KOMMENTARE: Das dezente Schweigen des Björn E.
■ Im Streit um die Flüchtlinge in Neumünster taucht der Ministerpräsident ab
Fehlt da nicht jemand? Schweigt da nicht wer? Oder hält sich da einer nur dezent im Hintergrund? Hat Schleswig-Holstein keinen Ministerpräsidenten mehr, der seinen „Sozial“-Minister endlich daran erinnern könnte, daß das kleine Wort vor seiner Amtsbezeichnis auch einen Mindestanspruch an Humanität beinhaltet?
Da sind am Wochenende Zehntausende gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auf die Straße gegangen — und die SPD immer mittenmang oder gar vorweg. Zur gleichen Zeit läßt der Bundesvorsitzende eben jener SPD, der schleswig- holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm, seinen Sozialminister Jansen vor der eigenen Haustür die Drecksarbeit erledigen: Im unwürdigen Streit um die Prinzipien des Rechtsstaates an und für sich sollen die aus Greifswald geflüchteten AsylbewerberInnen zur Speerspitze der Demokratie werden, ob sie wollen oder nicht — und sie wollen nicht.
Um der rechtsradikalen Szene zu zeigen, daß man sich dem Druck der Straße nicht beugt, müssen Flüchtlinge als Versuchsobjekte herhalten. Weil der Staat sich nicht erpressen läßt, droht er den AsylbewerberInnen mit Erpressung — ohne Rückkehr nach Mecklenburg kein Asylverfahren. Solch hehres Beharren auf der Unnachgiebigkeit des Staates kennt man sonst nur gegenüber Geiselnehmern oder Terroristen. Aber die aus Greifswald geflüchteten Menschen sind keine Geiseln — auch keine Geiseln Schleswig-Holsteins.
Was das CDU-regierte Mecklenburg-Vorpommern und die schleswig-holsteinische Landesregierung mit dem schweigenden SPD-Vorsitzenden Engholm an der Spitze hier vorexerzieren, führt all die gutgemeinten Demonstrationen mit Beteiligung der wackeren sozialdemokratischen Parteibasis ad absurdum. Denn in Neumünster werden Ausländer nicht nur zu Versuchskaninchen erklärt, sondern auch zu Rechtsbrechern, die hart am Rande der Kriminalität agieren, weil sie gewagt haben, sich über ein deutsches Gesetz namens Asylverfahrensgesetz hinwegzusetzen. Mit solchen Mitteln werden ebenso negative Menschenbilder gezeichnet, wie durch die generelle erkennungsdienstliche Behandlung von Flüchtlingen und durch die Zwangskasernierung in Sammellagern, die gerade die SPD vehement betrieben hat. Das Gezerre um die Flüchtlinge in Neumünster leistet diesem Negativbild des Ausländers als Sicherheitsrisiko ähnlich Vorschub wie die Kampagne eines CDU-Generalsekretärs. Man muß nicht wie Volker Rühe mit persönlichen Briefen die Parteibasis zur Ausländerfeindlichkeit aufwiegeln. Man kann auch einfach mit Schweigen billigen, was ein unsozialer Sozialminister macht. Vera Gaserow
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