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Kam der Schneider mit der Scher'

■ Vor der Uraufführung seines „Daumenlutschers“: Gotthart Kuppel über Theatermachen für Kinder sowie Rauchen, Lutschen und Küssen

Heute wird im Schaupielhaus die „Wahre Geschichte vom Daumenlutscher“ uraufgeführt: eine wilde Kriminalverwicklung um Schnullerklau und Polizistenpistolen, in der die Zaubermittel des Theaters eine beträchtliche Rolle spielen. Der Autor Gotthart Kuppel, bremischer Arzt und Theatermacher, besorgte selber die Inszenierung. Die taz sprach vorab mit ihm.

taz: „Der Schnuller“ ist schwer belastet: die erste große Metapher in einem Kinderleben. Hat Sie das gehemmt?

Gotthart Kuppel: Im Gegenteil, das war ja das Spannende, daß der für so vieles steht. Selbst in unserer Erwachsenenwelt: Da haben wir um ihn die kontrapunktischen Ersatzteile gruppiert, also das Rauchen, das Lutschen, das Trinken, auch das Küssen. Das geht ja endlos weiter. Wir haben uns aber dann bei diesen kleinen, also den sozial anerkannten Beispielen, ausgebremst.

Ist eine Theater für Kinder was Spezielles, wo man sich vielleicht extra klein macht?

Nein, bei uns war schon die Entstehungsgeschichte ganz anders. Das Stück geht zurück auf eine Zeitungsmeldung: Da hat ein 25jähriger Mann in der Dortmunder Innenstadt einem schlafenden Kleinkind den Schnuller aus dem Mund geklaut und ist damit geflüchtet. Als man ihn bei sich zuhause aufgriff, fand man 757 Schnuller. Da zeigt einer in dieser Metapher kindliche Bedürfnisse, die man wahnsinnig gut fürs Theater nutzen kann.

Und was wird dann draus? Ein Oralophallopsychokrimi?

Das hab ich mir streng verboten, da ins Psychoanalytische abzudriften. Wir erklären wohlweislich nichts. Die Bilder sprechen. Was dem Polizisten, der ein Ordnungsnarr ist und sichtlich seine Schußwaffe liebt, was dem etwa in seiner Ausbildung passiert ist, das kommt nicht vor.

Wovon sprechen die Bilder?

Zunächst ganz zweidimensional, nämlich als Papptafeln, von der alten Hoffmann'schen Daumenlutscher-Geschichte, die anfangs, davon erzählt unser Stück, in altem Stil bis zum schlechten Ende aufgeführt werden soll. Bei uns, als Bühne auf der Bühne, ein Pappfigurentheater. Ganz einfach. Bloß verwickeln sich schnell die Geschichten. Da stürzt der Schnullerdieb auf die Bühne, der verfolgende Polizist hinterher, alles so Prototypen...

Brauchen Kinder Prototypen? Muß man ihnen die Menschen mit Fingerfarben malen?

Im Gegenteil. Die Figuren fangen ja bloß an, wie sie im Buche stehen, und differenzieren sich dann. Am Ende ist alles anders, und das Theater, in dem die Handlung spielt, hat seine Wirkung getan, auch auf den Polizisten. Um die Kraft dieses Theaters darzustellen, verwenden wir dann auch die richtig großen Theaterbilder: einen Henker, einen Eisberg, ein Motorrad. Da sind natürlich auch die Möglichkeiten von solchen Häusern verlockend. Ich hab ja sonst meist kleinere Bühnen; hier, wo es kein Problem ist, vier Eisbärenkostüme zu kriegen, hab ich mich manchmal richtig zurückhalten müssen, um meine Liebe zum Minimalen zu bewahren.

Und machen Sie jetzt einen richtigen Theaterzauber her?

Nur soweit die Kinder das nachvollziehen können. Die sollen nicht überwältigt werden von der Kraft des Theaters, sondern noch sehen, wie's gemacht ist.

Müssen Sie sich, wenn Sie für Kinder arbeiten, sozusagen einschränken?

Kaum. Ob eine Geschichte den Kindern gefällt, ist nicht mein Gedanke. Mir muß sie gefallen. Und in meiner Generation ist das Bild des Daumenlutschers noch unheimlich präsent. Die meisten können die klassische Geschichte von vorneweg durchrezitieren.

Konrad, sprach die Frau Mama...

Ich geh aus und du bleibst da. Ja, mir ging's drum, daß Daumenlutscher wie Raucher wie Schnullerdiebe was brauchen. Und das Thema des Brauchens, denk ich, wird schon in einem sehr jungen Alter brisant und bleibt es.

Wie geht man rein technisch auf ein junges Publikum zu? Oft neigen ja die Schauspieler zu extra lautem Sprechen und exzessiver Betonung, als spielten sie vor Idioten.

Wir nehmen die Kinder schon ernst. Das Kindertheater ist eigentlich nur insofern eingeschränkt, als die Unterhaltung nicht abbrechen sollte. Man kann ihnen keinen Robert Wilson zeigen, weil das Thema Langeweile oder das Thema Ausharrenmüssen eben für Kinder kein Kulturthema ist...

...sondern eine Qual...

Ja. Man muß schnell arbeiten, auf Anschluß arbeiten, Stimmungen bilden. Aber sonst neige ich eher zu einer gewissen Rücksichtslosigkeit: Es müssen gar nicht mal alle immer alles begreifen. Damit leben ja auch die Erwachsenen. Natürlich soll das Verwirrende nicht überhandnehmen, aber ein bißchen Wunder und Rätsel darf schon bleiben. Interview: Manfred Dworschak

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