: Aids: Nihilismus ist nicht angesagt
■ Nach zehn Jahren Erfahrung ist die HIV-Infektion eine relativ gut behandelbare Krankheit/ Auf dem Berliner Symposium zum Welt-Aids-Tag berichten Ärzte über Fortschritte bei Therapie und Impfung
Berlin (taz) — Im Laufe von zehn Jahren ist Aids (noch!) unheilbar geblieben, aber inzwischen gut behandelbar. Bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa die atypische Tuberkulose, sind die meisten Komplikationen gut beherrschbar. Wer rechtzeitig in kompetente ärztliche Behandlung kommt, hat auch bei Aids und seinen Vorstadien die Chance auf eine relativ gute Lebensqualität. Dieses optimistische Fazit zogen die beiden Ärzte Manfred L'age (Berlin) und Hans Jäger (München) am Wochenende beim Berliner Aids-Symposium. L'age machte den Betroffenen in der fast vollbesetzten Kongreßhalle am Alex klar, daß ein positiver Test noch lange nicht das Todesurteil bedeute. Das Leben könne inzwischen deutlich verlängert werden. Und diese zwei, drei oder auch fünf zusätzlichen Jahre könnten, bei etwas Glück und weiteren Therapie- Fortschritten, entscheidend sein. L'age: „Nihilismus ist hier nicht angesagt, ich bin als Arzt nicht willens, in die Resignation abzutauchen.“
In Langzeitstudien haben Epidemiologen die Entwicklung der Infektion beobachtet. Innerhalb von elf Jahren erkranken etwa die Hälfte der Infizierten an Aids. Da der Beobachtungszeitraum derzeit aber noch kürzer ist als die maximale Latenzzeit, lassen sich noch keine endgültigen Aussagen treffen. Bei günstigem Verlauf können Infizierte durchaus 12, 15 oder noch mehr Jahre weitgehend symptomfrei leben.
Wenn die ersten Krankheitszeichen auftreten, sei es besonders wichtig, so Manfred L'age, sie frühzeitig zu erkennen und rasch zu behandeln. Wie stark sich gerade bei Aids die Routine der Spezialisten auswirkt, zeigte eine US-Untersuchung. Von 100 Patienten mit der aidstypischen Lungenentzündung PCP (Pneumocystis carinii pneumonie) starben in den Aids-Kliniken mit großer Erfahrung nur 7, in den nichtspezialisierten Kliniken dagegen 16 Patienten.
Durch die prophylaktischen Pentamidin-Inhalationen ist die PCP „dramatisch zurückgegangen“. Am Berliner Auguste-Viktoria-Krankenhaus war bis 1989 noch jeder fünfte Aids-Patient an PCP erkrankt, heute nur noch jeder zehnte — häufig Patienten, die, so L'age, „einfach nicht zum Arzt kommen“, Atemnot und Reizhusten nicht beachten.
Sehr gut behandelbar sind inzwischen die Pilzinfektionen, die meist nach mehreren Tagen verschwinden. Aber auch das Karposi-Sarkom (ein bei Aids relativ häufiger Tumor) könne inzwischen gestoppt werden, ebenso wie die Toxoplasmose (Infektion des Gehirns), die klassische Tuberkulose und viele andere Komplikationen. L'age: „Unbehandelt führen viele dieser Infektionen zum Tod, aber wir haben gelernt, mit ihnen fertig zu werden.“
Hans Jäger berichtete, daß inzwischen nur noch drei Prozent der HIV- Patienten stationär behandelt werden müssen. Mit den neuen Apparaturen könnten auch Infusionen zu Hause gelegt werden, der Patient könne damit sogar spazierengehen. Als wichtige neue Medikamente nannte der Münchner Arzt das in den USA bereits zugelassene DDI (Handelsname „Videx“) und das damit eng verwandte DDC. DDI sei über die internationalen Apotheken inzwischen erhältlich, DDC lasse sich über „gute Drähte“ besorgen. Beide Medikamente seien Alternativen zum wichtigsten Aids-Medikament, dem Virus-Hemmer AZT. Bei auftretenden Resistenzen gegen AZT könne zwischenzeitlich mit den ähnlich wirkenden Mitteln DDI oder DDC therapiert werden. Danach sei die Resistenzbildung gegen AZT häufig verschwunden, und der Arzt könne zu diesem Mittel zurückkehren. In München werde eine solche Kombinationsbehandlung von 20 Patienten praktiziert.
Jäger stellte mit „Peptid T“ und der Substanz „566 C 80“ (gegen PCP und Toxoplasmose) zwei neue erfolgversprechende Mittel vor, die gegenwärtig getestet würden. Vor allem Peptid T, das ein Andocken des HI-Virus an die Wirtszelle blockiert, sei aufgrund seiner nichttoxischen Wirkung sehr aussichtsreich.
Ist die Anwendung solcher Medikamente, noch vor ihrer amtlichen Zulassung, verantwortbar? L'age und Jäger sprachen sich beide für einen frühzeitigen Einsatz von neuentwickelten Arzneimitteln aus — in enger Absprache mit den Patienten. Die Ärzte, so Jäger, müßten allerdings „ziemlich ausgeschlafen sein“, um auf den Kongressen rechtzeitig von den therapeutischen Neuentwicklungen zu erfahren.
Alternative Heilkonzepte gegen Aids wurden nur kurz angetippt. Der Mistel-Experte Prof. Franz wollte keine überzogenen Hoffnungen machen, berichtete aber von einem möglicherweise erfolgreichen Einsatz der Mistel gegen Toxoplasmose. Hans Jäger kritisierte drei Punkte der Alternativ-Medizin: Unseriöse Heilsversprechungen, teure Behandlungen, die keine Kasse trägt, und das Beharren mancher Alternativ-Behandler auf einem Abbruch schulmedizinischer Behandlung.
Ein „Licht im Tunnel“ sieht der Impfstoff-Spezialist Johannes Löwer vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen. Bei Affen sei es jetzt mehrfach gelungen, sie durch Impfungen von inaktivierten Virus-Partikeln vor der Infektion zu schützen. Jetzt müsse sich zeigen, ob dieser Schutz auch über längere Zeit und bei einem sich ständig verändernden Virus vorhält. Löwer: „Ein großer Schritt vorwärts ist getan.“ Manfred Kriener
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