piwik no script img

Mein ein und alles wollte sich umbringen

■ Die Taxifahrerin — Eine Mutter aus dem Krankenhaus

Sind Sie frei? Bringen Sie mich bitte nach Rudow... mein Gott, wo wohne ich denn... in den Seidelbastweg. Verzeihen Sie meine Tränen, ich kann einfach nicht mehr... Ob Sie mir helfen können? Nein, helfen muß ich mir wohl alleine. Ich komme gerade von der Intensivstation, meine Tochter liegt dort — Selbstmordversuch... Tabletten ... 15 Jahre alt... Und ich war doch völlig ahnungslos...

Gott sei Dank eine Frau am Steuer, Sie verstehn das vielleicht... Wissen Sie, ich dachte, sie ist ins Kino gestern und schläft danach bei einer Freundin. Warum hat sie nie etwas erzählt, wenigstens irgendeine Andeutung gemacht? Warum nicht — warum bloß nicht?

Die Kripo-Leute waren im Krankenhaus. Wollten mich sprechen. Behaupten, daß ihr Stiefvater sie mißbraucht hat und das angeblich schon seit Jahren... Wie sie da lag, an all den Schläuchen... Haben Sie auch Kinder? Können Sie sich vorstellen, daß man so etwas nicht mitkriegt? Ich bin doch ihre Mutter!!! Ich kann mir das alles nicht vorstellen, ich hätte doch etwas merken müssen. Aber sie hat ja mit niemandem mehr geredet, alles mußte man aus ihr herauslocken, selbst die belanglosesten Dinge. Jedenfalls seit ich meinen Mann geheiratet habe. Sechs Jahre ist das nun her. Man kam ja nicht mehr ran an sie. Einfach zugemacht. Ja, jetzt müssen Sie rechts abbiegen.

Wie alt ist Ihr Kind? Ach so, ein Junge, vielleicht sind die anders. Mein Mann sagt immer, die ist mit allen Wassern gewaschen. So ganz konnte ich mir das nicht vorstellen, wir haben doch früher immer über alles geredet.

Anfangs, als er nur zu Besuch kam, verstanden sich die beiden ganz prima. Ich war richtig eifersüchtig; immer brachte er ihr etwas mit. Wo ich doch immer so sparen mußte. Und heute? Sie sprang vor Freude an die Decke, als ich ihr erzählte, daß sie wieder einen Vater bekommt und auch noch den, den sie sich so sehr wünschte... damals.

Vielleicht ist sie ja schwanger von einem der Jungs, aus unserem Block... Ja, hier über den Parkplatz. Letztens hat sie gesagt, plötzlich beim Abendbrot, wo sie sonst immer so stumm ist, sie würde sich eher umbringen, als ein Kind in diese Welt zu setzen... Mein Mann und ich haben uns nur angesehen, sie kann sehr hart sein in letzter Zeit. Zu ihm wurde sie immer abweisender in letzter Zeit. Er sagt, das ist das Alter, die Pubertät. Ich war gar nicht mehr eifersüchtig auf sie, im Gegenteil, ich mußte auf beiden Seiten für Harmonie werben. Warum bist du bloß so abweisend zu ihm? Er hat dir doch nichs getan!

Mein Gott, wenn sie gestorben wäre. Sie ist doch mein Kind, mein ein und alles. Barbara Freisleben

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen