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Mit geöffneten Augen

■ Der Bildhauer Hans Hemmert stellt in der Galerie Vincenz Sala aus

Warenästhetik findet sich auf Schritt und Tritt. Auf Plakatwänden, in Briefkastensendungen, Funk und Fernsehen werden Produkte mit Suggestionskraft und kalkulierten Klischees angepriesen. Die Sprache der Reklame besitzt ein Assoziationspotential, das die Produkte häufig stärker als ihren tatsächlichen Gebrauchswert kodiert. Eine Untersuchung dieser Warenästhetik ist für den Bildhauer Hans Hemmert Motiv der künstlerischen Arbeit und eröffnet den Blick für die Wirkungsweise der medialen Realität.

In der Mitte des Galerieraumes ist ein Kunstobjekt mit dem Titel A little Life aufgestellt, ein Tisch, der, wäre er zum Gebrauch bestimmt, eher hinderlich ist, denn obwohl sich keine sichtbaren Gegenstände auf ihm befinden, kann von Tabula rasa nicht die Rede sein. Durch das vom Künstler per Siebdruckverfahren hergestellte Holzfurnier-Imitat zeichnen sich Volumen von Gegenständen ab: Bei genauer Betrachtung erkennt man Alltagsdinge wie Kassettenrekorder, Pralinenschachtel, Telefon, Blumenstrauß, Revolver, Aschenbecher, Fotoapparat, Kaffeetasse, Buch, umgekippte Flasche, Stöckelschuh und Sonnenbrille, die in ihrer Vergröberung einem Verpackungsmaterial ähnlich sind.

Man denkt an den Eat-Art-Künstler Daniel Spoerri, der in den sechziger Jahren nach Saufgelagen am nächsten Tag umgestürzte Weingläser, überquellende Aschenbecher, Brotreste oder zurückgelassenen Handtaschen auf die Tischplatte klebte und das »Tafelbild« an die Wand hängte. Als Dokument der subjektiven Lebenswelt des Künstlers wurde die Tischplatte damals in die Öffentlichkeit und ins Museum getragen. Von Subjektivität und fingerabdruck-akribischer Detailtreue fehlt bei Hemmerts Objekt zwar jede Spur, dennoch kommen kriminalistische Gedanken in den Sinn. Die Anhäufung dieser Dinge mag zufällig sein, aber selbst mit wenig Phantasie kann man sich ganze Romane ausdenken, ins Rollen gebracht durch die unter der Holzplatte als imaginärem Tischtuch verborgenen Gegenstände. Gerade in der Trennung von Form und Inhalt schafft Hemmert Raum für eine Sehweise, die die Gegenstände mit neuer Bedeutung füllt. Die visuell erzeugte Rhetorik der Vorstellung entzündet eine Dramaturgie, die die banalsten Accessoires der Massenware als überzeugende Mosaiksteine zu einer Erklärung zusammenfügt: als Beweismittel können sie dennoch nicht dienen. Sie bleiben ohne faktischen Charakter und sind vergegenständlicht nur als Modell einer scheinbar durch Computeranimation entwickelten skulpturalen Form.

Während der Tisch den einen Raum der Galerie ausfüllt, hat der Künstler eine Wand des zweiten Raumes mit schwarzen Plastikplatten verschalt und eine Steckdose angebracht. Es wird der Eindruck erweckt, als wäre dies die gewöhnliche Einrichtung der Galerie. Auf der schwarzen Wandfläche befindet sich, kaum sichtbar, der Satz: Living is easy with Eyes closed, der nach Auskunft des Künstlers von der Anfangszeile eines Beatlessongs der LP Sgt. Pepper's... entnommen ist. Die schwarze Wand funktioniert als Spiegel, in dem der Besucher nur umrißhaft und eingeschränkt wahrnehmen kann. Warum also nicht die Augen schließen?

Eine romantische und träumerische Haltung erweist sich in Konfrontation mit der undurchdringlichen Präsenz der schwarzen Wand und als Modell einer Welt-Nicht-Sicht jedoch als wenig hilfreich. Selbst mit geschlossenen Augen ist der menschliche Körper Bestandteil der Raummöblierung und damit im ästhetischen System integriert.

Das plastische Verfahren dieser Ausstellung, die beide Räume zu einer Einheit verbindet, schafft die Möglichkeit, die Kategorie des singulären Objekts, zu dem man sich in Beziehung setzen kann, nachhaltig zu irritieren.

Der Selbstdefinition des Kunstwerkes setzt Hemmert die Inhaltsform zirkulierender Assoziationsbilder entgegen. Der Raum chiffriert die Gegenstände neu, um zwischen Fiktion und Realität eine Kontinuität herzustellen. In dieser Weise sticht die Inszenierung, als Verschwinden des Sichtbaren, ins Auge. Herbert Jochmann

Galerie Vincenz Sala, Manteuffelstraße 40/41, Kreuzberg, noch bis zum 28. Dezember, Di, Mi, Fr: 17-20, Sa.: 11-14 Uhr.

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