■ ARTUR, BERLINOID: Tageszeiten
Unentdeckte Morgendynamiker sind allenthalben zu finden, Leute, die schon vor'm Aufstehen der Meinung sind, das ganze Leben sei Telefon, aber erst wenn Artur mal wieder ein Amtsgebäude betritt, all überall und immer leeren Körpern in »guten« Anzügen begegnet, trifft ihn der ritualisierte Jammer mit voller Wucht.
»Alles, was sich bewegt, wird begrüßt; alles, was sich nicht bewegt, wird grau angestrichen«, hatte Onkel Ewald immer mal gesagt, und der mußte das wissen, war er damals doch, wenngleich auch nur für kurze Zeit, bei der Handelsmarine gewesen.
Und weil (fast) jede(r) bewegt erscheinen möchte, kommt es dann zu diesen radikalhysterischen Grußorgien, von früh bis spät. Einer winkt immer stumm, den rechten Arm gehoben, Ellenbogen gewinkelt, Handinnenfläche in Wagenhöhe, und er wedelt knapp und rhythmisch die flache Hand, hin und zurück. Ein Grinsen steht dabei in seinem Gesicht (Zungenspitze hinter die oberen Zähne gedrückt). R. dagegen gibt sich individueller kultiviert. Er spitzt seine Lippen und bringt ein süßholziges »Grüüüß dich!« hervor, langes, langes »grüüüß«, kurzes und leiser werdendes »dich«; da kann es Artur ganz elend werden.
Oder Frollein K. Sie kommt immer einen winzigen Hauch zu elegant, zu keß daher, umwabert von Düften, die sie ohne jeden Zweifel für außergewöhnlich exqusit hält, und sie singt laut und kräftig: »Guten Morgen!« Manche Durchhaltevolkslieder fingen mal so an, fehlt nur noch »Frühtau«, denkt Artur sich seinen Teil.
Oder das blutleere Biest von Vorsteher, würde ja so gern wichtig aussehen: »Moin.« Bei Bedarf werden Hände gedrückt, feuchtwarmschlaff, dann und wann mit verhauchten »Grüß Gott«. Die Dame von der Registratur hat's lieber trocken: »Morgen!«, hoch angesetzt, nach hinten kurz, wie »joggen«. Manchmal, wenn ihr danach ist, variiert sie in »moggin«, mit kurzem „i“.
H. dagegen ist ein beherzter Anfasser, signalisiert späte Zugewandtheit. Männer begrüßt er aus unerfindlichen Gründen durchweg mit: »Mojen, mojen, mien Bernhard«. Frauen hingegen legt er ungefragt seinen Arm um die Schulter und strahlt: »Naah, meine Sonne, wie ist das Leben?!«
So macht er das. Unerschüttert, jeden Tag. Die Fraktion der Roller — »Morrrgen« — ist klein, da weiß Artur nie so recht, ob die nicht doch was anderes im Sinn haben. Über die Mittagszeit, »Maaahlzeit«, hat Artur mal Zeit, nichts Auffälliges zu bemerken; nur selten hat er das Glück, den Pförtner keck »Mahlzeit«, mit „r“, antworten zu hören, und, seltener noch erschrickt er, wenn ihn der Kellner mit »Bon giorno« anbölkt. »Tach«, sagt Artur dann, auch wider besseres Wissen »Tachchen« und grinst.
Aufpassen muß Artur, wenn ihn in der Dunkelheit Entgegenkommende mit anschwellendem Singsang »N'aaabent« anflöten oder »N'abbbent«, oder auch, fernsehmäßig, »Gunahmd«. »Ebenso«, nickt Artur dann freundlich, »ebenso! Alles Gute ab sofort und ein überzeugendes Wochenende!« Clemens Walter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen