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Sinnfiel- teilung

Neue Gedichtbände von Bert Papenfuß-Gorek und Thomas Kling  ■ Von Annette Brockhoff

Zwei der zur Zeit wichtigsten deutschsprachigen Lyriker haben in diesem Jahr neue Gedichtbände vorgelegt: Von Thomas Kling erschien mit brennstabm bei Suhrkamp sein nach Erprobung herzstärkender Mittel und geschmacksverstärker dritter Gedichtband, von Bert Papenfuß-Gorek nach vielen DDR-Kleinstauflagen und dem von Gerhard Wolf in der Aufbau-Reihe „Außer der Reihe“ herausgegebenen Band dreizehntanz, später in Lizenz bei Luchterhand aufgelegt, die Bände tiské und SoJa.

SoJa ist dabei eins der ersten Produkte des von Mitgliedern des ehemaligen künstlerischen „DDR-Undergrounds“ gegründeten Druckhauses Galrev, das die kollektive Tradition engagiert fortsetzen zu wollen scheint.

„ich// ist ein weites feld/ mit breitem Rand“, möchte man den Vereinfacherern entgegenhalten, deren Wahrheitseifer jetzt ein totales Vermummungsverbot für die ehemals als „ästhetische Aussteiger“ mit „Streben nach Reinheit in der künstlerischen Existenz“ ('FAZ‘) gefeierten Under-cover-Poeten fordert und ihre Verse in Stasi-Manier nach Spuren des Verrats durchkämmt. — „Es muß was Schönes sein um die Tugend...“ Schade nur, daß es, wie so oft, die unbedeutenderen Dichter sind, die die richtigen Lebensakten führen. Für neue „Werkspitzel“ werden sich auch bei Papenfuß-Gorek verräterische Kontexte herstellen lassen, denn Eindeutigkeit ist seine Sache nicht. Als permanenter Angriff auf „imperiale Sprachkonzepte“ ist seine Lyrik konsequent betriebener Wort-Bruch: „schrei gegen die wand/ schreib es an die wand/ schreite durch die wand// fielfalt anstatt einfalt/ & du eintseller der fielfalt/ bist nicht einfalt sondern/ baustein & bein der fielfalt// umso foller je/ ausgesprochen ohne/ so foll so ohne SoJa“.

„baustein & bein der fielfalt“: Im zyklisch angelegten Schreiben Papenfuß-Goreks wächst ein dichterisches Imperium, in dem das lyrische Ich mit gebieterischem Gestus herrscht, ein „work in progress“, das in ständiger Umgestaltung begriffen ist. Gedichte, die man aus dreizehntanz kennt, wie z.B. das oben zitierte SOndern, erhalten in SoJa eine Signifikanz, Textpartikel in anderen sprachlichen Fügungen neue Valeurs. Dieses wenig bündige Verfahren, das Rochieren von Textelementen, die ständige etymologische Anreicherung des Werkkörpers verhindern, wie in der Kritik unverständlicherweise immer wieder bedauert wird, den großen Wurf des Einzelgedichts. Mir sagt Papenfuß' Verfahren räumlicher „sinnfielteilung“, wie es in der zehn Jahre später als SoJa entstandenen Sammlung tiské heißt, wesentlich mehr zu als die angesichts der Komplexität und Kontingenz heutiger Weltstrukturen oft genug banalen lyrischen „Engführungen“ „hermetisch“ operierender Autisten. Nur im Zaudern und Stocken, im assoziativen Wuchern, im Griff nach dem dem Wort selbst innewohnenden Impuls kann die Sprache ihre Tiefenschärfe und damit etwas von ihrer subversiven Kraft zurückgewinnen. Papenfuß-Gorek scheut sich nicht, zwischen Manieriertheit und expressiver Wucht, zwischen kunstvollen Arabesken und primitivsten Kalauern alles aufzufahren, was die poetische Rhetorik an Formenvorrat und Deformationstechniken bis heute angesammelt hat, um eine extreme Tonlage herzustellen. Insofern ist der Sprachbarbar zwischen Kosmos und Chaos ganz der alte. Alle „unbotmäßigen“ Formen der Sprache, „Schreibfehler“, exzentrische Wortmonster und Wortmetamorphosen, syntaktische Irregularitäten und obsessive Wiederholungszwänge setzen den poetischen Sprachraum unter Hochspannung. Papenfuß-Goreks Permutationen hinterlassen dabei vielfach tiefe Spuren im Textkörper. In dem „Schriftbruch“ überschriebenen Kapitel desSoJa-Zyklus gibt der Dichter den Modus der Generalüberholung der „riffgelaufenen stabenschiffe“ an: „'ix als 'ka-es' &/ 'zet' als 'te-es'// aus innigen/ zwingenden/ dringenden/ gruenden werden sie/ flott gemacht zu/ 'ch' & 'sch'// denen wohl ist/ auf zwingenden/ zriftgruenden/ war diese/ klippzrift/ ohnehin kein/ kiel-holen/ wert“. Die phonetische Umschrift dient dem Rauh-Werden und Sperrig-Machen der Sprache. „kwehrdeutsch“ gegen „kreutsdeutsch“: Das heißt auch keine mildernden Umstände für die Analyse gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse, die jetzt in den Nerv gesamtdeutscher „Un“-Wirklichkeit treffen, die als „abgewichste unrevolution“ und „totaler Mumienschanz“ nur mit dem „langen marsch in die konterprovokation“ und ins „kulturbolschewistische nomadentum“ beantwortet werden kann.

Die Hinweise aus der Kritik, der ehemalige dichtende Untertan des SED-Regimes hole möglicherweise bloß nach, was „die Moderne“ bis in die sechziger Jahre hinein an permutativen Verfahren entwickelt hat, verdanken sich einem seltsam undialektischen, formellen Originalitätsanspruch, der, strenggenommen, auch von den sogenannten Neuerern der poetischen Moderne nie eingelöst worden ist. Dichtung, Literatur, Kunst im allgemeinen sind wohl kaum denkbar ohne materielle, verfahrenstechnische Rückbezüge, ohne die Reibung an der Tradition. Merkwürdigerweise werden diese fadenscheinigen Bedenken vor allem gegenüber literarischen Erzeugnissen aus der ehemaligen DDR aus der Tasche geholt, wo der verordnete sozialistische Realismus angeblich die Herausbildung avantgardistischer Techniken unmöglich gemacht hat.

Wie dem auch sei, Papenfuß-Goreks Texte sind keine sozialistisch verursachten modernen lyrischen Nachträglichkeiten, sondern bilden ein sich unermüdlich fortschreibendes Textuniversum mit eminent politischen Kraftzentren, in dem die Bezeichnungskraft der Sprache einer ständigen Zerreißprobe unterworfen wird.

„Mehr Prügel als Flügel“, so könnte man mit Beckett Papenfuß' Schreibweise mit einiger Ironie auf den Punkt bringen. Prügel verteilt auch Thomas Kling in seinem letzten Gedichtband, oder sagen wir, um gleich die Differenz der Wort- und Tonqualität hervorzuheben, mit dem Begriff Papenfuß-Goreks „wortschläge“. In den Titel brennstabm, mit dem wir bereits ein entsprechend tödliches Instrument zur Hand haben, ist Klings poetisches — implizit politisches — Programm eingeschmolzen: brennstabm als verschmolzene brennende Buchstaben machen Gedichte zu Brennstäben, die Denk- und Sprachgewohnheiten aufschmelzen.

Zugleich repräsentiert das Wort „brennstabm“ wie kein anderes eine methodische Vorliebe Klings, mit der er die Schlagkraft der Worte erhöht und die er neben anderen mit Papenfuß-Gorek teilt: die Konsonantenballung. Durch zusätzliche Auslassung des unbetonten mildernden End-e entstehen Kohorten von M und N oder unaussprechliche, wie gewürgt klingende Wortbrocken, die im Eingangsgesang des Bandes mit dem Titel di zerstörtn zu Resonanzkörpern kriegerischer Zerstörung werden: „5/ hart umledertn herznz. unsere schwere./ geschüzze so bricht der tag an di rattnnacht./ nächte nächte rattnmächte im böschunx-, im/ ratten-mohn.“ Durch das wiederholende Insistieren auf Wörtern und Wortelementen und ihre klangassoziative Permutation, Alliterationen sowie die phonetischen Umschriften der Wörter erreicht Kling zusätzliche Intensitäts- und Härtegrade. Wenn aus ck Doppel-k wird, aus tz Doppel-z oder aus gs Doppel-x, dann töten „blikke“, „stekkn“ Klings Bajonette wirklich im Körper, rollen die „geschüzze“ schwerer, und der „todesanxxt“ ist das Doppel-x wie Äxte eingeschrieben.

Die Gedichte des vorliegenden Bandes entstanden bis auf wenige Ausnahmen zwischen 1988 und 1990 und sind, um einen Kritiker der 'Zeit‘ zu zitieren, weder „Walzer“ noch „Pogo“, sondern hochbrisante poetische Rhapsodien im besten Sinne des Wortes. Das bereits zitierte Eingangsgedicht, in dem die Vergangenheit aus ihren Gräbern gezerrt wird, wirft eine langen Schatten über die zehn Kapitel, die andere situative und thematische Akzente setzen: Das Kapitel „Tirol/Tirol. 23-teilige Landschafts-photographie“ montiert unterschiedliche Textmodi und Versatzstücke, wie z.B. Gedenkreime auf Kriegstote, religiöse Fürbitten, Wehgeschreifetzen, Faustrechtparolen („schlag zu das hilft“) und Sport- und Schneeschickeria-Grotesken zu einem „geschnezzelten idyll“ des Grauens, „häßliche aufbahrun' auf endmoränen“. Das Kapitel „kölndüsseldorfer (rheinische schule)“ vermittelt „Augenblicke“ höchst ambivalenten Heimatgefühls, die unter dem Motto stehen könnten: „anmutige Gegend. zertrümmerter Mai“ oder doppelbödig: „vers-/ offne rebn-düsternis“; danach Widmungen, „helden gedenk tage“ für früh gestorbene „stifterfiguren“: „Endi“ Warhol, Konrad Bayer, Reinhard Priessnitz...

„porträt J.B...“, „normales querformat für F.M.“, „...foto/kreuz ich/ brauchte nichmehr nachzu/ fra“. Fotos, Bilder, Buchstaben und Blicke: Klings Verse sind verdichtete „augnstunden“, Bildstenogramme, Spiegelreflexe, ins „sprachvisier“ genommene „momentfotografie“. Anders als die sprachzentrierte Lyrik Papenfuß-Goreks, die noch in einem quasi medienfreien Raum operiert, verdanken sich Klings Gedichte der Idiosynkrasie gegen die medialen Reize, den wuchernden Zivilisations- und Sprachverfall des fortgeschrittenen Kapitalismus: „anvisiert: von sprach-/placebos sind di szenen überfoll./ durchs sprachvisier di volle über-/fülle/feuer./ wasser.“

Ins poetische Visier genommen, erhält die Sprache ihre Vielfalt, ihre Initialkraft zurück, wie hier im Spiel mit den Konsonanten f und v und der Fülle der Alliterationen: Das zur Kennzeichnung der Sprach-Ersatzstoffe „falsch“ geschriebene Wort „überfoll“ hat dabei gleichzeitig die ambivalente Konnotation des französischen „folie“ bzw. „folle“: verrückt oder dumm [Potz Tscheuhß & Etyms!, d.S.].

Gegenüber Papenfuß-Goreks aggressiver Dynamik und destruktiver Direktheit ist Klings Lyrik von subtilerer Schärfe, ein „Stromnetz“ mit kalkulierten Kurzschlüssen und schwankenden Watt- und Voltstärken, das unverwechselbare „ssauntz“ mit wechselnden Härtegraden und Vibrationen erzeugt, wie z.B. in den Liebesgedichten, in denen die harte Schrift gründlich durchgeweicht wird: „braue// dann: du, unverwandt, mit ganz unaus-/sprech, mit den ganz unaussprechlichen/ augen und namen das alles geht unter/ dem schutz unserer hände vor sich. lippen,/ und denen ablesen: nachtübung auch dies. die nacht-/ namen, im o-ton, haben ähnlichkeit das geb ich zu:/ wie aber wir sie handhabten mit unseren, ähnlich-/ machten in unserer zunge war irgendwann keine/ frage ('mehr!‘). kein aber bleibt unter/ unverwandt staunenden brauen“.

Thomas Kling: brennstabm · Gedichte . Suhrkamp, 176 Seiten, 28DM

Bert Papenfuß-Gorek: SoJa . Druckhaus Galrev, 128 Seiten, 25DM. Mit dreizehn Zeichnungen von Wolfram Adalbert Scheffler.

tiské . Steidl, 80 Seiten, Großformat, mit Zeichnungen von A.R.Penck, 28DM

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