »Noise-Programmschiene« beim renommierten JazzFest reichte es nie.

Zu nächtlicher Stunde im Delphi kann Moss einen bunten Melodienstrauß entfalten. Hatte man vorher geglaubt, es würde im Duo von Hollinger und Moss zu einer exzessiven Trommelorgie mit Blech- und Stahlbearbeitungsszenen à la »Neubauten« kommen, sah man sich plötzlich mit zwei (fast) konventionellen Schlagzeugbatterien auf der Bühne konfrontiert.

»Moss, der Pavarotti der Avantgarde« (High Performance) hat seine Stimme als zweites Schlaginstrument entdeckt. Rasend wandelt er durch die Skalen, imitiert menschliche Stimmen und Gespräche, ist eine Sekunde eine Mickymouse, dann ein grummelnder Hauswart und Sekundenbruchteile später dessen kreischende Katze oder Frau, je nach Geschmack. Moss bewegt dazu die Arme und klopft sich immer wieder auf seinen voluminösen Buch, der ihm das Klangvolumen eines Opernsängers verleiht (fast).

Die Band wird zur Wunschmaschine für Moss' Favorite Things. Ein phantastisches Stück von Prince (»irgendeins vom Love Sexy-Album«sagt Hollinger nach dem Konzert) mit wilden Tempowechseln reiht sich an Albert Ayler und dann aus heiterem Himmel Tom Jones De Lilah. Moss' Stimmbänder werden zum natürlichen Sound-Sampling- System. Als hätte er ein 16-Spur- Mischpult in seinem Bauch versteckt, bricht plötzlich Astrud Gilbertos Girl From Ipanema aus ihm hervor. Ergänzende Soundfragmente werden von Heiner Goebbels geschickt zwischen Moss' Schlagerfetzen gemixt. Die Gitarre von John King kratzt frech gegen Tom Jones an, Hollinger trommelt, was das Zeug hält auf einer amerikanischen Plastikflasche, die vormals der Lagerung großer Mengen Alkohol gedient haben muß.

»Laßt uns tanzen und trinken«, ruft Moss seinen Jüngern noch zu, aber das tun diese längst schon. Der mitreißendste Auftritt des JazzFests läßt hoffen, das Moss bei seinem Aufenthalt in Berlin noch viele Gelegenheiten findet, seine Stimmbänder zu strapazieren.

Im Großangebot des JazzFests '91, das mehr interessante Acts als die Festivals der letzten beiden Jahre zu bieten hatte (was die Kritik am hausbackenen Konzept keinesfalls aufhebt), ließen sich vor allem im Delphi Entdeckungen machen. Beispielsweise die einer Band aus New York, die dort zu den hippen Jazzkräften gehört, hier aber relativ unbekannt sein dürfte. Das »Microscopic Septet« des Sopransaxophonisten Phillip Johnston und des Pianisten und zweiten Komponisten Joel Forrester hat den Swing wiederentdeckt. Das allein aber wäre langweilig, wie bei vielen anderen, wenn da nicht ständig ein ironischer Unterton mitklänge, der uns sagt: Glaubt nicht, was ihr hört.

Was wir hören, klingt nach Bigband-Bläsersätzen, aber so, als hätte man den Komponisten und Arrangeur mit seinem Taktstock zurückgelassen und sich selbstständig gemacht. Ohne den Zwang zur Disziplin des Großorchesters blasen vier Männer sich den Swing aus der Seele. Alles scheint Zitat, ist aber Original, oder so verfremdet, daß man es nicht mehr identifizieren kann. Todernst ironisch ist nicht nur die Musik, sondern sind auch Johnstons Kommentare und Ansagen, in denen er die Höflichkeitsfloskeln jeder Band persifliert und dem Publikum immer wieder bedeutet, wie »tolerant, verständnisvoll, very very kind« es doch sei. Wenn dann der Baritonsaxophonist seine Sonnenbrille aufsetzt, zum Solo aufsteht, einige Sekunden bläst, sich dann wieder setzt und genüßlich die Sonnenbrille wieder einsteckt, ist die Show perfekt. Das Microscopic Septet nimmt dem Jazz die Schwere und Ernsthaftigkeit, die ihm viele so gern zuschreiben. Die »Micros« entdecken den Jazz endlich wieder als Entertainment.

Weniger unterhaltsam wirkte da schon der Auftritt von John McLaughlin und seinem Trio. Als einer der Stars des Festivals hatte er zunächst einmal die Aufgabe, die Kasse zu füllen. Das Haus der Kulturen der Welt war denn auch gut besetzt am Samstag abend.

Ex-Mahavishnu und Post-Guru McLaughlin trat im Trio mit Trilok Gurtu und dem Bassisten Dominique Di Piazza an. Daß McLaughlin Gitarre spielen kann, weiß man schon länger, trotzdem beweist er es immer wieder gern. Dem Jazzrock hat er weitgehend abgeschworen, Indien liegt in umnebelter Ferne, der letzte Joint ist lange verraucht, was bleibt, ist die persönliche Einkehr und der modernistische Hang zur Selbstbespiegelung in der Musik. Das mögen nur Klischees sein, aber McLaughlin ruft mit seinem Hang zum meditativ- akustischen Präzisionshandwerk all diese Klischees wach. Mit sich selbst und seinen Anhängern im reinen, reiht der Gitarrist filigrane Harmonien aneinander. Wie Perlen einer Kette fügt er alles zusammen im Schönklang.

Reminiszenzen an Indien erscheinen nur noch in der westlich geprägten Percussion Trilok Gurtus. Gurtu, seit Jahren in Deutschland beheimatet, imitiert die Tabla inzwischen mit der Stimme schneller und perfekter, als er real trommelt. Bei all dem stellt sich aber schnell der Eindruck ein, hier ginge es um Effekthascherei. Geschickt inszeniert, aber letzlich uninspiriert wirkt dann auch die Zugabe, ein heftiges Duo von Gurtu und McLaughlin, die mit der Zunge um die Wette schnalzen und verbale Trommelfeuer entfachen. Irgendwie merkt man dieser scheinbar so spontanen Session an, daß diese seit Monaten bei wahrscheinlich fast jedem Konzert wiederholt wird. Der Beifall der Fans ist ihnen gleichwohl gewiß. Andreas Becker

Abschlußbericht vom JazzFest folgt in der taz von morgen.

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